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"Depeschen-Netzwerk"
Erfundene Journalisten und NPD-Nähe

Nicht Fake-News, sondern gleich Fake-Journalisten - für den Medienverbund "Depeschen-Netzwerk" rund um das Internet-Portal Hessen-Depesche haben Autoren geschrieben, für deren reale Existenz es keine Belege gibt. Eine mögliche Erklärung könnte in politisch verfänglichen Inhalten der Depeschen liegen.

Von Volker Siefert | 18.07.2017
    Tulpen blühen vor dem Jugendstiltheater in Bad Nauheim
    Das Jugendstiltheater in Bad Nauheim. In der Hessen-Depesche findet sich auch ein Bericht über eine Veranstaltung in der hessischen Stadt. (dpa / Marius Becker)
    "Gestatten: Markus Fischer, Journalist, Weltenbummler und bekennendes Mitglied der FDP." So stand es bis vor kurzem in der Hessen-Depesche. Fischer soll dort seit Januar 2015 Mitglied der Redaktion gewesen sein. Im Internet findet sich über den Journalisten kein Wort, dass seine Existenz belegt. Auf dem Foto des angeblichen Redaktionsmitglieds Fischer ist in Wahrheit ein Niederländer zu sehen, der nicht Markus Fischer heißt. Auch bei anderen Mitarbeitern des Verbundes der vier Nachrichtenportale finden sich in der Vergangenheit Journalisten, für deren reale Existenz es keine Belege gibt. René Rock ist Fraktionsvorsitzender der FDP im hessischen Landtag. Er kannte bis zu Beginn der Recherchen über die Hessen-Depesche keinen der Autoren, sagt er. Auch nicht Axel Frohmeier. Der schrieb noch vor kurzem einen sehr wohlwollenden Artikel über Rocks Auftritt vor rund sechzig Windkraftgegnern im hessischen Bad Nauheim.
    "Vielleicht hat er sich mir vorgestellt, aber ich habe keine Erinnerung. Also die Veranstaltung klar, das Thema Windkraft liegt mir am Herzen, das wird auch öfter auf größeren Veranstaltungen gesprochen, vielleicht kommt das daher."
    Schutz der Autoren durch Pseudonyme?
    Klarheit über die erfundenen Autoren könnte Angela Prokoph geben. Laut Impressum ist sie Geschäftsführerin der Depeschen für Hessen, Sachsen, das Saarland und Bayern. Anschrift und Telefonnummer der Depeschen sind in Berlin. Dort erreicht man einen Bürodienstleister, die Redaktion der Depeschen ist dort nicht. Schriftlich gestellte Fragen zu den erfundenen Journalisten hat Prokoph bislang nicht beantwortet. Am Telefon erklärt sie schließlich, man habe zeitweise Pseudonyme verwendet, um die Autoren zu schützen. Sie seien angefeindet worden. Frank Überall ist Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, DJV. Er kann das nicht nachvollziehen.
    Überall: "Es ist ganz klar im Pressekodex festgelegt: Journalisten geben sich zu erkennen. Es kann Situationen geben, wo man sich ein Pseudonym zulegt, aber das ist üblicherweise nicht mit einer Legende verbunden und gilt auch nur für eine konkrete Recherche. Dass man sich hier so eine Legende zusammenstrickt und da im Internet mit auftritt, das ist unglaublich."
    Rechtsextremistische Positionen sollen als "normal" betrachtet werden
    Warum haben die Depeschen mit erfundenen Autoren gearbeitet? Eine mögliche Erklärung könnte in politisch verfänglichen Inhalten in den Depeschen liegen. Die Online-Portale richten sich an ein bürgerlich-konservatives Publikum. Aber in der Vergangenheit finden sich immer wieder NPD-nahe Meldungen. Es werden Aufrufe zu NPD-Kundgebungen transportiert oder NPD-Funktionären wie dem ehemaligen sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel. Er wird zitiert, Deutsche seien "Freiwild für kulturfremde Asylbetrüger". Gansel war bis 2015 selbst Autor der Depeschen. Für den sächsischen Verfassungsschutz ist die Sachsen-Depesche keine Unbekannte. Sie ist zwar kein Beobachtungsobjekt.
    Die Behörde erklärt auf Anfrage: "Dem Landesamt ist allerdings bekannt, dass in der Vergangenheit Rechtsextremisten, zum Beispiel Herr Gansel für diese Publikation Beiträge lieferten. Rechtsextremiste sind bestrebt, sich so oft wie möglich medial präsent zu zeigen. Sie möchten eine breite öffentliche Wahrnehmung erreichen und streben dadurch eine Art 'Normalisierung' von rechtsextremistischen Positionen an."
    Augen auf bei Artikeln von Fake-Journalisten
    Wurden hier möglicherweise Autoren erfunden, um dahinter Personen mit rechtsextremen Tendenzen zu verstecken? Der DJV-Vorsitzende Frank Überall hat für dieses Versteckspiel eine Erklärung. Da wo sich Zeitungen aus Regionen zurück ziehen, würden Rechtsextreme versuchen, das Vakuum zu füllen.
    "Es geht um die Anschlussfähigkeit im öffentlichen Diskurs. Da merken natürlich auch diese Gruppierungen also die Gruppierungen von rechtsradikaler Seite, dass sie alleine über die sozialen Medien nicht so richtig weiter kommen. Und da tauchen immer wieder neue Marken gerade im Internet auf. Es gibt Lokalblogs, da wo eine Tageszeitung die Ausgabe einstellt und so weiter. Insofern, auch etablierte Häuser versuchen, auch mit neuen Projekten in diese Online-Welt einzudringen. Und da haben wir heute die Schwierigkeit, dass vieles professionell gemacht aussieht, aber nicht professional gemacht ist."
    Eine Gefahr für die Demokratie, wenn sich in diesen als seriös getarnten Medien Rechtsextreme tummeln. Ein Grund mehr, bei Medien mit erfundenen Autoren genauer hinzuschauen.