Der Berliner Sender RIAS in einer Dokumentation am 20. Juni. In der sächsischen Großstadt hat sich die aufgestaute Wut gegen des SED-Regime mit voller Wucht entladen. Die Schauspielerin Walpurgis Brückner-Curth erinnert sich:
Walpurgis Brückner-Curth: "Irgendwann rief mich mein Mann an und sagte, er käme heute später. Da sag ich: ‚Wieso?' Da sagt er: ‚Weißt Du denn nicht was los ist?' ‚Nein', sag ich. ‚Ist was Besonderes?' ‚Ja', sagt er. ‚Es ist Revolution!'
Ein Strom von Tausenden drängte sich durch die Straßen, Gassen und Plätze von Leipzig. Die rauchgeschwängerte Luft war erfüllt von Schreien und Schüssen.
notiert die Studentin Hedwig-Teresia von Peinen in ihrem Tagebuch.
Hedwig-Teresia von Peinen :Mein erster Weg war zum Alten Rathaus. Hier waren schon hunderte von Menschen versammelt und zerstörten den Pavillon der Nationalen Front. Sämtliche Bücher flogen hinaus, Scheiben klirrten, Stühle zerbarsten. Plötzlich stand das Häuschen auf dem Platz in Flammen.
Harald Otto :Die anrückende Feuerwehr wurde von den Arbeitern am Löschen gehindert. ‚Leute, das ist doch Euer Eigentum, Eure Bücher!' ‚Mit diesen Büchern habt Ihr uns jahrelang verdummen wollen, haut ab!' Was die Feuerwehrleute auch taten. So konnte der Pavillon in Ruhe niederbrennen.
Harald Otto, ein weiterer Augenzeuge vor dem Alten Rathaus. Auch der Student Wolfgang Schmidt beobachtet, wie sich im Zentrum von Leipzig der Volkszorn entlädt.
Wolfgang Schmidt: Musste durch die Innenstadt durch. Und sah dort voller Freude am Markt in Leipzig, wo das FDJ-Clubhaus stand, dass aus diesem Hause Rauchschwaden hervorströmten und aus den Geschossen zentnerweise Akten auf den Markt flogen - Das war ein Schmaus für das Herz.
O-Ton RIAS: Beim Durchmarsch durch die Ritterstraße erschienen drei Kübelwagen mit Volkspolizei. Zwei wurden umgekippt. Die Vopos entwaffnet und entkleidet und die Waffen auf den Rinnsteinen zerschlagen. Der dritte Wagen entfernte sich, als der Ruf ertönte, Deutsche dürften nicht auf ihre Brüder schießen.
Harald Otto:Wie leicht konnte man den Kolben abschlagen. Mit meinem Wehrmachtskarabiner hätte man das nicht geschafft. Deutsche Wertarbeit. Und dann ging die Gaudi los. An einer Seite des LKW reihten sich die Männer auf, schaukelten den LKW so lange hoch, bis er umkippte, das ging erstaunlicherweise ganz schnell.
Und mit dem Polizei-LKW scheint auch das Regime zu kippen.
Walpurgis Brückner-Curth:Die Leute lachten, die waren aufgedreht, sie gaben an, dass sie Bonzen verkloppt haben und dass nun die Herrschaft zu Ende wäre. Es war - das kann man nicht nachmachen. Eine Euphorie, die also unsagbar war. Und der Freund von meinem Mann, der Jurist, der sagte: ‚Bitte haltet euch zurück. Noch ist der Tag nicht zu Ende.'
Die Schriftsetzerin Lilo Küster erlebt, wie eine aufgebrachte Menge die Leipziger Volkszeitung stürmt und einen besonders verhaßten Journalisten sucht.
Lilo Küster:Wir hatten eine dichte Kette gebildet und uns fest untergehakt, um zu verhindern, daß die Wütenden zu den Druckmaschinen im Erdgeschoß gelangten. ABer das nützte nicht lange. Wir wurden gestoßen, manche geschlagen und mir spuckte eine Frau ins Gesicht. Man merkte, daß viele angetrunken waren.
Auch der Oberschüler und SED-Kandidat Thomas Henschel beobachtet die gewaltsamen Übergriffe mit Abscheu:
Thomas Henschel: Als ich zu Fuß ins Leipziger Stadtzentrum lief, erlebte ich Unglaubliches. Junge Männer schlugen kollektiv einen alten Herren zusammen, der ein SED-Abzeichen trug.
Traugott Schmitt:Vor uns hatten Arbeiter einen Demonstranten entdeckt, der ein SED-Abzeichen trug und gingen ihm an Hals und Kragen.
erinnert sich Traugott Schmitt, damals Theologiestudent.
Traugott Schmitt:Der Mann zeigte sich toterschrocken und riss sich selber das Parteiabzeichen vom Revers seiner Jacke, warf es auf das Trottoir und schrie: 'Kameraden, das hatte ich doch ganz vergessen, das verdammte Ding', trat rasend mit den Füßen drauf
Am Polizeipräsidium eskaliert die Situation. Manfred Andreas, damals Student, beobachtet:
Manfred Andreas:Da waren also etliche Demonstranten, die mit einer Straßenbahnschiene das Tor bearbeiteten, indem sie also Anlauf nahmen und die Schiene gegen das Tor rammten
Als die Menschenmenge in das Gefängnis eindringt, eröffnet das Wachpersonal das Feuer. Es gibt Tote und Verletzte. Auch der Lehrling Karl Heinz Fecheler wird, obwohl nicht aktiv am Geschehen beteiligt, getroffen.
Karl Heinz Fecheler:Den Schuß vernahm ich nicht, nur noch das flammendheiße Gefühl im linken Fuß, das mich niedersinken ließ.
Kurz darauf greift sowjetisches Militär ein. Der Lehrling Heinz Strey.
Heinz Strey:Zwei LKW mit sowjetischen Soldaten fuhren am Gefängnisgebäude in die Menschenmenge hinein, hielten vor dem Gefängnis und schossen über die Köpfe der Demonstranten, die fluchtartig den Platz verließen.
Otto:Ich alter Infanterist merkte sofort, das waren Platzpatronen. Nicht lange danach kamen aber scharfe Schüsse. Sofort schmiss ich mich hinter eine Bodenerhebung in den Anlagen. Die Russen schossen weiter. Mindestens einen Mann haben sie erschossen.
Walpurgis Brückner-Curth entdeckt die Plakate, auf denen die Sowjets den Ausnahmezustand verkünden. Der Freund ihres Mannes sieht sich bestätigt:
Walpurgis Brückner-Curth: vorbei, jetzt passiert gar nichts mehr, es wird alles nur noch schlimmer, womit er recht behielt.
Die Panzer dominieren bald die gesamte Leipziger Innenstadt. Die Schülerin Ingrid Simon beobachtet:
Ingrid Simon:Gegen 17 Uhr kam viel russische Armee angefahren mit Gewehren und sperrte den Platz um das Reichsgericht ab. Ganz plötzlich war es still geworden. Ein Soldat mit gezogenem Gewehr stand da. Niemand wurde mehr durchgelassen.
Der 17. Juni in Leipzig. Selbst für Kinder wie den damals neunjährigen Berthold Schmidt bleibt er ein denkwürdiger Tag.
Berthold Schmidt:Was mir in Erinnerung geblieben ist, es wurden an diesem Abend nicht einmal die Füsse kontrolliert, ob sie sauber waren. Das war für mich unbegreiflich. Daran merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte.
Walpurgis Brückner-Curth: "Irgendwann rief mich mein Mann an und sagte, er käme heute später. Da sag ich: ‚Wieso?' Da sagt er: ‚Weißt Du denn nicht was los ist?' ‚Nein', sag ich. ‚Ist was Besonderes?' ‚Ja', sagt er. ‚Es ist Revolution!'
Ein Strom von Tausenden drängte sich durch die Straßen, Gassen und Plätze von Leipzig. Die rauchgeschwängerte Luft war erfüllt von Schreien und Schüssen.
notiert die Studentin Hedwig-Teresia von Peinen in ihrem Tagebuch.
Hedwig-Teresia von Peinen :Mein erster Weg war zum Alten Rathaus. Hier waren schon hunderte von Menschen versammelt und zerstörten den Pavillon der Nationalen Front. Sämtliche Bücher flogen hinaus, Scheiben klirrten, Stühle zerbarsten. Plötzlich stand das Häuschen auf dem Platz in Flammen.
Harald Otto :Die anrückende Feuerwehr wurde von den Arbeitern am Löschen gehindert. ‚Leute, das ist doch Euer Eigentum, Eure Bücher!' ‚Mit diesen Büchern habt Ihr uns jahrelang verdummen wollen, haut ab!' Was die Feuerwehrleute auch taten. So konnte der Pavillon in Ruhe niederbrennen.
Harald Otto, ein weiterer Augenzeuge vor dem Alten Rathaus. Auch der Student Wolfgang Schmidt beobachtet, wie sich im Zentrum von Leipzig der Volkszorn entlädt.
Wolfgang Schmidt: Musste durch die Innenstadt durch. Und sah dort voller Freude am Markt in Leipzig, wo das FDJ-Clubhaus stand, dass aus diesem Hause Rauchschwaden hervorströmten und aus den Geschossen zentnerweise Akten auf den Markt flogen - Das war ein Schmaus für das Herz.
O-Ton RIAS: Beim Durchmarsch durch die Ritterstraße erschienen drei Kübelwagen mit Volkspolizei. Zwei wurden umgekippt. Die Vopos entwaffnet und entkleidet und die Waffen auf den Rinnsteinen zerschlagen. Der dritte Wagen entfernte sich, als der Ruf ertönte, Deutsche dürften nicht auf ihre Brüder schießen.
Harald Otto:Wie leicht konnte man den Kolben abschlagen. Mit meinem Wehrmachtskarabiner hätte man das nicht geschafft. Deutsche Wertarbeit. Und dann ging die Gaudi los. An einer Seite des LKW reihten sich die Männer auf, schaukelten den LKW so lange hoch, bis er umkippte, das ging erstaunlicherweise ganz schnell.
Und mit dem Polizei-LKW scheint auch das Regime zu kippen.
Walpurgis Brückner-Curth:Die Leute lachten, die waren aufgedreht, sie gaben an, dass sie Bonzen verkloppt haben und dass nun die Herrschaft zu Ende wäre. Es war - das kann man nicht nachmachen. Eine Euphorie, die also unsagbar war. Und der Freund von meinem Mann, der Jurist, der sagte: ‚Bitte haltet euch zurück. Noch ist der Tag nicht zu Ende.'
Die Schriftsetzerin Lilo Küster erlebt, wie eine aufgebrachte Menge die Leipziger Volkszeitung stürmt und einen besonders verhaßten Journalisten sucht.
Lilo Küster:Wir hatten eine dichte Kette gebildet und uns fest untergehakt, um zu verhindern, daß die Wütenden zu den Druckmaschinen im Erdgeschoß gelangten. ABer das nützte nicht lange. Wir wurden gestoßen, manche geschlagen und mir spuckte eine Frau ins Gesicht. Man merkte, daß viele angetrunken waren.
Auch der Oberschüler und SED-Kandidat Thomas Henschel beobachtet die gewaltsamen Übergriffe mit Abscheu:
Thomas Henschel: Als ich zu Fuß ins Leipziger Stadtzentrum lief, erlebte ich Unglaubliches. Junge Männer schlugen kollektiv einen alten Herren zusammen, der ein SED-Abzeichen trug.
Traugott Schmitt:Vor uns hatten Arbeiter einen Demonstranten entdeckt, der ein SED-Abzeichen trug und gingen ihm an Hals und Kragen.
erinnert sich Traugott Schmitt, damals Theologiestudent.
Traugott Schmitt:Der Mann zeigte sich toterschrocken und riss sich selber das Parteiabzeichen vom Revers seiner Jacke, warf es auf das Trottoir und schrie: 'Kameraden, das hatte ich doch ganz vergessen, das verdammte Ding', trat rasend mit den Füßen drauf
Am Polizeipräsidium eskaliert die Situation. Manfred Andreas, damals Student, beobachtet:
Manfred Andreas:Da waren also etliche Demonstranten, die mit einer Straßenbahnschiene das Tor bearbeiteten, indem sie also Anlauf nahmen und die Schiene gegen das Tor rammten
Als die Menschenmenge in das Gefängnis eindringt, eröffnet das Wachpersonal das Feuer. Es gibt Tote und Verletzte. Auch der Lehrling Karl Heinz Fecheler wird, obwohl nicht aktiv am Geschehen beteiligt, getroffen.
Karl Heinz Fecheler:Den Schuß vernahm ich nicht, nur noch das flammendheiße Gefühl im linken Fuß, das mich niedersinken ließ.
Kurz darauf greift sowjetisches Militär ein. Der Lehrling Heinz Strey.
Heinz Strey:Zwei LKW mit sowjetischen Soldaten fuhren am Gefängnisgebäude in die Menschenmenge hinein, hielten vor dem Gefängnis und schossen über die Köpfe der Demonstranten, die fluchtartig den Platz verließen.
Otto:Ich alter Infanterist merkte sofort, das waren Platzpatronen. Nicht lange danach kamen aber scharfe Schüsse. Sofort schmiss ich mich hinter eine Bodenerhebung in den Anlagen. Die Russen schossen weiter. Mindestens einen Mann haben sie erschossen.
Walpurgis Brückner-Curth entdeckt die Plakate, auf denen die Sowjets den Ausnahmezustand verkünden. Der Freund ihres Mannes sieht sich bestätigt:
Walpurgis Brückner-Curth: vorbei, jetzt passiert gar nichts mehr, es wird alles nur noch schlimmer, womit er recht behielt.
Die Panzer dominieren bald die gesamte Leipziger Innenstadt. Die Schülerin Ingrid Simon beobachtet:
Ingrid Simon:Gegen 17 Uhr kam viel russische Armee angefahren mit Gewehren und sperrte den Platz um das Reichsgericht ab. Ganz plötzlich war es still geworden. Ein Soldat mit gezogenem Gewehr stand da. Niemand wurde mehr durchgelassen.
Der 17. Juni in Leipzig. Selbst für Kinder wie den damals neunjährigen Berthold Schmidt bleibt er ein denkwürdiger Tag.
Berthold Schmidt:Was mir in Erinnerung geblieben ist, es wurden an diesem Abend nicht einmal die Füsse kontrolliert, ob sie sauber waren. Das war für mich unbegreiflich. Daran merkte ich, dass irgendetwas nicht stimmte.