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"Den Gürtel enger schnallen"

Der Chef des IFO-Institutes München, Hans-Werner Sinn, fordert eine umfangreiche Reform des Artbeitsmarkts. Das Maß der Sozialausgaben sei überschritten. Subventionen müssten abgebaut und Lohnsenkungen von einem staatlichen Zuschusssystem aufgefangen werden. Die zukünftige Regierung bräuchte den Mut zu unpopulären Maßnahmen.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Was muss geschehen, damit die Pferde wieder saufen, also die Wirtschaft wieder läuft, wie der frühere Superminister Schiller zu sagen pflegte. Wie sieht die Notliste der Reformen aus? Zu diesen Fragen begrüße ich den Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts IFO, Professor Hans-Werner Sinn. Guten Morgen Herr Sinn.

    Hans-Werner Sinn: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Sinn, eine ganze Reihe von Vorschlägen geistern durch die Debatte: Erhöhung der Mehrwertsteuer, Erhöhung der Löhne zur Ankurbelung des Konsums, Vereinfachung der Steuern, Senkung der Sozialabgaben, Lockerung des Kündigungsschutzes, et cetera, et cetera. Was ist wirklich notwendig? Wo muss die nächste Regierung anfangen?

    Sinn: Na ja, es gibt zwei Maßnamenbündel: Das eine ist erst mal, finanzielle Solidität herzustellen und das zweite ist, den Arbeitsmarkt in Ordnung zu bringen. Das erste ist noch keine wirkliche Reform, die Arbeitsplätze schafft, aber irgendwie die Grundvoraussetzung dafür, dass wieder ordentlich gewirtschaftet wird in diesem Land, denn die Investoren ziehen sich auch deshalb zurück aus Deutschland - wir haben ja die zweitniedrigste Investitionsquote unter allen OECD-Ländern - weil man nicht glaubt, dass dieses Land finanziell stabil ist. Wenn man hier investiert, muss man langfristig dann in irgendeiner Form an dem Schuldendienst sich beteiligen. Die Staatsschulden laufen wirklich aus dem Ruder. Das Finanzministerium muss zu einem Trick nach dem anderen greifen, um das Budget hinzubringen und trotzdem haben wir jetzt schon im vierten Jahr hintereinander die Drei-Prozent-Grenze von Maastricht überschritten und selbst die ist ja für ein Land, das gar nicht mehr wächst wie Deutschland, viel zu hoch, weil das immer noch zu einem Anstieg der Schulden führt. Das geht überhaupt nicht mehr so. Da muss wirklich ein Kassensturz passieren und dann muss der Staat den Gürtel enger schnallen. Das ist mal das Erste. Wenn das gemacht ist, dann kann man sich den eigentlichen Reformen zuwenden und hier am Arbeitsmarkt sehe ich zwei große Problemfelder: Arbeitslosigkeit entsteht immer dann, wenn Menschen teurer sind, als das, was sie leisten. Dieses Phänomen haben wir in zwei Bereichen des Arbeitsmarktes: einmal bei den Geringqualifizierten, die künstlich durch Sockellohnvereinbarungen und die Rückwirkungen der Lohnkonkurrenz des Sozialstaates im Laufe der Jahrzehnte teuerer gemacht wurden, als das, was sie in der Lage sind, zu leisten. Dadurch entsteht also eine Massenarbeitslosigkeit. Wir sind Weltmeister bei der Massenarbeitslosigkeit der Geringqualifizierten und dann bei den älteren Mitbürgern ist es ähnlich. Im Lebensalter nimmt innerhalb eines Berufes die Entlohnung meistens zu. Die Tarifverträge sind so. Andererseits nimmt die Leistungsfähigkeit, wenn man älter wird etwas wieder ab. Man lernt zwar sehr viel, und weiß sehr viel, aber diese physische Leistungsfähigkeit nimmt doch im Laufe der Zeit wieder ab, und da öffnet sich eine Schere und die Unternehmen finden das dann unattraktiv, ältere Mitarbeiter zu halten und steuern sie dann aus. Hier muss etwas geschehen. In beiden Fällen ist die Lösung für meine Begriffe, dass man Lohnsenkungen akzeptiert, die aufgefangen werden durch ein staatliches Zuschusssystem. Bei den älteren Mitbürgern geht das insofern ganz einfach, als man sagen könnte: Wer will, kann in die Frührente gehen. Er muss seinen alten Job kündigen, darf aber weiterarbeiten, während er die Frührente hat und bei der Frührente machen wir dann noch einen versicherungsmathematisch korrekten Abschlag. Dann entstehen Jobs, ohne dass das soziale Einkommenskonsequenzen für die Betroffenen hat. Sie haben ja dann zwei Einkommen, ihre Rente und das selbstverdiente Einkommen. Es würde einen Arbeitsmarkt für Ältere geben.

    Liminski: Sie sagten vorhin, den Gürtel enger schnallen und dann den Arbeitsmarkt konsolidieren, beziehungsweise reformieren. Wo muss denn der Gürtel enger geschnallt werden? Würden Sie da konkrete Maßnamen befürworten?

    Sinn: Ja, wir reden hier über eine Staatsverschuldung, die geht in den Bereich 70/80 Milliarden rein und das ist ungefähr die Größenordnung der Subventionen in Deutschland, je nach dem, wie man da rechnet, es gibt auch Rechnungen, wonach wir 150 Milliarden Subventionsvolumen haben. Subventionen gehören im Prinzip nicht in eine Marktwirtschaft. Subventionen sind Zahlungen an Unternehmen vom Staat. Die Unternehmen müssen aber ihr Geld von den Kunden bekommen, sie müssen Produkte machen, die den Kunden gefallen, so dass die Kunden dafür bezahlen. Es ist nicht Aufgabe des Staates, hier zu subventionieren. Es gibt ein paar Ausnahmefälle, wo man das vielleicht rechtfertigen kann, wenn da besonders viele Nutzeneffekte für andere Mitglieder der Gesellschaft in der Forschung oder so was liegen, aber das ist eine Randerscheinung. Da muss man angreifen. Dann muss man sich auch wirklich fragen, ob der Sozialstaat in diesem Umfang, wie wir ihn haben, nicht vielleicht doch etwas zu groß ist: 41 Prozent der Erwachsenen in Deutschland beziehen ein staatliches Transfereinkommen, wenn ich also Renten, Pensionen, Bafög, Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und dann bestimmte Unfallentschädigungen hinzurechne, dann sind wir bei 41 Prozent. Das ist eine unglaubliche Zahl und man muss sich fragen, wohin das eigentlich führen soll? Die Zahl derer, die da Beiträge zahlen in das Staatssystem und die Zahl derer, die das Geld bekommen wird immer größer. Das ist eben auch nicht finanziell solide und muss in irgendeiner Form begrenzt werden. Ich will hier jetzt nicht den totalen Sozialabbau predigen, aber es gibt für Alles ein vernünftiges Mass.

    Liminski: Man weiß ja gar nicht wo man anpacken soll. Sie sagen, Gürtel enger schnallen, Subventionen abbauen, das Leistungskriterium stärker heranziehen. Wie sähe denn ein Notprogramm für die nächsten zwei Jahre aus? Wo fängt man an? Was sind die ersten Schritte?

    Sinn: Der erste Schritt ist, die finanzielle Solidität wieder herzustellen. Also das geht ja gar nicht anders. Vorher braucht man gar nichts zu machen.

    Liminski: Also erst mal sparen?

    Sinn: Man muss sparen. Wenn der Staat es nicht schafft, muss er die Steuern erhöhen. Aber das halte ich natürlich für die nicht sinnvolle Lösung, weil er nicht den Bürgern das Geld aus der Tasche ziehen muss, sondern selber sich einschränken.

    Liminski: Da sind wir schon bei der Mehrwertsteuer. Muss die erhöht werden? Kommt man darum herum?

    Sinn: Das wollen viele. Ich meine, man sollte es dem Staat hier nicht so leicht machen, dass er einfach in den Mehrwertsteuertopf greift, denn die Bürger müssen ja dann das bezahlen. Wir haben eigentlich eher zuviel Umverteilung über den Staat und deswegen bin ich dagegen. Ich wäre nur für eine Mehrwertsteuererhöhung, wenn es zum Schluss darum ginge, eine große Steuerreform zu machen, in der Art wie Friedrich Merz oder Herr Kirchhoff oder auch der Sachverständigenrat oder auch das IFO-Institut das vorgeschlagen haben. Dafür würde ich das reservieren, aber nicht vorher, um Haushaltslöcher zu stopfen. Das nimmt dem Staat jeden Anreiz zur finanziellen Disziplin. So, und dann würde ich eben diese Arbeitsmarktreform machen. Das eine ist eben mit der Frührente, das geht eigentlich relativ leicht. Das kostet den Staat eben auch keinen Pfennig, die älteren sind happy, weil sie zwei Einkommen haben und es entstehen vor allem Jobs, weil die Arbeitgeber nur niedrigere Löhne für ältere Arbeitnehmer zahlen müssen. Das Zweite, genauso wichtig, ist der Bereich der Geringqualifizierten, wo wir von unserer Massenarbeitslosigkeit runter kommen müssen. Da brauchen wir eine aktivierende Sozialhilfe. Man muss also Hartz IV nachbessern. Ich würde den Hinzuverdienst dramatisch verbessern. Heute ist es auch nach dem Kompromiss zwischen Herrn Laumann und Herrn Clement immer noch so, dass nur die ersten hundert Euro frei sind und dann gibt es einen Transferentzug von 85 Prozent. Das heißt, für jeden Euro, den man selber verdient, werden einem 85 Cent an Arbeitslosengeld II wieder gestrichen und das hat astronomisch hohe Lohnforderungen bei den Betroffenen zur Folge, damit sie auf ihr entsprechendes Netto kommen, wo es keine Jobs gibt. Ich würde 500 Euro frei lassen und dann auch den Transferentzug deutlich reduzieren auf 70 Prozent. Das ist ein Modell, dass wir durchgerechnet haben und das finanzierbar ist, wenn zum Ausgleich der Eckregelsatz dieses Arbeitslosengeldes II etwas gekürzt wird und wenn die Kommunen wirklich parat stehen, um Jedem, der keine Arbeit findet, notfalls auch einen kommunalen Job anzubieten, der dann beinhaltet, dass man weiter verliehen wird an die private Wirtschaft. Das gibt ein abgerundetes System, wo wirklich Arbeit und Brot in hinreichendem Umfang geschaffen werden kann mit dieser aktivierenden Sozialhilfe. Das ist für mich das große Thema, das ist die Reform, die wir brauchen, um den Arbeitsmarkt flott zu machen. Sonst wird das alles nichts. Alle andere Reformen sind sekundär, denn das Land krankt an den Problemen auf dem Arbeitsmarkt, und das tut es deswegen, weil wir einerseits da unseren Sozialstaat sehr stark entwickelt haben mit Rückwirkungen auf Lohnforderungen am Arbeitsmarkt in den letzten 30 Jahren und andererseits aber die Globalisierung jetzt mit voller Wucht über das Land hinwegfegt.

    Liminski: Von Ihnen stammt der Satz, die nächste Regierung muss den Mut zum Untergang haben, also zu so unpopulären Maßnamen, dass sie das Risiko der Abwahl in Kauf nimmt. Zwar hat Adenauer schon als wichtigste Eigenschaft des Politikers den Mut bezeichnet, aber von solchem Mut oder von solcher Verwegenheit hat er wahrscheinlich nicht gesprochen. Was passiert, wenn dieser Mut fehlt? Wo muss dieser Mut wirklich ansetzten? Das, was Sie gerade geschildert haben, ist ja eigentlich doch machbar. Aber wo braucht man diesen Wagemut?

    Sinn: Man braucht ihn, um eben diese 41 Prozent der Bevölkerung, die von staatlichen Transfers leben, auch hier und da ein bisschen zu enttäuschen. Es kann nicht sein, dass man immer mehr Einkommen ohne Arbeit bekommt oder auch geradezu unter der Bedingung, dass man nicht arbeitet. So ist es ja im Wesentlichen in unserem System. Wir müssen die Bedingungen ändern. Es muss im Wesentlichen die Bedingung gesetzt werden: staatliches Geld gibt es vor allem auch dann als Zuschuss, wenn man arbeitet, und nicht, wenn man nicht arbeitet, wie das heute die Regel ist. Das wird sehr viele Leute enttäuschen und die Zustimmung wird erst im Laufe der Zeit kommen, wenn man nämlich sieht, dass dadurch die Wirtschaftstätigkeit sich insgesamt belebt und letztlich der Lebensstandart doch wieder steigt. Und ich habe das gesagt mit diesem Mut zum Untergang eigentlich als Zitat des neuseeländischen Ministerpräsidenten Lange, der in seiner Rede mal Ähnliches gesagt hat: ein Präsident und eine Regierung, die jetzt ein total marodes Land reformieren wollen - und Neuseeland war damals auch ein Sozialstaat, ähnlich wie Deutschland so extrem entwickelt - muss das Richtige tun, auch wenn er im Moment noch auf Unverständnis bei seiner Bevölkerung stößt. Er muss es tun und bereit sein, auch notfalls wieder abgewählt zu werden. Aber es muss ein Überzeugungstäter her. Jemand, der immer nur populistisch nach den Mehrheiten schaut, wird nie in der Lage sein, die notwendigen Reformen durchzuführen. In dem Sinne habe ich das gemeint.

    Liminski: Ein Notprogramm für Deutschland. Das war der Direktor des Wirtschaftsforschungsinstitut IFO, Professor Hans-Werner Sinn.