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Denis Pfabe: Der Tag endet mit dem Licht
Auf den Spuren der Kindheit

Zwei Künstler sind unterwegs, eine Frau, ein Mann. Unterwegs fallen ganze Häuserwände - scheinbar für die Kunst. Doch eigentlich geht es um die Suche nach Wahrheit und um die Traumata der Kindheit. Eine Roadnovel und ein vielversprechendes Romandebüt eines jungen deutschen Autors.

Von Eberhard Falcke | 15.01.2019
    Buchcover Denis Pfabe: "Der Tag endet mit dem Licht" im Hintergrund Lichspuren auf der Autobahn
    Zwei Künstler unterwegs (Buchcover Rowohlt Verlag / Hintergrund: imago/McPHOTO)
    Überraschend steht er eines Tages plötzlich in der Tür des bescheidenen Kellerateliers von Frida Beier: Der Kunst-Titan Adrian Ballon ist gekommen, um der noch wenig bekannten Textilkünstlerin einen Vorschlag zu machen. Ob sie an seiner nächsten Ausstellung teilnehmen und ihn zur Sammlung von Material auf einer Reise durch die USA begleiten wolle?

    "Nie hätte ich zugeben wollen, dass er mich einschüchterte, dass ich den Eindruck nicht leugnen konnte, eine von ihm ausgehende Gefahr zu wittern. Links und rechts meine Arbeiten, aber er sah nur mich an.
    Ja, sagte ich, so gefasst wie möglich."
    So beginnt ein Abenteuer, in dem sich Kunstaktion und Schicksalsdrama auf ebenso fesselnde wie bewegende Weise überschneiden. Und allein schon mit der Erfindung dieser Handlung seines Romans "Der Tag endet mit dem Licht" ist dem literarischen Debütanten Denis Pfabe etwas ganz Außerordentliches geglückt.
    Dass es hier in vieler Hinsicht ums Äußerste geht, wird gleich zu Beginn klar. Denn Adrian Ballon beendet die wochenlange Fahrt durch etliche amerikanische Bundesstaaten, indem er sich in einem nachtblauen Ferrari nahe der texanischen Kleinstadt Paradise eine Kugel in den Kopf schießt. Frida Beier berichtet als Ich-Erzählerin von diesen Ereignissen im Rückblick, doch mit der Intensität größter Unmittelbarkeit.
    Legenden und Mythen der Kunstwelt
    Am Anfang gleicht die Reise einer idealtypischen Road-Novel: Zwei Menschen, verschieden wie Hund und Katze, gemeinsam unterwegs. Adrian Ballon ist auf der Suche nach Häusern, aus denen er für seine Ausstellung Mauerstücke und Fensterpartien herausschneidet – gegen immense Entschädigungssummen für die Besitzer:
    "Wir fuhren stundenlang, tagelang. Zum Schweigen gezwungen. Der brüllende Motor im Heck des Ferrari. Adrian Ballon suchte nach den Häusern. Ich konnte kein Muster, keine Regel erkennen, wie er sie auserkor."

    Zweifellos erscheint alles, was in diesem Roman geschildert wird, auf irritierende Weise wirklichkeitsfremd, stilisiert, künstlich. Und wenn allmählich die biographischen Hintergründe enthüllt werden, die den geheimen Antrieb für das sonderbare Vorgehen des Großkünstlers Adrian abgeben, kommen auch noch ein paar melodramatische Akzente hinzu, als hätte sich der Autor von jenen Wim-Wenders-Figuren inspiriereen lassen, die auf den Spuren ihres verlorenen Glücks durch amerikanische Landschaften irren. Tatsächlich ist in diesem Roman so gut wie nichts direkt aus dem Leben gegriffen, sondern jedes Motiv stammt aus dem Fundus von Legenden und Mythen der Kunstwelt.
    Adrian Ballon verkörpert den Inbegriff des egomanischen Künstlerzampanos, der für seine Werke astronomische Preise erzielt und der sich die Wirklichkeit als Bühne für seinen Gestaltungswillen untertan macht wie ein Diktator. Genauso ikonisch wirkt die Polarität zwischen den beiden Hauptfiguren: Auf der einen Seite der Alpha-Mann, der mit einem Tross von Maschinen, Arbeitern und Sattelschleppern Tonnen bewegt, auf der anderen die junge Frau, die mit selbst gewebten Textilien arbeitet. Eines jedoch haben sie gemeinsam: ein Trauma, das zum Antrieb des künstlerischen Schaffens wird. Obwohl Frida das noch nicht so brennend verspürt wie Adrian, der ihr einschärft:
    "Sie müssen tiefer gehen, mit jedem Konzept, das sie realisieren. Dorthin, wo es weh tut, wo sie überhaupt noch etwas fühlen können.
    Normalerweise fand ich solche Sätze zum Kotzen. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der es geschafft hatte, derartige Worthülsen mit dem was er tat, angemessen zu füllen."
    Auf den Spuren traumatischer Familienkatastrophen
    Adrian Ballon war als Jugendlicher von seinem Vater, einem amerikanischen Offizier, nach dem Tod der Mutter an dessen Standort in Deutschland geholt worden. Dort studierte er Kunst und wurde, wie es heißt, zum bedeutendsten Künstler der achtziger Jahre. Das schmerzende Familientrauma jedoch, dem er mit seinem Kunstprojekt auf den Grund gehen will, hat seinen Ursprung in den USA, wo er als Kind einer zerrütteten Ehe aufgewachsen ist. Und es sind die Schauplätze dieses Familienunglücks, nach denen er auf seiner Reise mit Frida Beier fahndet. In der über mehrere Bundesstaaten verstreuten Restaurantkette "International House of Pancakes" stellt er Schlüsselszenen der Verhängnisse nach, die einst zur Zerstörung seiner Familie führten:
    "Er wies mit dem Kinn auf einen der roten GMC-Trucks, die draußen standen. So einer war es, der meine Mutter auf dem Gewissen hat, sagte er. Der, der sie erwischt hat, kam aus dem Steinbruch, beladen mit den gleichen Steinen, aus denen unser Haus gebaut worden war. "
    Die Gebäudeteile, die Adrian Ballon mit seinem Arbeitstrupp zur Konservierung herausbricht und für seine Ausstellung abtransportiert, sind nichts anderes als die emotional besetzten Relikte und Kulissen seiner Kindheitskatastrophen. So wird die gesamte Reise zu einer einzigen großen Kunstaktion von Performance und Re-Enactment. Und genau das ist es, was den artifiziellen Charakter der Romanhandlung dennoch völlig überzeugend erscheinen lässt: Weil nämlich die künstlerischen Mittel, die bei der Suche nach dem wunden Kern in Adrians Leben zum Einsatz kommen, im Nachstellen und Nachspüren der Kindheitskatastrophen eine völlig eigene Lebendigkeit gewinnen.
    Es ist faszinierend zu sehen, mit welch zielsicherer Eindringlichkeit Denis Pfabe das auf jeder Seite hinbekommt. Genauso verblüffend und brillant wirkt der entschieden lakonische und dennoch stets vielsagende Erzählstil des Romans. Frida Beiers Rückblick ist nicht chronologisch aufgebaut, sondern rekonstruiert das Geschehen auf merkwürdig sprunghafte Weise, die dennoch völlig konsequent erscheint und die Spannung beträchtlich erhöht.
    Die Traumabewältigung scheitert – es bleibt die Tragödie
    Denis Pfabe hat seinen Roman mit großem Ernst und einigem Pathos konzipiert und vermittelt trotzdem niemals den Eindruck zu dick aufzutragen. Indem er seine Geschichte mit handfesten Action-Elementen und gewaltigem Arbeitsgerät anreichert – denn auch Frida Beier erzeugt ihre Textilien auf tonnenschweren Webmaschinen - hebt er die physische Schwerarbeit an der künstlerischen Produktion hervor. In diesem Licht verwandelt sich sogar die zunächst als Gag erscheinende Laune von Adrian Ballon, seinem Lebenstrauma mit einem Ferrari hinterher zu jagen, in eine starke Maschinen-Metapher für die Getriebenheit seines Schaffenswahns.
    Um Kunst als Therapie geht es hier allerdings nicht. Denis Pfabe hat sein Künstlerdrama nicht als Traumabewältigung angelegt, sondern bringt das alte Muster der Tragödie auf neue Weise zur Geltung. Als Adrian an die Ursprungsorte seiner Lebensschmerzen gelangt, bringt er sich um, was auch seine Begleiterin nicht verhindern kann:
    "Ich war zu spät gekommen. Vom Hügel aus sah ich , wie er die Sonnenblende herunterklappte und abdrückte. Nichts hätte surrealer wirken können als der Ferrari in dieser Umgebung."
    Zum Schluss erfährt Frida über ihre eigene Herkunft noch Dinge, die hier nicht verraten werden sollen. Nur so viel: Durch ihre Begegnung mit Adrian Ballon wird ein neuer Schicksalsknoten geknüpft. Und mit Sicherheit lässt sich außerdem sagen: Denis Pfabe ist mit seinem ersten Roman ein wahrhaft glänzendes, eigentümliches und bildstarkes Debüt gelungen.
    Denis Pfabe: Der Tag endet mit dem Licht
    Rowholt Verlag, Berlin
    192 Seiten, 20,00 Euro.