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"Der beste Text gibt keine Antworten, sondern stellt viele Fragen"

Colum McCann, Jahrgang 1965, ist einer der wichtigsten irischen Schriftsteller. Sechs Roman hat er veröffentlicht, mit seinem letzten Roman, "Der Tänzer", gelang ihm der Durchbruch auch in Deutschland. Auch Colum McCanns jüngster Roman ist wieder ein Künstlerroman. Es geht um die Sängerin und Dichterin Zoli Novotna, sie stammt aus dem Volk der Roma. Zoli ist eine fiktive Figur, aber in vielen biographischen Details lehnt sich ihre Geschichte an die polnische Romadichterin Papusza an.

Moderation: Tanya Lieske | 31.01.2007
    Tanya Lieske: Colum McCann, warum haben Sie nicht gleich einen Roman geschrieben über Bronislawa Wajs (1910-1987), die den Kosenamen Papusza trug?

    Colum McCann: Also, in meinem letzten Roman geht es um Rudolf Nurejew, wie Sie gesagt haben. Nurejew ist ein großer Junge, ein Held. Er kann sich gut um sich selbst kümmern, und viele Leute werden noch über ihn schreiben. Und er hat mich auch gar nicht so sehr berührt wie diese ganzen kleinen Leute um ihn herum, die Krankenschwestern, Boten, Polizisten und Bühnenarbeiter, die gehen mich wirklich etwas an. Als ich dann auf die Geschichte der Papusza gestoßen bin, wollte ich aus ihrem Leben keinen Roman machen, denn ich wollte nicht lügen. Ich habe so etwas wie eine tiefe kulturelle Verpflichtung gespürt, nicht nur ihr selbst gegenüber, sondern auch in Bezug auf ihr Volk. Es gibt nämlich kaum Bücher, die sich mit den Roma und den Zigeunern beschäftigen, ihre Geschichte muss erst noch erzählt werden.

    Tanya Lieske: Was die beiden Frauen eint, Papusza und Zoli, ist, dass sie die alten Lieder ihres Volkes, der Roma, zu Papier gebracht haben. Damit verstoßen sie gegen ein Tabu, denn eigentlich sollten diese Lieder ja mündlich überliefert werden.

    Colum McCann: Ja, das ist wirklich außergewöhnlich. Ein Volk, das einmal zwischen 10 und 12 Millionen Menschen zählte, hat kaum Geschichten, die niedergeschrieben sind. Das hat vor allem damit zu tun, dass es sich um eine mündliche Kultur handelt. Aber die Roma haben auch ihr Inseldasein gepflegt, und als die ersten Zigeunerdichter auftauchten, wurden sie von der übrigen Gesellschaft eher anerkannt als von ihrem Volk. Das hat mit der Wirkung nach außen zu tun. Es gab diesen Vorbehalt, der Feind sollte nicht zum Freund werden. Mit den Gedichten ging es gut, solange man die Zigeuner akzeptierte. Aber sobald man anfing, die Räder von ihren Wagen zu schlagen oder sie in Hochhaussiedlungen zu zwingen, so wie es die Kommunisten getan haben, oder die Pferde der Roma in der Landwirtschaft einzusetzen, dann liefen die Beziehungen aus dem Ruder. Diese beiden Frauen, Papusza im wahren Leben und Zoli in der Fiktion, haben eine Brücke zwischen den beiden Kulturen geschlagen. Und wenn im Leben etwas schief geht, dann ziehen wir ja alle unsere Brücken hoch. Genau so geschieht es mit Zoli, und so ist es auch mit Papusza passiert. Sie waren Propheten, und wir töten unsere Propheten. Zoli wird ins Exil verstoßen, sie beginnt eine Wanderschaft durch Europa. Mein Roman ist auch eine Parabel für Europa.

    Tanya Lieske: Die Geschichte ihres Lebens ist aus diesem Bruch mit ihrer Zivilisation entwickelt. Es ist ein Bruch der sie letztendlich, so habe ich es jedenfalls gelesen, auch zu einer Art persönlichen Freiheit führt.

    Colum McCann: Ja, das stimmt. Mein Buch erzählt die Geschichte des menschlichen Herzens, wie es sich mit der Macht und dem Verlust und auch den eigenen inneren Konflikten auseinandersetzt. Mich hat diese Frage interessiert, wie kann eine Frau, noch dazu eine verstoßene Frau, wieder nach Hause gelangen, ohne wirklich nach Hause zu gehen. Also: Wo in uns finden wir diesen ganz privaten inneren Raum, in dem unsere Selbstachtung lebt und die Ehrlichkeit und die Zufriedenheit. Zoli wird ja ganz im Sinne des Wortes vergiftet. Sie kann mit keinem anderen Roma mehr sprechen, sie darf keinen Gegenstand der Roma berühren, sei es Teller oder Tasse oder Pferd. Sie wird durch dieses sehr archaische Tabu völlig abgeschnitten von ihrem Volk. Am Ende des Romans findet sie sich auf einer Konferenz in Paris wieder, wo man sie sehr gerne aufnehmen würde, aber sie löst es anders. Sie findet die Zufriedenheit in sich selbst. Eigentlich ist es doch so: Wir alle suchen nach Freude. Oder nach irgendeiner Form von Hoffnung. Vor einigen Jahren habe ich diesen Roman geschrieben, der Himmel unter der Stadt. Ich habe mit den Obdachlosen gelebt in den U-Bahnen von New York. Die Obdachlosen waren ziemlich verrückt, es gab einige, die sich ganz gut durchschlagen konnten, sie hatten sogar nette Unterkünfte. Aber ganz egal wer sie waren, ob schwarz oder weiß oder Mann oder Frau, jeder einzelne hat zu mir gesagt: Wenn ich hier rauskomme. Nicht: Falls ich hier rauskomme, sondern: Wenn ich hier rauskomme. Diese Eigenschaft im Geist des Menschen liebe ich, dass er so unbedingt an das Glück glaubt. Auch wenn sich das Glück nicht einstellt, die Sehnsucht nach dem richtigen Ort bleibt in uns erhalten. Sonst hat das Leben ja gar keinen Sinn mehr.

    Tanya Lieske: Ihr Roman ist auch ein sehr politischer Roman. Er ist in einer Zeit angesiedelt, zu der sehr viel passiert. Er beginnt irgendwo in den dreißiger Jahren, endet mit dem Fall der Berliner Mauer, also mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Und in weiten Teilen beschäftigt er sich mit der Frage, inwieweit Kunst instrumentalisiert wird von einer Macht, von einem Regime.

    Colum McCann: Neulich habe ich mich mit jemand über die Frage unterhalten, warum ich so einen Roman gerade jetzt geschrieben habe, wer fragt schon nach einer Zigeunerfrau, jetzt, hier, zu unserer Zeit. Vor allem wenn man wie ich in New York lebt, ich bin ein Mann, weiß und gehöre zur Mittelklasse. Und so ganz konnte ich diese Frage gar nicht beantworten. Ich vermute, der Roman ist meine Antwort auf das Inseldasein der Amerikaner in den letzten sechs Jahren. Amerika schaut nur noch nach innen. Georg Bush ist wie ein leeres Gefäß, er verspürt keinerlei Empathie für Menschen in anderen Teilen der Welt. Erst seit kurzem, seit den Wahlen, sehe ich wieder einen Grund zum Optimismus. Es geht so etwas wie ein Ruck durch das Land, und die Leute sagen, wir müssen auch kulturell wieder nach außen schauen, wir sitzen hier im Dunkeln. Und es gibt wieder amerikanische Schriftsteller, die sagen, wir müssen uns all die anderen Geschichten anschauen, um unsere eigene Geschichte zu erzählen. Ich denke, in diesem Sinne ist mein Buch ein politisches Buch. Außerdem fragt es nach dem Kommunismus und der Demokratie, nach dem Standpunkt des Künstlers, und wie sich der Künstler zur Macht verhält. Und auch danach, wie sich die Kunst vereinnahmen lässt. Zoli wird ja so etwas wie das Postergirl des Sozialismus. Das ist ja ganz ungewöhnlich, ausgerechnet eine Zigeunerin als politische Botschafterin einzusetzen. Aber solche Dinge passieren immer wieder. Eine Gesellschaft nimmt jemanden vom Rand und macht diese Person zu einer Galionsfigur des Establishments. Die Person wird dann gegen ihren Willen instrumentalisiert. Das kann so weit gehen, dass man diese Person zerstört.

    Tanya Lieske: Und um das noch einmal genauer auszuführen, das Regime benutzt sie auch an einer gewissen Stelle, nämlich als es darum geht, die Roma und Sinti sesshaft zu machen, sie aus ihren Wagen zu verbannen, die Wagen zu verbrennen, und sie in Wohnsiedlungen und Ghettos anzusiedeln, die man ja heute noch besichtigen kann am Rand von Bratislava.

    Zolis Gang in ihre eigene Freiheit, die Figur verändert sich ja auf ihrem langen Marsch, Colum McCann, können sie noch mal erzählen, was sich auf diesem Weg in Zoli abspielt?

    Colum McCann: Zuerst einmal verbrennt Zoli all ihre Gedichte. Sie glaubt wirklich, dass sie ihr ganzes Leben hinter sich lässt. Sie denkt, dass sie nie wieder etwas zu Papier bringen wird, und sie lernt auch keine alten Lieder mehr. Dann macht sie sich auf den Weg. Wenn man eine lange Strecke zu Fuß geht, dann ist das ein sehr interessanter Vorgang. Ich bin selbst schon mehrmals durch Irland gelaufen, ich bin von Dublin nach Galway gelaufen, und von Belfast runter nach Kerry. Und als ich in Kerry angekommen war, da fragte mich einer dieser alten Männer: "Was machen Sie denn da?" und ich antwortete: "Ich laufe." Und er fragte: "Und seit wann laufen Sie schon?" Und ich sagte: "Seit zwanzig Tagen." Und er: "Warum machen Sie denn so was? Es gibt da einen prima Bus, den man nehmen kann!" Aber es ist wunderbar, so lange unterwegs zu sein. Man ist der Erde ganz nahe, und man kann nachdenken, und man denkt in anderen Mustern, als wenn man mit dem Zug oder dem Bus oder dem Auto fährt. Man muss lernen, mit sich selbst klar zu kommen. Selbst wenn man mit anderen unterwegs ist, ist man sich selbst mit den eigenen Gedanken doch sein bester Weggefährte. Also, Zoli verändert sich auf dem Weg. Und um bei der Wahrheit zu bleiben, Papusza, die Frau, auf deren Geschichte mein Roman basiert, ist in Schlesien gelandet. Sie lebte allein mit gebrochenem Herzen in einer kleinen Hütte, und sie hat nie mehr Gedichte geschrieben. Und ich wollte auf keinen Fall, dass es Zoli genau so ergeht. Mein Buch sollte mit jener Hoffnung enden, von der wir vorhin gesprochen haben. Ich wollte nicht, dass Zoli als Mensch unter diesem Druck zerbricht. Ich wollte deutlich machen, ein Mensch kann trotzdem siegen, trotz der zerstörerischen Einflüsse und den schrecklichen Erfahrungen auf dem Weg. Das Individuum kann trotzdem überleben, dank seiner Familie, seiner Freunde, und der Zugehörigkeit zur Erde.

    Tanya Lieske: Um das Stichwort des Schrecklichen aufzugreifen, man kann natürlich nicht über Roma schreiben, ohne den Holocaust zu erwähnen. Das ist ein Kapitel, das erst in jüngster Zeit ins öffentliche Bewusstsein getreten ist, um das mal zu benennen, 500.000 Menschen, Roma und Sinti, sind im Zweiten Weltkrieg vernichtet worden. Sie verdichten in Ihrem Roman den Holocaust auf eine einzige, sehr kleine und haarsträubende Szene, das ist die Szene, in der Zigeunerwagen von Zigeunern aufs Eis getrieben werden. Ich möchte Sie bitten, diese Szene zu lesen.

    Colum McCann: Ich war sechs. Meine Eltern waren fort, meine Brüder und Schwestern, meine Vettern und Cousinen ebenfalls: Sie waren von den Hlinka-Garden aufs Eis getrieben worden. Rings um den See wurden Feuer entzündet und MGs aufgebaut, sodass sie nicht fliehen konnten. Als es gegen Mittag immer wärmer wurde, zwang man sie, die Wohnwagen in die Mitte des Sees zu fahren. Das Eis brach, die Räder versanken, und der Rest folgte ihnen, Wohnwagen, Pferde, Harfen.

    Tanya Lieske: Ich halte dies für eine Schlüsselszene, weil der Untergang eines ganzen Volkes schon vorweg genommen wird. Sie ist aufs Äußerste verknappt, und ich glaube, dass das etwas damit zu tun hat, wie nach Ihrer Ansicht Literatur funktioniert.

    Colum McCann: Also, ganz am Anfang war diese Szene 20, 30, 40 Seiten lang. Und sie wurde immer länger. Dann fiel mir auf, dass ich dabei war, etwas zu manipulieren. Also habe ich mich anders entschieden. Ich würde mich so kurz und präzise wie möglich ausdrücken und schnell zum Wesentlichen vordringen. Ich vertraue dem Klang und dem Rhythmus von Sprache. Und ich begriff, dass Zoli als diejenige, die die Geschichte erzählt, sich niemals so lang und umständlich und forciert ausdrücken würde. Sie würde direkt zum Wesentlichen kommen, sie würde sagen: So ist es passiert, es ist schrecklich, und dann würde sie sich abwenden und weggehen.

    Tanya Lieske: Das heißt, in Ihrer Art, die Geschichte zu erzählen, haben Sie sich auch an Zoli angenähert, die ja Lyrikerin ist, und die auch mit äußerster Verknappung arbeitet?

    Colum McCann: Ja. Das ist mein sechstes Buch, und ich meine, dass jeder Roman irgendwo versagt. Aber jeder hat auch seine eigenen Stärken. Und hier habe ich zum ersten Mal eine Figur geschaffen, die tatsächlich in der Welt lebt. Mit Rudolf Nurejew ist es anders, er war nicht so lebendig. Aber Zoli, die lebt, und manchmal kommt es mir so vor, als könnte ich auf die Straße gehen und sie ganz zufällig treffen. Und vielleicht ist es so, wie Sie sagen, sie ist ein Teil von mir. Aber es war richtig viel Arbeit, sie zu verstehen, ich habe fast zwei Jahre damit verbracht, in ihr Bewusstsein einzutauchen, und ich habe auf dem Weg viel falsch gemacht. Aber dann, als sie endlich mit mir redete, hat sie gar nicht mehr aufgehört zu reden. Ich habe diesen Roman vor etwa neun Monaten beendet. Aber ich glaube, ich könnte mich sofort hinsetzen und ihre Stimme wieder finden und aufschreiben, was sie sagt. Das ist wirklich eine außergewöhnliche Erfahrung.

    Tanya Lieske: Colum McCann, Ihr Roman Zoli ist auch eine Liebesgeschichte, es taucht ein junger Journalist auf, Swann, der ist halb Ire und halb Slowake. Der Leser wird natürlich sofort hellhörig, und denkt, ein Ire schreibt über einen Iren in seinem eigenen Roman. Haben Sie sich selbst mit in die Geschichte hinein verwoben?

    Colum McCann: Ja, ich sage den Leuten immer folgendes. Das Credo der Schriftsteller ist doch: Man soll über das schreiben, was man gut kennt und versteht. Aber ich sehe es ganz anders, man soll nämlich über das schreiben, was man nicht kennt. Man sollte sich dem, was man wissen will, entgegen schreiben. Aber wenn man das tut, dann schreibt man letzten Endes doch wieder über sich selbst, denn man selbst wählt ja die Worte. Vom Standpunkt der Philosophie und der Logik her ist es unmöglich, über etwas zu schreiben, was man noch nicht kennt. Wenn man den Sprung trotzdem wagt, erfährt man ganz viel über sich selbst. In gewisser Weise ist es so, wie frei zu sein. Ich war in vieler Hinsicht so wie Stephen Swann. Und ich habe ein Foto von Papusza über meinen Schreibtisch gehängt, so dass ich sie anschauen konnte, und ich habe mich auch in sie verliebt. Stephen Swann verrät sie am Ende, er verrät auch sich selbst und seine Liebe. Und ich habe mir die Frage gestellt, ob ich vielleicht die Kultur der Roma verrate, indem ich dieses Buch schreibe. Welches Recht, sollte ich haben, über die Kultur der Roma zu schreiben, ich könnte sie doch auch in Frieden lassen. Doch dann bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass das Schweigen auch keine Lösung ist. Das Schönste, was mir passiert ist, ist dass Gelehrte und Intellektuelle aus der Roma Kultur zu mir gekommen sind, zum Beispiel Ian Hancock von der Universität in Texas, und dass sie gesagt haben, wie sehr ihnen dieser Roman gefallen hat. Auf einer Lesung in New York sind zehn Roma zu mir gekommen, und einer stand einfach mittendrin auf und sagte: Danke, dass Sie dieses Buch geschrieben haben, jetzt kann ich Leuten sagen, dass ich ein Roma bin. Das war ein Bankier, also keiner, der das Zigeunerklischee bedient hat, er hatte auch keine Fidel bei sich und er trug keinen zerbeulten Hut. Aber er wusste immer noch, dass er ein Roma war, nur hatte er es in der Öffentlichkeit nie zugegeben. Als er dann vor mehreren hundert Leuten gesprochen hat, ist mir ist eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen und die Luft ist mir weggeblieben. Ich bin so privilegiert als Schriftsteller, weil ich genau das tun kann, was ich am liebsten tue. Und für solche Momente lohnt sich jede Mühe.

    Tanya Lieske: Wobei der Prozess, denn Sie beschreiben, Colum McCann, ja nicht nur auf Ihrer kreativen Imagination beruht, sondern es steckt auch viel harte Recherche dahinter.

    Colum McCann: Das, stimmt. Es steckt viel Arbeit hinter diesen Büchern. Irgendwann einmal will ich mich hinsetzen und ein Buch schreiben, das keinerlei Recherche erfordert. Ich werde mich für zwei oder drei Monate in einem Zimmer einschließen und vor mich hinspinnen, das rauslassen, was in mir drinsteckt. Aber noch ist es nicht so weit, vielleicht, weil ich mich noch zu sehr für die Welt interessiere. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich viele Jahre Journalist war, und ich will immer noch rausgehen und Leute treffen. Vielleicht will ich auch meine inneren Dämonen rauslassen. Mein normales Leben ist ja ganz durchschnittlich, ich bin ein Vater und ein Ehemann und ich habe drei Kinder. Es macht Spaß, mich vor den Computer zu setzen und all diese anderen Welten zu schaffen. Also, ich musste in die Slowakei fahren und mir die Siedlungen anschauen. Ich musste Ethnologen treffen und Musikwissenschaftler und Linguisten, um für diesen Roman zu recherchieren.

    Tanya Lieske: In Ihrem ersten Leben, Colum McCann, waren Sie Journalist. Was kann die Literatur, was die gut geschriebene Reportage nicht kann?

    Colum McCann: Ich bin mir nicht sicher, dass die Unterschiede so groß sind. Ein Vorteil bei der Literatur ist, sie bleibt erhalten, wohingegen die Reportage und der Journalismus einfach verdunsten. Auch wenn man es heute im Web nachlesen und wiederholen kann. Außerdem geht die Literatur tiefer, hinein in die Grauzonen. Sie sollte ja keine Statements abgeben, und sie sollte den Lesern auch nicht erklären, wie die Welt funktioniert. Sie sollte es ihnen ermöglichen, in diese Welt einzudringen und ein Teil davon zu werden. Ich habe großen Respekt vor den Filmschaffenden und Dichtern und Dramatikern und Journalisten, wir sind ja alle Geschichtenerzähler. Aber mir gefällt dieser komplexe Bereich, in den die Literatur vordringen kann, der weder schwarz ist noch weiß. Der beste Text gibt keine Antworten, sondern stellt viele Fragen.

    Tanya Lieske: Vielen Dank. Das war der irische Schriftsteller Colum McCann. Wir sprachen über seinen neuen Roman Zoli, aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Rowohlt Verlag, Hamburg, 384 Seiten gebunden, 19,19 Euro.