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Der Auftritt der Leidensmänner

Trappistenmönche im algerischen Atlasgebirge, die sich gegen Besatzer singend innerlich wehren und Leidensmänner allerorten. Das Wettbewerbsprogramm des Filmfestivals in Cannes ist so voller Leidensmänner, dass man fast vermuten könnte, dahinter stecke Methode.

Von Josef Schnelle | 20.05.2010
    Trends sind ungerecht und meist werden sie auch noch mit aller Gewalt zurechtgebogen. Wenn man ein Festivalprogramm macht, dann möchte man einfach die besten Filme haben und einen bunten Querschnitt, der die ganze Welt umfasst. Will man aber begreifen, was in der Welt so los ist, dann befindet man sich doch schnell auf der Suche nach dem einen übergreifenden Thema und hat wohlmöglich auch noch ins Schwarze getroffen.

    Sicher hat Festivalchef Thierry Fremaux sich keine besondere Mühe gegeben, Geschichten von Männern zu finden, die an ihrer Existenz leiden, und doch ist sein Wettbewerbsprogramm von schieren 19 Filmen so voller Leidensmänner, dass man fast vermuten könnte, dahinter stecke Methode.

    Mahamat Saleh-Haroun aus dem Tschad erzählt die Geschichte eines Vaters, der seinen Sohn ans Militär verrät. Er will dessen Job und bekommt den Sohn nur noch sterbend zurück. Die Verhältnisse sind eben so, dass man ihn fast versteht "L´Homme qui crie", diesen Mann, der sein Elend herausschreit, schließlich geht es nur um ein elendes Leben an der Armutsgrenze, das er sich bewahren möchte. Sozialrealistisches Kino als moralisches Melodram.

    Das kann man auch von "Biutiful" sagen, von Alejandro Gonzalez Inarritus neuem Film, der sehnsüchtig erwartet wurde, und wenigstens konsequenten Stilwillen und Engagement in die Waagschale für die begehrte goldene Palme warf. In Barcelona verzweifelt Javier Bardem als kleiner Dealer und auch sonst so kriminell wie es nur geht, an der Aufgabe in all dem Elend auch noch alleinerziehender Vater zu sein. Die Mutter schaut jedenfalls nur zwischen zwei Drogenexzessen mal vorbei und ist dann schnell mit ihrem Latein am Ende.

    Um die Figuren herum brodelt die Metropole Barcelona mit illegalen Chinesischen Arbeiten, die wie Sklaven in einem Käfig gehalten werden und Afrikanern, die Handtaschen und Sonnenbrillen verkaufen, jedenfalls bis zur nächsten Polizeirazzia. Ganz nah am Leben ist die Kamera - an den Ereignissen ebenso wie an Hauptdarsteller Bardem. Ein schneller, wilder Film, der die Widersprüche seiner Figuren aufbricht, aber nicht zu lösen versucht.

    "Man kann diese Dinge nur in Bildern beschreiben. Worte würden das Ganze reduzieren. Und ich würde das Erlebnis für alle ruinieren. Es ist eine intensive emotionale Reise eines Mannes geworden, der versucht mit seinem Leben im Augenblick seines Zusammenbruchs noch einmal klarzukommen und er findet einen interessanten Ausweg."

    Ussball, das stellt sich bald heraus, hat nur noch wenig Zeit. Sein Krebs frisst ihn auf. Verzweifelt kämpft er darum, den beiden Kindern ein bisschen Sicherheit zu hinterlassen. Doch die spüren schon, dass ihr Vater gerade stirbt. Ein intensives und ergreifendes Stück Kino, an dem die Jury sicher nicht ganz vorbeigehen kann und das das Festival nach sehr moderatem Beginn in Fahrt gebracht hat. Manch einem war Innaritus Meisterstück dann doch zu laut und zu schrill voller lateinamerikanischer christlicher Trivialsymbolik.

    Leiser, aber nicht weniger katholisch kam dann Xavier Beauvois daher mit seinem Film "Des Hommes et des Dieux". Eine kleine Gruppe von Trappistenmönchen in einem Kloster im Atlasgebirge versucht der heraufziehenden Bedrohung durch eine Islamischen Terrororganisation Haltung und Glaubensstärke entgegen zu setzen. Singend erwarten die im algerischen Dorf beliebten Mönche ihre abzusehende Entführung.

    Beauvois beschäftigt sich nicht mit gemeinem Mord oder mit Schuld und Sühne. Er porträtiert die Mönche in Erwartung der Katastrophe: ihre Zweifel, ihre Angst und dagegen die Stärke der Gemeinschaft, die sie trägt. "Ich hab sie alle erlebt, sagt ein Mönch, auch die Nazis und den Teufel. Keiner hat mich brechen können." Der Film beruht auf einem authentischen Fall aus dem Jahr 1996. In der Erörterung der grundlegenden Fragen, die das Thema berührt, ist er ein theologischer Essay, eine große Kinoerzählung und eine Ode an das einfache Leben, bei dem sich die klösterlichen Schmerzensmänner umstandslos läutern. Sie wissen was sie tun - gegen den Trend schwimmen.