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Der angeklagte Ermittler

Nun sitzt der spanische Richter Baltasar Garzón also zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit auf der Anklagebank. Der Vorwurf auch diesmal: Er habe wider besseren Wissens Entscheidungen getroffen, die nicht mit den Gesetzen zu vereinbaren sind. Es geht um seine Versuche, Verbrechen der Franco-Diktatur aufzuklären.

Von Hans-Günter Kellner |
    Spanien 1936. Die Generäle um Francisco Franco haben zum Staatsstreich gegen die demokratische spanische Republik aufgerufen. Vielerorts kommt es zu Kämpfen zwischen Anhängern der Republik und Putschisten. Wo sich der Staatsstreich durchsetzt, werden die Dörfer gesäubert - von "Roten und Marxisten", wie die Franco-treue Presse damals abfällig schrieb. 70 Jahre danach sagt Garzóns Rechtsanwalt Gonzalo Martínez-Fresneda über die Fälle, sie sein Mandant untersuchen wollte:

    "Es geht um das Verschwindenlassen von Menschen. Die irgendwann aus ihren Häusern und Wohnungen abgeholt worden sind, und von denen man nie mehr wieder etwas erfahren hat. Ihre Leichen sind nie aufgefunden worden, es gibt keine Nachweise für ihren Tod. Das Verschwindenlassen ist eine Straftat, die so lange begangen wird, bis das Schicksal dieser Menschen aufgeklärt ist, eine Straftat, die Angehörigen noch heute zu Opfern macht."

    Damit folgte Garzón einer Argumentation, die er schon bei der Aufklärung von Verbrechen der Militärs in Argentinien oder Chile angewandt hatte – und die der spanische Oberste Gerichtshof damals noch billigte. Der Gerichtshof folgte auch der Auffassung Garzóns, das bei solchen besonders schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit Schlussstrichgesetze keine Gültigkeit haben. Doch nun soll er das Recht gebeugt haben, weil er bei seinen Ermittlungen das spanische Amnestiegesetz von 1977 ignoriert hatte. Zur Klärung wollte sein Rechtsanwalt prominente Zeugen nach Madrid holen:

    "Wir hatten eine Reihe von Zeugen vorgeschlagen, die das Gericht leider abgelehnt hat. Das waren anerkannte Juristen wie die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Carla del Ponte. Diese Zeugen interpretierten das internationale Strafrecht ähnlich wie Baltasar Garzón. Wir wollten damit darlegen, dass Garzón das Recht nicht anders interpretiert hat, als andere anerkannte Juristen in vielen zivilisierten Ländern der Welt bei der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit."

    Die Anklage stützt sich allein auf die Anzeige zweier rechtsradikaler Organisationen. Es sind aber längst nicht nur Franco-Nostalgiker, die das spanische Amnestiegesetz nicht für vergleichbar halten mit den Schlussstrichgesetzen in Lateinamerika. Gil Pecho Román ist Historiker an der rennomierten Uned-Universität. Er will die Anklage gegen Garzón nicht verteidigen. Aber er wirbt für Verständnis für den juristischen Neuanfang in den 70er-Jahren:

    "Die Angst, dass die Linke durch eine Revolution an die Macht kommen oder das Franco-Regime mit einem Staatsstreich zurückkehren könnte und dann alte Rechnungen beglichen würden, diese Angst war damals groß. Wer sich an den Bürgerkrieg erinnern konnte, wollte nach vorne blicken. Diese Leute wollten einen Konsens über die Zukunft, in der die Vergangenheit keine Macht mehr über die Spanier haben sollte."

    Über diesen Wunsch habe sich Garzón hinweggesetzt, als er die Anzeigen der Hinterbliebenen von Franco-Opfern zuließ, so die Anklageschrift. Allerdings holt die Vergangenheit die Spanier trotz des Gesetzes jeden Sommer aufs Neue ein. Garzón selbst erklärt dazu:

    "Hier entstand im Jahr 2000 eine Bewegung, die Hinterbliebenen exhumieren die Opfer jeden Sommer auf eigene Faust. Im Jahr 2007 kam das Gesetz zum Historischen Gedächtnis. Da kam erstmals die Forderung nach einer juristischen Aufarbeitung auf. Wenn die Angehörigen Anzeige erstatten, muss der Untersuchungsrichter doch aktiv werden. Er bewertet die Fälle nach nationalen und internationalen Regeln und trifft eine Entscheidung. Das ist doch normal."

    Zur Verhandlung sind zahlreiche Menschenrechtsorganisationen nach Madrid gereist. Reed Brody von Human Rights Watch hat die Aufarbeitung der Diktaturen in Lateinamerika intensiv beobachtet. Garzón sei der einzige ihm bekannte Richter, der für den Versuch, die Verbrechen eines solchen Regimes aufzuklären, selbst angeklagt werde, erklärt der Menschenrechtler zum Vorwurf der Rechtsbeugung:

    "Die Frage ist, ob seine Entscheidung dem Recht entsprochen hat oder nicht. Und, ob es ihm bewusst gewesen sein muss, dass er ganz offensichtlich gegen das Gesetz verstößt. Aber wie kann man von einem offensichtlichen Rechtsbruch sprechen, wenn das internationale Recht Garzón doch stützt? Außerdem hat auch in der Revisionsinstanz nicht jeder für die Annullierung der Ermittlungen gestimmt. Es gab also Richter, die Garzóns Meinung waren."