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"Deponie Highfield" am Akademietheater
René Polleschs Hofreitschule

Sieben Lipizzaner und ein Starensemble auf der Bühne - für sein neues Stück wurde René Pollesch in Wien bejubelt. Zwischen politischem Diskurs und tierischer Dressur improvisiert sich das Ensemble virtuos durch den Abend, ein tieferer Sinn erschließt sich aber nicht.

Von Michael Laages | 25.05.2019
Birgit Minichmayr und Martin Wuttke in René Polleschs "Deponie Highfield" am Wiener Akademietheater
Ein Gaul für alle Fälle - Birgit Minichmayr, Martin Wuttke und Lipizzaner in René Polleschs „Deponie Highfield“ (Reinhard Werner/Burgtheater)
"Wir kümmern uns hier um die Frage, ob man auf Lippizanern reiten kann. Äh, rauchen."
Tatsächlich stehen sieben lebensgroße Lipizzaner auf der grünen Bühnen-Wiese von Katrin Brack, sechs blendend weiß, einer dunkelbraun; und wie "Die glorreichen Sieben" im Kino-Western von John Sturges (allerdings ironischerweise eben nur zu fünft, dafür aber umso mehr mit den Revolvern herum fuchtelnd!) nehmen die Frauen um Martin Wuttke immer wieder Platz auf deren Rücken.
Der Cowboy-Hahn im Amazonen-Trupp raucht sogar da oben – deshalb die auch in der Premiere absichtsvoll verstolperte Sinn-Frage von Wuttke. Die Kunst-Tiere können virtuos mit den Ohren wackeln und mit den Schwänzen wedeln in dramatischeren Momenten; dann dampfen sie nebelwerferisch aus den Nüstern. Gegen Ende geht’s einem der Rosse dann gar nicht gut, und ihm fällt dekorativ recht viel Sabber aus dem Maul.

Die Tiere stehen allerdings nicht nur rum, sondern auch mit im Zentrum von Polleschs wie immer recht krude durcheinander gemischten Gedanken-Salat, nicht nur gegen Ende, wenn ziemlich albern mit der Verwechselbarkeit der Namen "Lipizza" (wo die Pferde herkommen) und "Ibiza" gespielt wird – wo Vizekanzler Strache bekanntlich die rechts-konservative Koalition versenkte. Der österreichische Polit-Skandal brodelt weiter, und das Wiener Publikum hat seinen Spaß.
Erwartungen des Publikums werden karikiert
Aber auch recht ernsthaft geht es um Tiere, speziell um vom Menschen dressierte – wer führt hier eigentlich wen vor, lässt Pollesch fragen: tatsächlich Dompteurinnen und Dompteure, die mehr oder weniger domestizierte Kreatur? Oder hält nicht eigentlich die den dummen Menschen auf Trab – und lacht sich innerlich scheckig über dessen Bemühen, ihm irgendetwas beizubringen. Das ist aber (wie immer) nur einer der Denkstränge, an denen sich das Ensemble entlang hangelt. Vieles wirkt improvisierter als sonst, und die Souffleuse Sibylle Fuchs, gut sicht- und hörbar rechts am Bühnenrand im Akademietheater postiert, hat richtig viel zu tun in gut 100 Minuten.
Vom dauernden Vergessen handelt obendrein ein weiterer Denk-Ansatz, der sich mischt mit Polleschs ewigem Thema: dem der verlorenen Liebe. Hier staunen rundum alle Beteiligten immer wieder von neuem darüber, wie unerhört schnell, zwei Tage nach der Trennung nur, selbst die größte Liebe des Lebens vergessen sein kann.
Obendrein spielt das Ensemble aber auch exzessiv und geradezu demonstrativ mit dem theater-typischen Hang, Text zu vergessen; und karikiert die ziemlich absurde Erwartung des Publikums, dass ein "großer Abend" bitteschön noch viele, viele Tage - wenn nicht noch länger - präsent zu bleiben habe in Erinnerung und Bewusstsein der Kundschaft. "Deponie Highfield" gibt sich redlich Mühe, dass das in diesem Fall nicht so ist.
"Mein Leben ist eine Katastrophe! Ich meine, als ich den Lehrerjob bei der CIA gekündigt habe, da dachte ich noch, alles wird anders. Aber ich bin die selbe Langweilerin wie vorher."
"Also wenn du mich fragts: Ich find' dich super, so wie du bist!"
Und auch noch ein Denk-Konstrukt versucht dieser Pollesch-Abend praktisch zu belegen – immerzu werde das, worum es womöglich gehen könnte, umstandslos und rückstandsfrei ersetzt durch den, der diesen Inhalt "repräsentiert": die Schauspielerin und den Schauspieler. Und tatsächlich schauen wir mit Gewinn ja tatsächlich auch nur den Repräsentierenden zu: Kathrin Angerer im immer halb-beleidigten Nöl-Ton und Birgit Minichmair als ewiger Kratzbürste, der handfesten Caroline Peters und der noch recht frisch in Truppe agierenden Irina Sulaver; schließlich Wuttke als alterndem Hippie-Cowboy mit Knickebeinen, wenn er vom Pferd geklettert kommt.
Ihnen ist auch im forcierten Improvisieren dieses Abends gut zuzuhören, wenn auch sicher deutlich zu lang – während die szenischen Vorgänge bestenfalls knapp über Null rangieren. Als hätte "das Stück" drei Akte, bricht zweimal zwischendrin ein furioses Western-Geballer aus, und das Ensemble mimt "Rauchende Colts"; sonst ist nichts – alle stehen an ihren Pferden oder sitzen drauf, und am liebsten hocken sie wohl wie am Lagerfeuer beieinander, rauchen in einen Scheuereimer und hören einander zu.
Gesehen und vergessen
Das ist die immerzu und überall gut geölt funktionierende "Methode Pollesch", und dieses Quintett repräsentiert sie problemlos als hippes Ereignis: Jubel gibt’s wie beim Pop-Konzert in Wien. Ach ja: Und die "Deponie Highfield" wäre der Ort, wo all das endgelagert und rückstandsfrei verkompostiert wird. Ob es womöglich um mehr ging, außer um die Pferde – das ist schon jetzt, keinen ganzen Tag danach, so gut wie vergessen.