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"Den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen"

Die Luft für Christian Wulff sei "sehr, sehr dünn geworden", sagt Fritz Kuhn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Der erste Mann im Staat sei in der Substanz geschwächt und müsse nun überlegen, "ob er sich das antun will" - und dem Land.

Das Gespräch führte Tobias Armbrüster | 03.01.2012
    Tobias Armbrüster: Der Bundespräsident bleibt also unter Druck. Beitrag in Informationen am Mittag, Deutschlandfunk (MP3-Audio) Frank Capellan berichtete aus unserem Hauptstadt-Studio, und mitgehört hat Fritz Kuhn, der stellvertretende Fraktionschef von Bündnis 90/die Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Tag, Herr Kuhn!

    Fritz Kuhn: Guten Tag!

    Armbrüster: Herr Kuhn, um das direkt am Anfang zu klären: Ein Bundespräsident, der sich persönlich beim "Bild"-Chefredakteur beschwert – was sagen Sie dazu?

    Kuhn: Das ist ein wirklich starkes Stück, das zeigt ein sehr eigentümliches Verständnis vom Pressefreiheit, und ich komme in der Summe, auch wenn ich die ganzen Kreditverträge und Umschuldungen anschaue, persönlich zu der Überzeugung, dass Herr Wulff den Anforderungen des Amtes als Bundespräsident nicht gewachsen ist. Und zwar, es gibt da einen spezifischen Grund dafür: Das Fundament dieses Amtes ist ja nicht Machtfülle, sondern Glaubwürdigkeit, ao die Münze, mit der ein Bundespräsident agieren kann, ist Glaubwürdigkeit, und die ist schwer beschädigt durch die Vorgänge, die es gegeben hat, und auch durch den Umgang mit den Vorwürfen und die fehlende klare Aufklärung. Deswegen komme ich zu dieser Überzeugung.

    Armbrüster: Schwer beschädigt, sagen Sie jetzt. Ist Christian Wulff Ihrer Meinung nach noch zu halten?

    Kuhn: Ich meine auch, dass das Herr Wulff selber entscheiden muss. Er muss sich die Frage stellen, ob er dies der Bundesrepublik Deutschland weiter antun will in der schweren Zeit, in der wir ja sind. Wir werden 2012, wenn Sie an die internationale Währungssituation angehen, an die Bankenkrisen, kein einfaches Jahr haben, und da einen in der Glaubwürdigkeit, in der Substanz geschwächten Bundespräsidenten – das muss er sich überlegen, ob er sich das antun will und zwar unserem Land antun will. Und zweitens geht die Frage an Frau Merkel. Sie hat ihn ausgesucht, sie hat organisiert, dass Herr Wulff gewählt wird, und sie muss jetzt mal aus der Deckung rauskommen und sagen, wie sie das Ganze bewertet. Mit diesen Pauschalurteilen "sie steht voll hinter ihm" ist es nach den Vorgängen der letzten Wochen ja nicht getan.

    Armbrüster: Aber können wir das tatsächlich auf diese beiden Menschen begrenzen, auf Frau Merkel und Herrn Wulff? Wäre es nicht geboten, dass sich auch andere Politiker etwas offener dazu äußern?

    Kuhn: Das ist jetzt keine Stunde des Wettlaufs um: Wer stellt zuerst die Rücktrittsforderung – wenn Sie das meinen. Wir sind da bewusst zurückhaltend, weil jetzt der Ball bei dem liegt, der das Amt innehat und dessen politisches Urteil … es ist ja keiner gewählt worden, der ein politischer Neuling ist, sondern Herr Wulff war lange Jahre Ministerpräsident. Und er muss sich diese Frage stellen, und natürlich Frau Merkel als Bundeskanzlerin und als diejenige, die gesagt hat, es gab ja viele Alternativen damals, Herr Wulff sei genau der richtige. Und sie hat es ja damals auch begründet mit, er sei ein glaubwürdiger Mensch und Politiker für dieses Amt. Deswegen liegt der Ball jetzt bei denen. Die Aufklärung verschiedener Sachen, zum Beispiel wie kam Herr Wulff an diesen extrem günstigen Kredit bei der BW-Bank, die wird natürlich über die Gremien, Aufsichtsrat der BW-Bank und so weiter zu leisten sein, weil wir wollen mal nicht vergessen, dass es ein Kredit war, den ein Normalsterblicher nur dann bekommen würde, wenn er Millionen Einlagen bei der BW-Bank hätte und ein Liquiditätsproblem hat. Auch die Frage, warum er erst am 21. Dezember diesen Jahres auf langfristiges Darlehen zu normalen Zinssätzen übergeswitcht ist, die muss natürlich Wulff beantworten, so oder so. Aber das sind die Teilfragen der Verfehlungen. Entscheidend ist jetzt, ob Herr Wulff sich die richtigen Fragen stellt im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit des Amtes eines Bundespräsidenten in Deutschland.

    Armbrüster: Ich würde gerne noch mal auf das zurückkommen, was Sie da gerade am Anfang gesagt haben, Herr Kuhn: Sie haben davon gesprochen, dass dieses Amt des Bundespräsidenten so extrem wichtig ist, eine so herausgehobene Stellung hat in der Bundesrepublik. Ist es nicht gerade deshalb geboten, weil dieses Amt so wichtig ist, dass sich auch andere Leute hier einmischen, dass es eben nicht nur dem Amtsinhaber überlassen bleibt, sozusagen königsartig darüber zu entscheiden, ich mache weiter oder ich mache nicht weiter, sondern ist es nicht gerade in einer Demokratie geboten, dass sich auch andere Politiker, ruhig auch aus der Opposition, ruhig auch der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag offener dazu äußern, ob Wulff weitermachen soll oder nicht?

    Kuhn: Also, es mischen sich ja genügend Leute ein. Auch ich sage: Nach meiner Überzeugung ist Wulff den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen, weil es da um Glaubwürdigkeit geht, und wir haben eine öffentliche Debatte – wir haben übrigens auch keinerlei Staatskrise. Die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik ist in der Lage, diese Fragestellungen jetzt aufzuklären und entsprechend zu kommentieren, und nochmal: Es hat ja historische Gründe, die aus der deutschen Vergangenheit resultieren. Der Bundespräsident in Deutschland hat wenig konkrete Macht, und sein Amt stützt sich sozusagen auf die Autorität seiner persönlichen Glaubwürdigkeit. Und wenn die gefährdet ist, ist also fast alles gefährdet, und deswegen – ich sage es noch mal, ohne mich da drücken zu wollen –, aber Wulff, der Herr Bundespräsident Wulff muss jetzt sagen, ob er dies weiter machen kann und will, und auch Frau Merkel ist gefordert. Ich glaube nicht, dass jetzt ein Wettlauf, wer sagt zuerst aus der dritten, zweiten und ersten Reihe "Rücktritt", die Fragen klären wird. Aber wir diskutieren engagiert über die Frage, ob man mit dem Bundespräsident sein kann, was Wulff da vor allem auch im Umgang mit der Presse gezeigt hat.

    Armbrüster: Das heißt, um das nur noch mal zusammenzufassen: Wir können sagen, ob Wulff im Amt bleibt oder nicht, das bleibt letztendlich ihm selbst und Frau Merkel überlassen?

    Kuhn: Ich glaube, dass die Dynamik, die wir in der nächsten Zeit bei der Frage haben werden, von den beiden Personen ausgehen muss. Natürlich vor einer öffentlichen Diskussion gerade wird bei "Spiegel online" getickert, dass er auch einen Journalisten von der "Welt am Sonntag" sogar ins Amt einbestellt hat. Also ich glaube, dass die Luft da sehr, sehr dünn geworden ist.

    Armbrüster: Sagt Fritz Kuhn, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/die Grünen im Deutschen Bundestag. Haben Sie vielen Dank für dieses Interview an diesem Dienstagmittag!

    Kuhn: Ich danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.