Archiv


Der Besuch der Oppositionschefin in den USA

    Birke: Lange im Voraus geplant hätte der Besuch von Oppositionsführerin Angela Merkel in Washington eigentlich nicht besser terminiert sein können. Zur Hochzeit des diplomatischen Tauziehens um das weitere Vorgehen gegenüber dem Irak traf sie gestern unter anderem Vizepräsident Cheney, Verteidigungsminister Rumsfeld und Sicherheitsberaterin Rice. Sieht sie nach ihren Unterredungen noch eine realistische Chance auf eine friedliche Lösung für das Irak-Problem? Diese Frage habe ich der CDU-Vorsitzenden heute Früh gestellt.

    Merkel: Die amerikanische Regierung ist - so ist mein Eindruck nach den Gesprächen - entschlossen, Saddam Hussein erfolgreich zu entwaffnen. Das bedeutet nicht - und das haben mir alle Gesprächspartner gesagt -, dass man nicht bis zur letzten Minute an einer friedlichen Lösung arbeiten will. Aber man sagt natürlich, dass jetzt 17 Resolutionen, 12 Jahre und 4 Monate Druck auf Saddam Hussein irgendwann zu einem Erfolg führen müssen. Das was mir zum Teil mit auf den Weg gegeben wurde, das war die Tatsache, dass eine Voraussetzung dafür, dass militärische Aktionen zu vermeiden sind, natürlich ein hohes Maß an Gemeinsamkeit der demokratischen Länder dieser Erde sein muss, damit Saddam Hussein nicht zum Schluss den Erfolg hat, die Länder, die sich der Demokratie und der Freiheit verpflichtet fühlen, auseinanderzudividieren. Insofern muss man sehr aufpassen, dass es gelingt, so wie es beim EU-Gipfel gelungen ist, dem Sondergipfel in der vorigen Woche, möglichst eine gemeinsame europäische und amerikanische Haltung zu finden. Das macht den Krieg unwahrscheinlicher und das muss das oberste Gebot sein.

    Birke: Nun scheint diese gemeinsame Linie zwischen Amerika und auch dem sogenannten "alten Europa" in weitere Ferne gerückt, denn die Vereinigten Staaten haben ja gemeinsam mit Großbritannien und auch Spanien jetzt der UNO einen Resolutionsentwurf vorgelegt, in dem unter Hinweis auf die Resolution 1441 festgestellt wird, dass der Irak seine Abrüstungsverpflichtungen erheblich verletzt habe. Gleichzeitig wird auch auf Kapitel 7 der UN-Charta verwiesen, dass in gewissen Grenzen auch militärische Gewalt sanktioniert würde. Weshalb legt Washington Ihrer Meinung nach so viel Wert auf diese zweite Resolution und erkennen Sie da überhaupt noch eine Gemeinsamkeit mit den Europäern, die ja eine zweite Resolution ablehnen?

    Merkel: Ich weiß nicht, ob die Europäer einfach so eine zweite Resolution ablehnen. Es ist immer gesagt worden, es darf keinen Automatismus geben, von der Resolution 1441 zu militärischen Aktionen zu kommen. Insofern ist es auf jeden Fall die Haltung der CDU, dass wir diesen Automatismus vermeiden müssen. Das heißt, dass es noch mal eine Befassung im UN-Sicherheitsrat geben muss. Was ich heute hier gespürt habe ist die große Bereitschaft der Amerikaner, bereit zu sein, im UN-Sicherheitsrat die Entscheidung zu treffen. Ich finde es auch außerordentlich begrüßenswert, dass diese Resolution ähnlich wie ja auch das Memorandum von Deutschland und Frankreich sowie anderen in den Geschäftsgang eingespeist wurde, dass aber Zeit ist, diese Dinge zu diskutieren. Ich würde dafür werben, dass Europa zumindest versucht, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika hierzu eine gemeinsame Haltung zu bekommen und nicht zu schnell die Optionen wieder auszuschließen. Im übrigen wird der Chefinspektor Blix ja am 1. März auch noch mal einen Bericht geben. Auch das wird nicht ganz unerheblich sein.

    Birke: Sie persönlich befürworten also diese zweite Resolution und empfehlen praktisch auch Bundeskanzler Schröder, diese Resolution anzunehmen?

    Merkel: Ich habe heute hier immer wieder gesagt, ich bin nicht in den Vereinigten Staaten von Amerika, um deutsche Außenpolitik zu machen. Ich werde mich auch zu Hause dazu noch mal äußern. Ich sage nur, dass eine Befassung der UN, bevor Schlussfolgerungen gezogen werden, doch in unser aller Interesse ist und dass es deshalb aus meiner Sicht richtig ist, auch mit einem genügenden Zeitvorsprung, dass die verschiedenen Parteien ihre Vorstellungen einbringen. Ich glaube im übrigen, dass in den nächsten Tagen viele Verhandlungen stattfinden werden und dass wir sehr vorsichtig sein sollten, zu schnell hier auch schon einen Schluss-Strich zu ziehen. Ich sage als drittes, dass das, was wieder geschafft werden muss - und das sage ich mit allem Nachdruck; deshalb bin ich auch hier nach Amerika gefahren -, das ist, dass die transatlantische Partnerschaft wieder auf eine vertrauensvolle Grundlage gestellt werden muss. Wir sind Partner und Alliierte und wir sind nicht diejenigen, die einander nur misstrauen dürfen. Mir ist im Augenblick in den deutsch-amerikanischen Beziehungen zu viel Misstrauen. Darauf kann man ganz schlecht eine Partnerschaft aufbauen und das muss sich wieder ändern.

    Birke: Frau Merkel, der französische Präsident Jacques Chirac hat sich ja mit Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern getroffen und beide haben einen neuen Vorstoß gemacht, der auch im Rahmen der UNO diskutiert werden soll, wonach man eben hier auch den Inspektoren mehr Zeit geben will, dass man hier auch ganz systematisch einen Zeitplan für Abrüstungsschritte vereinbart. Inwieweit befürworten Sie diese Linie? Sehen Sie die als den gemeinsamen Pfad, auch hier mit den Amerikanern womöglich wieder eine Brücke zu bauen?

    Merkel: Ich glaube, dass das allerwichtigste ist, dass alle Vorschläge auch mit den Inspekteuren abgesprochen werden. Wir hören von dem Chefinspekteur Blix, den ich wahrscheinlich auch in dieser Woche noch treffen kann, dass er an vielen Stellen nicht dafür plädiert hat, dieses Regime zu erweitern. Alles kann nur im Gespräch miteinander erfolgen. Meine Sorge ist, dass im Augenblick zu viel nebeneinander stattfindet, dass jeder seine Forderungen auf den Tisch legt, aber dass dies vielleicht auch an Betroffenen vorbei passieren könnte. Ansonsten muss jeder Versuch ernsthaft überprüft werden, die militärischen Aktionen zu vermeiden. Es muss aber auch jeder Versuch verhindert werden, der den Eindruck bei Saddam Hussein erweckt, als letzte Konsequenz werden militärische Mittel ausgeschlossen und damit bekommt Saddam Hussein wieder Oberwasser, was aus meiner Sicht nicht sein darf, denn er ist die Bedrohung und niemand sonst auf der Welt.

    Birke: Nun hat der französische Präsident Jacques Chirac auch gesagt, er sehe momentan noch keinen Grund, die Logik des Friedens zu verlassen und auf eine Logik des Krieges umzuschwenken. Können Sie diese Gedankengänge teilen?

    Merkel: Ich habe bei den Gesprächspartnern in den Vereinigten Staaten auf die Frage, ob sie eine Chance sehen, die Dinge im Irak friedlich zu Ende zu führen und die Entwaffnung von Saddam Hussein voranzubringen, von allen Gesprächspartnern auch gehört, dass dies nach wie vor für möglich gehalten wird. Allerdings muss man aufpassen, dass Widersprüche zwischen den Partnern - und ich nenne insbesondere die NATO-Mitglieder und die europäischen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates zusammen mit Amerika - nicht Saddam Hussein das Gefühl geben, dass er den Kopf aus der Schlinge der Entwaffnung wieder ziehen kann. Das ist das, was mich beschwert, und das geht nur, wenn wieder ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen den einzelnen NATO-Partnern auch entsteht. Daran mangelt es zur Zeit noch und mein Besuch hier soll ein Beitrag dazu sein, dass der gute Wille auf verlässliche Partnerschaft geschafft wird. Deutschland steht in dieser Frage in einer ganz besonderen Verantwortung. Von Deutschland wird erwartet, dass es eine Balance hält zwischen deutsch-französischer Freundschaft, Gemeinsamkeit mit Polen und einem guten Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Balance scheint mir bei der Bundesregierung etwas aus der Balance gekommen zu sein. Deshalb ist es ganz wichtig, dass Deutschland seiner Aufgabe an dieser Stelle wirklich gerecht wird.

    Birke: Frau Merkel, Sie haben ja im Vorfeld auch kritisiert, Bundeskanzler Schröder spricht nach Ihren, in der "Washington Post" vorab veröffentlichten Worten nicht für alle Deutschen. Für welche Deutschen haben Sie denn gesprochen, denn in den Meinungsumfragen gibt es eine klare Mehrheit auch für die Position von Gerhard Schröder?

    Merkel: In den Meinungsumfragen - wir haben es gerade im Politbarometer wieder gesehen - gibt es eine sehr deutliche Mehrheit, über 50 Prozent der Menschen, die im übrigen die deutsch-amerikanische Partnerschaft für sogar wichtiger als die deutsch-französische halten. Ich will die aber gegeneinander nicht ausspielen. Eine Vielzahl von Menschen möchte nicht, dass über Differenzen in der Beurteilung einer bestimmten Angelegenheit die deutsch-amerikanischen Beziehungen ins Wanken geraten. Das was wir schaffen müssen ist, dass die Art des Umgangs freundschaftlich und fair miteinander bleibt. Da gab es Verletzungen in der letzten Zeit. Deshalb habe auch ich hier gesagt, es darf kein Öl ins Feuer gegossen werden, aber man muss miteinander sprechen. Die Sprachlosigkeit unter den führenden politischen Personen in der Bundesregierung mit der amerikanischen Regierung ist keine gute Voraussetzung dafür, dass wirklich das geschafft werden kann, was wir alle wollen, dass nämlich die Bedrohungen dieser Welt minimiert werden und verschwinden.

    Birke: Nun, Frau Merkel, ging es ja nicht um irgendeine Frage, sondern es geht um die Irak-Frage, um die Frage ob Krieg oder nicht. In dem Fall gibt es schon eine klare Mehrheit in der deutschen Bevölkerung gegen diesen Krieg. Jetzt die Frage an Sie, an die CDU-Vorsitzende: Sollte der Sicherheitsrat nicht eine Mehrheit für die zweite Resolution der Amerikaner finden, würden Sie dann auch einen militärischen Alleingang der Amerikaner unterstützen?

    Merkel: Erstens wird es sowieso keinen Alleingang der Amerikaner geben, sondern es wird eine Vielzahl von Nationen geben, die die Vereinigten Staaten von Amerika in diesem Falle unterstützen würden. Aber ich sage, über solche Fälle möchte ich jetzt gar nicht spekulieren, sondern es werden alle Anstrengungen unternommen - und das werde ich mit meinen möglichen politischen Mitteln, die in der Opposition nicht allzu groß sind, auch einfordern -, dass die UN - wir haben es immer wieder gesagt und das ist gemeinsame Haltung aller Parteien in Deutschland - der Ort der Handlung ist und dass in der UN und im Sicherheitsrat die Entscheidungen getroffen werden, damit es eben nicht dazu kommt, dass außerhalb der UNO, die das Handlungsmonopol hat, Entscheidungen getroffen werden müssen. Darauf müssen sich alle konzentrieren und jeder muss sich der Verantwortung dafür bewusst sein. Dafür werde ich werben.

    Birke: Frau Merkel, ich bin hartnäckig. Ich glaube die Hörer möchten auch wissen, wie Sie sich verhalten würden, wenn es keine Mehrheit in der UN gäbe?

    Merkel: Und ich sage Ihnen, ich bin auch hartnäckig, dass ich es ablehne - und das tun im übrigen hier auch in Washington viele -, dass ich mich festlege für Dinge, die ich nicht erreichen will. Die Aufgabe heißt für die nächsten Tage - und dafür ist Spielraum -, dass wir alles daran setzen, dass der UN-Sicherheitsrat eine Haltung zu dieser Frage des Irak findet und zur Entwaffnung des Saddam Hussein und dass es dort Mehrheiten gibt. Diese Hartnäckigkeit bewahre ich mir, bis ich erkennen müsste, was ich nicht hoffe, dass die UN es nicht schafft.

    Birke: Frau Merkel, abschließend noch ganz kurz. Für Ihre Veröffentlichung in der "Washington Post" haben Sie Kritik geerntet. Ein Tabu deutscher Politik sei gebrochen worden, heißt es sinngemäß. War es denn falsch, bildlich gesprochen, die schmutzige Wäsche des außenpolitischen Streits zwischen Opposition und Regierung in den USA zu waschen?

    Merkel: Ich glaube das nicht, weil meine Position in den Vereinigten Staaten von Amerika auch vorher bekannt war. Sie ist in Deutschland vielfach genannt worden: auf der Sicherheitskonferenz in München, in der Debatte im deutschen Bundestag. Insofern war dieser Namensartikel nun wirklich keine neue Meinung. Ich glaube, dass das allerwichtigste ist, dass wir - egal ob Opposition oder Regierung - zeigen, dass uns die deutsch-amerikanische Freundschaft und Partnerschaft wichtig ist. Der Bundeskanzler hat leider mit einem deutschen Sonderweg einen schweren, aus meiner Sicht Tabubruch als Erfahrung aus der deutschen Geschichte begangen. Deshalb glaube ich ist es jetzt wichtig, dort die Spuren auch wieder so zu legen, dass wir Deutschland und Amerika zusammenbringen wollen.

    Birke: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Das Gespräch haben wir heute Früh aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio