Dienstag, 14. Mai 2024

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Der amerikanische Ingenieur Philip Drinker stellt die erste "Eiserne Lunge" vor

Menschen künstlich beatmen zu können, gehört zu den größten Errungenschaften moderner Intensivmedizin. Bis zum Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es nur wenige, deren Phantasie ausreichte, sich so etwas überhaupt vorzustellen. Zu fremd war der Gedanke damals noch, das Leben eines Menschen einer Maschine anzuvertrauen. Philip Drinker, der amerikanische Ingenieur, der die erste "Eiserne Lunge" baute, hatte den nötigen Mut. Er experimentierte mit Tieren, bevor er sich in einem Prototyp seines Apparats erstmals selber beatmen ließ. Drinker kooperierte mit der Harvard-Universität in Boston - unterstützt unter anderem von der New Yorker Gas- und Elektrizitätsgesellschaft, die nach Mitteln suchte, um Menschen zu helfen, die nach einer Gasvergiftung oder einem Stromschlag zu ersticken drohten. In der Kinderklinik von Boston wurden schließlich die ersten Geräte installiert, den Ausschlag gab eine Polio-Epidemie. Drinkers Schwester Catherine, eine bekannte Schriftstellerin, erinnerte sich daran in einem Familienportrait:

Von Irene Meichsner | 14.09.2004
    Phil hatte Kinder ersticken gesehen. Er konnte den Anblick nicht vergessen: ihre kleinen, blau angelaufenen Gesichter, die Verzweiflung, mit der sie nach Luft schnappten. Eigentlich war das Beatmungsgerät gar nicht für Kinder konstruiert. Aber der Zufall wollte es, dass - als der Apparat fertig war - ein kleines Mädchen mit schwerer Kinderlähmung eingeliefert wurde. Als Phil in die Klinik kam, lag das Kind schon in der Maschine - bewusstlos. Das Personal hatte nicht gewagt, den Strom anzustellen. Phil schaltete die Pumpe ein, und nach wenigen Minuten war das Mädchen wieder zu sich gekommen. Es fragte nach Eiskrem. Phil sagte später, er habe nur da gestanden und geweint.

    Nur der Kopf ragte aus einer "Eisernen Lunge" heraus. Der Körper war von einem Metallzylinder vollständig umschlossen; rhythmisch wechselnd wurden darin ein Über- und Unterdruck erzeugt. Die Rippen seien durch den hohen Druck regelrecht nach innen gebogen worden, berichtete eine Frau, die zwei Jahre in einer Eisernen Lunge verbrachte:

    Dadurch schoss die Luft aus meinem Mund. Ließ der Druck nach, weiteten sich die Rippen und Lungen wieder, was dazu führte, dass Luft durch meinen Mund eingesogen wurde. So atmete ich.

    Viele Ärzte waren anfangs noch skeptisch. Über das Für und Wider der künstlichen Beatmung habe man leidenschaftlich diskutiert, schrieb James Wilson, einer der Pioniere aus Boston, 1979 in seinen Memoiren:

    Die Diskussion kreiste um die moralische Rechtfertigung, eine solche Maschine einzusetzen. Wir wussten ja nicht, ob die Atemmuskulatur sich wieder erholen würde oder ob der Polio-Kranke, dem wir mit dieser Maschine das Leben retteten, darin den Rest seines Lebens würde verbringen müssen.
    Es war das ethische Dilemma, in dem die Apparatemedizin heute noch steckt. Ein junger Mann, der weltweit Schlagzeilen machte, lebte 18 Jahre in einer Eisernen Lunge. Andere brauchten die Atemhilfe nur für kurze Zeit. Viele empfanden anfangs eine große Erleichterung - wie diese Polio-Patientin:

    Ich musste nicht mehr kämpfen um jeden Atemzug –wunderbar. Ich wusste ja nicht, dass es mir schlechter ging und meine Familie sich große Sorgen machte.

    Mit der Zeit wuchs die Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit. Was eine Frau als neunjähriges Mädchen erlebte, war kein Einzelfall:

    Einmal verrutschte das Tuch, das man mir um den Hals gebunden hatte. Ich bekam keine Luft mehr. Ich schrie und rief nach einer Krankenschwester. Sie kam herein, wirkte frustriert, völlig überarbeitet. Sie sagte nur, ich solle endlich aufhören zu schreien. Sie sagte, dass sie mein Beatmungsgerät abstellen würde, wenn ich nicht aufhören würde zu schreien. Als sie das tat, bin ich in Ohnmacht gefallen.

    An Spezialkliniken entstanden Beatmungszentren für Polio-Kranke - die Vorläufer der modernen Intensivstation. Derweil arbeiteten Mediziner fieberhaft an neuen Behandlungsstrategien. Mit den Impfkampagnen gegen die Kinderlähmung endete Anfang der 60er Jahre auch die Ära der Eisernen Lunge. Der Hamburger Virologe Heinrich Pette hat diesen Triumph noch persönlich miterlebt.

    Ich darf sagen, es ist das schönste Geschenk. Nach jahrelangem Bemühen - jahrzehntelang, man wusste es nicht. Dieser Rückgang der Lähmungsfälle, überhaupt dieser Fälle von Kinderlähmung, ist auf die orale Schutzimpfung zurückzuführen. Davon bin ich restlos überzeugt.

    Wenn heute Menschen beatmet werden müssen, bläst man ihnen Luft über einen Intubator durch Mund und Nase in die Atemwege. Die "Eisernen Lungen" wurden weitgehend demontiert, vereinzelt sieht man sie noch in medizinhistorischen Museen.