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"Den Interessen des Landes geschadet"

Ohne Vertrauen werde Diplomatie unmöglich. Daher geht nach Meinung des USA-Experten Christian Hacke das Urteil gegen Wikileaks-Informant Bradley Manning "in Ordnung". Es sei ein Unterschied, ob man Missstände aufdecke oder Verrat übe, meint der Politikwissenschaftler.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 31.07.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Das Urteil gegen Wikileaks-Informant Bradley Manning sorgt für Debatten. Mit großer Spannung war das Urteil gegen Manning ja erwartet worden, gestern Abend war es dann so weit. In fast allen Anklagepunkten sprach die zuständige Militärrichterin Bradley schuldig, darunter Spionage, Geheimnisverrat, Computerbetrug und Diebstahl. In den kommenden Wochen wird das Strafmaß verkündet, die Todesstrafe, die bleibt ihm auf jeden Fall erspart, denn vom Vorwurf der Unterstützung des Feindes wurde Manning freigesprochen. Und darüber sprechen wir jetzt mit Professor Christian Hacke, Politikwissenschaftler und USA-Experte. Schönen guten Tag, Herr Hacke!

    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Heckmann

    Heckmann: Das Amerika unter Präsident Obama gilt ja als Antithese zum Amerika unter George W. Bush. Barack Obama hatte ja Whistleblower auch regelrecht ermutigt, muss man sagen. Aber das war reine Rhetorik?

    Hacke: Na ja, so weit würde ich nicht gehen. Aber wir haben schon zwei unterschiedliche Obamas, würde ich sagen. Wir haben den, den Sie eben genannt haben, der unterschieden hat zwischen Whistleblowers, die Missstände aufdecken im eigenen Land, das begrüßt er. Und er hat dann als Zweites Whistleblower genannt, die natürlich Verrat üben, und die müssten verurteilt werden, weil die dann dem Feind oder anderen Mächten dienen würden, und das ist hier im Fall Mannig nun geschehen, und deshalb geht das Urteil, glaube ich, auch weitgehend in Ordnung.

    Heckmann: Aber er hat ja Dokumente veröffentlichen lassen oder weitergegeben, die ja in der Tat schwere Defizite und schwere Fehler aufweisen.

    Hacke: Nein, das sehe ich nicht so. Also, wenn ich mich an die Diskussion vor drei Jahren erinnere, dann stellen wir fest, dass Manning einfach den geheimen Verkehr der Diplomaten aus dem State Department, zwischen Washington und den Botschaften in der Welt, veröffentlicht hat. Und das war ein Unding, das ist nicht machbar. Vertrauen ist die Grundlage auch der Außenpolitik, wie aller menschlichen Aktivitäten, und ohne diese wird eben die Arbeit auch der Diplomatie völlig unmöglich gemacht. Also hier ist es eine Situation, wo er tatsächlich den Interessen des Landes geschadet hat. Er hat nicht dem Feind gedient, wie gesagt wurde, auch, wie es eben in Ihrem Beitrag deutlich wurde, aber er hat den eigenen Interessen des Landes geschadet, und deshalb ist er, denke ich, auch zu Recht verurteilt worden.

    Heckmann: Also insofern ein zutreffendes, ein angemessenes Urteil?

    Hacke: Ja, glaube ich schon. Denn das ist ein anderer Fall als den, den wir jetzt sehen mit der Darlegung der NSA-Aktivitäten durch Snowden. Das ist eine andere Sache.

    Heckmann: Derzeit lässt die US-Regierung sechs vermeintliche Geheimnisverräter anklagen, so viele wie unter keinem Präsidenten zuvor. Wikileaks-Gründer Julian Assange spricht von einer Politik des nationalen Sicherheitsextremismus. Sicherheit geht über alles - ist das immer noch die Sachlage in den USA?

    Hacke: Ja, man muss jetzt unterscheiden. Also Assange hat das mit Blick auf das Urteil von Manning gesagt, und ich glaube, das ist ein Fehlurteil, was hier Assange versucht, der Öffentlichkeit beizubringen, wie wir eben erläutert haben, weil tatsächlich Manning schwerwiegende Geheimnisse verraten hat, ohne die Außenpolitik verraten hat, ohne die die Außenpolitik und die Diplomatie eines Landes nicht geht, und die muss geschützt werden. Aber wenn Sie dieses Zitat jetzt beziehen auf die Aktivitäten, wie sich die Regierung verhält im Fall Snowden, dann glaube ich schon, sehen wir hier eine sehr, sehr gefährliche Entwicklung. Denn Snowden gehört zu einer anderen Art Whistleblower. Der hat tatsächlich enorme Missstände und illegales Verhalten der Geheimdienste ans Licht gebracht, und das muss positiv beurteilt werden und, glaube ich auch, also, selbst wenn er eines Tages nach Amerika zurückgehen sollte und würde verurteilt werden, glaube ich, käme er sehr viel freier, vielleicht nicht ganz frei, aber sehr viel freier raus, als man heute glaubt.

    Heckmann: Aber muss man nicht konstatieren dann doch eine sehr widersprüchliche Haltung von Politik und auch von Justiz in den USA. Wenn chinesische Blogger ihre Freiheit aufs Spiel setzen, Informationen rausgeben, dann werden sie in den USA gefeiert, und wenn das amerikanische Staatsbürger tun, dann gibt es hohe Strafen.

    Hacke: Ich glaube, der Grundunterschied ist der, dass wir sagen müssen, dass wir Geheimdienste erstmal in allen Ländern haben, seit allen Zeiten, und dass man Geheimnisse sucht und das Intimste wissen will, das ist eine menschliche Schwäche, die wir alle kennen. Aber die Geheimdienste einer Demokratie sollten eigentlich sich darauf konzentrieren, die Interessen des Landes und der Bürger zu schützen, das heißt eben vor allem auch, die Abhöraktionen und die Aktivitäten fremder Dienste auf dem Boden des eigenen Landes, der Demokratien eben zu vermeiden beziehungsweise das abzuwehren. Oder auch Wirtschaftsspionage, Militärspionage anderer Mächte. Das ist, glaube ich, legitim, und die Geheimdienste hier werden auch stark kontrolliert und haben eine ganz andere Funktion, finde ich, wie Geheimdienste in autoritären Regimen. Denn autoritäre Regime sind ja grundsätzlich anders strukturiert als Demokratien.

    Heckmann: Dennoch sind natürlich die Geheimdienste in Demokratien auch daran interessiert, möglicherweise die Bürger möglichst intensiv auszuforschen, wie wir ja jetzt gesehen haben beim NSA-Skandal. Im amerikanischen Kongress, da stand jetzt ein Gesetz zur Abstimmung, dass die Durchleuchtung amerikanischer Staatsbürger durch die NSA einschränken sollte. Das Gesetz, das scheiterte, aber es gab immerhin einen Achtungserfolg, und das Ganze zeigt, die USA sind gespalten.

    Hacke: Sie sind gespalten, und ich finde es gut, dass hier sich mittlerweile auch im Kongress die Kräfte stärken. Und wir haben ganz neue Koalitionen. Früher haben wir dieses Bild gehabt, der letzten fünf Jahre der Regierung Obama auf der einen Seite, die liberale Lichtgestalt Obama und auf der anderen Seite die reaktionären und reformunwilligen Konservativen oder Rechtsausleger, Stichwort Tea Party. Das ist nun interessant, das verschiebt sich. Das verschiebt sich, seitdem nämlich Obama selbst nicht mehr die Lichtgestalt des neuen Liberalismus ist, sondern selbst Vertreter und Verteidiger, ja, der Geheimdienstaktivitäten. Und ich glaube, das ist der grundsätzliche Wandel, der gefährlich ist und der uns natürlich fragen lässt, warum Obama diese Kursschwenkung vornimmt. Und wir haben neue Koalitionen zwischen Libertären, Konservativen im republikanischen Lager und natürlich den betont liberalen Demokraten. Also es sind ganz neue Koalitionen auch im Kongress, und die machen Mut und könnten vielleicht einmal später dazu führen, dass der alte, sagen wir mal, der alte Kulturgraben zwischen Republikanern und Demokraten auch zunehmend aufgehoben wird. Und man kann nur wünschen, dass, wenn der Kongress im September, Oktober wieder zusammenkommt, dass hier nicht noch mal dieser Gesetzesvorschlag untergeht, sondern dass dieser Gesetzesvorschlag, nun die Dienste stärker zu binden und NSA und andere natürlich unter stärkere Kontrolle zu stellen, dass die sich durchsetzt. Und ich bin da ziemlich hoffnungsvoll.

    Heckmann: Der Politikwissenschaftler und USA-Experte Professor Christian Hacke. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Hacke: Ich danke auch!