Meurer: Pure Angst, das merke ich in vielen Gesprächen, die ich täglich mit Menschen in Bagdad führe. Ich telefoniere dorthin, habe einen Kreis von Verwandten und Bekannten, natürlich meine eigene Familie, die dort lebt und es ist nur Angst. Teilweise bringen sie das zum Ausdruck, teilweise sagen sie es nicht aus Scham oder aber sie wollen uns nicht unnötig Sorgen machen. Meine Mutter sagte mir zum Beispiel gestern nacht wörtlich, dass nicht nur die Häuser durch die Bomben erschüttert wurden, auch wir Menschen mit den Wänden. Das muss man sich bildlich vorstellen, dass die Menschen genau wie die Wände erschüttert werden und für einen Moment konnte ich nichts sagen, konnte es nicht kommentieren, wusste auch nicht, was ich sie fragen soll, wenn eine ältere, etwa 70-jährige Dame so etwas sagt.
Hussain: Herr Hussain, was erfahren Sie über Verletzte und Tote unter der Zivilbevölkerung in Bagdad oder anderen Städten im Irak?
Meurer: Ich glaube in Bagdad hält es sich noch im Rahmen, ohne es schönzureden, das beabsichtige ich nicht. Aber Krieg ist nun mal Krieg und wenn ich es mit 1991 vergleiche, ist noch nicht das Größte passiert, was Menschenleben angeht, das muss man schon sagen. Wir wissen jetzt aber nicht, was in vielen anderen Städten passiert, wo jetzt langsam ein Partisanenkampf entsteht und das kostete auch unheimlich viele Menschenleben auf beiden Seiten. Die Verletzten sind enorm, aber die Zahl der Toten hält sich im Rahmen.
Hussain: Also scheint es tatsächlich so zu sein, dass in Bagdad die Raketen und Bomben diesmal präziser einschlagen, als es vor zwölf Jahren der Fall war.
Meurer: Das sehe ich auch so. Tatsache ist, dass nur westlich von Bagdad jene Stadtteile bombardiert werden, in denen auch Regierungsgebäude und Regierungseinrichtungen vorhanden sind. Noch haben sie die anderen Stadtteile, wo die Staatsfunktionäre leben, wo sie ihre Häuser und Wohnungen haben, nicht angegriffen und dabei können schon sehr viele Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden.
Hussain: Haben die Menschen im Irak, in der Hauptstadt Bagdad, Angst vor Saddam Hussein, seinen Leuten, Geheimdienstmitarbeitern?
Meurer: Ja, das ist richtig und ich habe gestern eine Aussage von den sogenannten Fedajin Saddam gehört, da sagte jemand ganz stolz: wir töten die Amerikaner und wir töten auch diejenigen, die nicht gegen die Amerikaner kämpfen. Der Druck ist eindeutig, die Menschen haben nach wir vor Angst, ich merke das in Gesprächen, manche wagen auch manchmal laut zu sagen, was sie denken, die anderen halten noch den Mund aus Angst, dass sie unter diesen Bedingungen verhaften würde.
Hussain: Die Gefahr besteht also, wer zu laut seine Meinung sagt, kann verhaftet werden. Es gibt jetzt auch Befehle an die Parteifunktionäre, dass sie auch sofort ohne weiteres erschossen werden.
Meurer: Werden es die Iraker begrüßen, wenn Saddam Hussein als Diktator, auf welche Weise auch immer, zum Abgang gezwungen wird?
Hussain: Auf jeden Fall, dass muss man sagen. Es gibt eine Mehrheit hierfür, ich kann jetzt nicht sagen, ob das 90 Prozent ist oder 95 Prozent, das ist sehr schwierig. Allerdings macht es vielen Menschen dort Probleme, dass die Amerikaner diese Aufgabe übernehmen, man hätte es gerne gehabt, wenn die UNO es übernommen hätte, Irak zum Beispiel direkt unter UNO-Mandat zu stellen, ohne kriegerische Mittel zu isolieren. Das wäre für viele Menschen viel einfacher.
Meurer: Aber es herrscht schon die Hoffnung, dass sich nach dem Krieg alles zum besseren wenden könnte?
Hussain: Ja, das ist tatsächlich das schreckliche Ende, das wir jetzt erleben, um irgendeinen Schrecken zu beenden. Das ist eine Tatsache, ich war zwei Monate im Nordirak und habe in vielen Gesprächen mitgekriegt: abtrünnige Generäle, Offiziere oder Funktionäre erzählen von ihre eigenen Kreisen, alle warten darauf, dass sie befreit werden. Natürlich erwartet niemand, dass sie von den Amerikanern befreit werden, das ist klar. Aber der Abgang von Saddam Hussein wird als eine Befreiung verstanden, egal von wem.
Meurer: Der irakische Journalist von der Deutschen Welle Hasan Hussain bei mir im Studio. Herzlichen Danke für den Besuch, Wiedersehen.
Link: Interview als RealAudio