Friedbert Meurer: Es ist eine ziemlich schwere Geburt. Seit zehn Jahren ungefähr arbeitet man in Brüssel daran, die EU zu reformieren. Erst wurde nach langen zähen Verhandlungen eine Verfassung ausgearbeitet, die dann an zwei Volksabstimmungen scheiterte, in Frankreich und den Niederlanden. Dann wurde aus der Verfassung der Vertrag von Lissabon, was schon nicht so grundstürzend klingt wie Verfassung. Die allermeisten EU-Staaten haben diesen Vertrag mittlerweile ratifiziert; vier Länder noch nicht, darunter Deutschland. Heute hat das Bundesverfassungsgericht den Weg faktisch frei gemacht, aber unter Bedingungen.
Im Karlsruher Gericht begrüße ich Jo Leinen von der SPD, er ist der Vorsitzende des konstitutionellen Ausschusses im Europaparlament. Guten Tag, Herr Leinen.
Jo Leinen: Guten Tag, Herr Meurer!
Meurer: War das Grund zum Jubeln heute bei Ihnen?
Leinen: Das ist ein guter Tag für Europa, weil das Gericht doch festgestellt hat, dieser Vertrag von Lissabon ist zu 100 Prozent mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar. Also der Generalangriff der Kläger, Gauweiler und Lafontaine, auf diesen Vertrag ist abgewiesen worden und es geht, wie gerade berichtet wurde, um das Begleitgesetz, also die Frage, wie und wann muss der Bundestag stärker beteiligt werden.
Meurer: Wie schwer wiegt für Sie diese Einschränkung beim Begleitgesetz?
Leinen: Es ist eigentlich in der Logik des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag. Schon damals hat es gesagt, Kompetenzverlagerung auf europäische Ebene ja, aber nur unter Bedingungen der demokratischen Kontrolle. Sowohl das Europäische Parlament wie auch der Bundestag wurden schon damals gestärkt und dies wird jetzt im Lissabon-Urteil fortgeführt. Ich meine, das entspricht eigentlich der Intention auch des Reformvertrages, mehr Demokratie in die Europapolitik zu bringen. Karlsruhe hat das jetzt konkretisiert, das ist aber nicht konträr zu dem, was gewollt ist.
Meurer: Steht in dem Begleitgesetz, das der Bundestag verabschiedet hat, Herr Leinen, nicht drin, dass die Abgeordneten auch künftig mitreden wollen bei allen Veränderungen?
Leinen: Der Bundestag hat eigentlich schon viel getan. Das Begleitgesetz ist wahrscheinlich eines der besten in der Europäischen Union.
Meurer: Aber nicht gut genug für Karlsruhe?
Leinen: Nicht gut genug für Karlsruhe. Da sind die Hürden höher gelegt worden. Das wird dann jetzt auch in Berlin, glaube ich, zügig gemacht, weil ja klar ist, was gemacht werden soll, und darüber kein großer Streit mehr entfacht werden braucht. Die große Mehrheit des Bundestages ist ja für den Vertrag, auch sicherlich für mehr Beteiligung des Bundestages. Also ich sehe, dass der Zeitplan voll und ganz eingehalten werden kann. Vor der Bundestagswahl müssen halt eben diese Hausaufgaben gemacht werden.
Meurer: Für welche Fälle gilt denn diese Forderung, dass der Bundestag neu entscheiden und sich neu befassen muss?
Leinen: Es gilt bei den Gesetzen, die in dem sogenannten dritten Pfeiler kommen, Polizei- und Justizgesetzgebung auf europäischer Ebene, insbesondere europäisches Strafrecht. Es gilt sicherlich bei der Außenpolitik für Militärmissionen, die die Europäische Union macht, der Fall am Parlamentsvorbehalt, den wir schon haben, dass deutsche Soldaten nur mit Zustimmung des Bundestages eine Militäroperation außerhalb unseres eigenen Landes durchführen können. Und es gilt sicherlich auch in Zukunft für Beitritte zur Europäischen Union, dass der Bundestag vorher gefragt wird und nicht erst nachher.
Meurer: Das sind ja doch ziemlich gravierende Dinge. Muss da der Gesetzgeber sich sagen lassen, da haben wir doch ein bisschen zu kurz gegriffen mit dem Begleitgesetz?
Leinen: Wir kommen ja von einem Europa der Staaten, vertreten durch ihre Regierungen, und Europapolitik war jahrzehntelang eine Angelegenheit der Regierungen und nicht der Parlamente. Erst seit dem Maastricht-Vertrag vor 15 Jahren sind die Parlamente mehr ins Spiel gekommen. Der Lissabon-Vertrag will das erheblich stärken und das Bundesverfassungsgericht hat da jetzt noch eine Schippe draufgelegt, sage ich mal, hat diesen Prozess noch weiter vorangetrieben. Im Kern kann ich das nur begrüßen. Wir sind am Übergang von dem Europa der Staaten zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger. Der Bürger ist der Souverän auch in der Europapolitik. Das ist die Botschaft, die hier aus Karlsruhe gekommen ist.
Meurer: Ist Ihnen, Herr Leinen, als Europaabgeordnetem wirklich Recht, wenn der Bundestag gestärkt wird?
Leinen: Wir müssen unterscheiden zwischen der Beteiligung des Bundestages an der Europapolitik im Rahmen dessen, was die Bundesregierung macht, und der Gesetzgebung auf europäischer Ebene, die vom Europäischen Parlament gemacht wird. Das sind zwei Paar Schuhe. Das Urteil ficht nicht an, dass dort, wo Kompetenzen übertragen wurden auf die EU-Ebene, es die Bürgerkammer auf der EU-Ebene gibt - das ist das Europäische Parlament -, aber dort, wo Kompetenzübertragungen anstehen, bei der Passarell-Klausel, also beim Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsabstimmung, bei der Erweiterung der EU oder ähnlichen konstitutionellen Fragen, dass da die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Abgeordneten entscheiden müssen und nicht, sage ich mal, Bürokraten oder dann halt eben Ministerialien.
Meurer: Klang ehrlich gesagt gerade kompliziert. Fühlen sie sich jetzt als Konkurrenten, Europaabgeordnete und Bundestagsabgeordnete?
Leinen: Die Parlamente in der EU sind Partner, sind keine Konkurrenten. Jeder hat seine Aufgabe, die nationalen Parlamente zur Kontrolle der nationalen Europapolitik und das Europäische Parlament zur Kontrolle der europäischen Europapolitik.
Meurer: Die Entscheidung geht nicht zu Ihren Lasten?
Leinen: Nein. Wir sind Partner und keine Konkurrenten.
Meurer: Es gibt mindestens wohl noch einen Punkt, der heute Morgen in der Urteilsbegründung zu hören war, dass nämlich das Bundesverfassungsgericht für sich selbst für die Zukunft weiterhin eine Wächterrolle über den europäischen Integrationsprozess reklamiert. Haben Sie da neue Töne herausgehört, oder eine Bekräftigung dessen, wie sich Karlsruhe ohnehin schon sieht?
Leinen: Das ist die Fortsetzung der Rechtsprechung, als Karlsruhe die letzte Instanz zu sein, wenn es um Grundrechte geht, um Eckpfeiler des Grundgesetzes. Das ist gut so. Bisher ist dieser Konfliktfall noch nicht eingetreten. Ich hoffe, er wird auch in Zukunft nicht eintreten, weil dann immerhin noch auch gesehen werden muss, dass die EU aus 27 Staaten besteht und nicht nur aus Deutschland alleine. Die Gerichte in Luxemburg und auch in Karlsruhe müssen noch intensiver zusammenarbeiten. Dann, meine ich, geht das auch gut. Karlsruhe wird die Rechtsprechung aus Luxemburg vom Europäischen Gerichtshof respektieren, behält sich aber theoretisch das letzte Wort vor. Das ist halt eben, glaube ich, mehr Theorie wie Praxis.
Meurer: Jo Leinen, der Vorsitzende des konstitutionellen Ausschusses im Europaparlament, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich, Herr Leinen. Schöne Grüße nach Karlsruhe und auf Wiederhören.
Leinen: Auf Wiederhören.
Im Karlsruher Gericht begrüße ich Jo Leinen von der SPD, er ist der Vorsitzende des konstitutionellen Ausschusses im Europaparlament. Guten Tag, Herr Leinen.
Jo Leinen: Guten Tag, Herr Meurer!
Meurer: War das Grund zum Jubeln heute bei Ihnen?
Leinen: Das ist ein guter Tag für Europa, weil das Gericht doch festgestellt hat, dieser Vertrag von Lissabon ist zu 100 Prozent mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar. Also der Generalangriff der Kläger, Gauweiler und Lafontaine, auf diesen Vertrag ist abgewiesen worden und es geht, wie gerade berichtet wurde, um das Begleitgesetz, also die Frage, wie und wann muss der Bundestag stärker beteiligt werden.
Meurer: Wie schwer wiegt für Sie diese Einschränkung beim Begleitgesetz?
Leinen: Es ist eigentlich in der Logik des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag. Schon damals hat es gesagt, Kompetenzverlagerung auf europäische Ebene ja, aber nur unter Bedingungen der demokratischen Kontrolle. Sowohl das Europäische Parlament wie auch der Bundestag wurden schon damals gestärkt und dies wird jetzt im Lissabon-Urteil fortgeführt. Ich meine, das entspricht eigentlich der Intention auch des Reformvertrages, mehr Demokratie in die Europapolitik zu bringen. Karlsruhe hat das jetzt konkretisiert, das ist aber nicht konträr zu dem, was gewollt ist.
Meurer: Steht in dem Begleitgesetz, das der Bundestag verabschiedet hat, Herr Leinen, nicht drin, dass die Abgeordneten auch künftig mitreden wollen bei allen Veränderungen?
Leinen: Der Bundestag hat eigentlich schon viel getan. Das Begleitgesetz ist wahrscheinlich eines der besten in der Europäischen Union.
Meurer: Aber nicht gut genug für Karlsruhe?
Leinen: Nicht gut genug für Karlsruhe. Da sind die Hürden höher gelegt worden. Das wird dann jetzt auch in Berlin, glaube ich, zügig gemacht, weil ja klar ist, was gemacht werden soll, und darüber kein großer Streit mehr entfacht werden braucht. Die große Mehrheit des Bundestages ist ja für den Vertrag, auch sicherlich für mehr Beteiligung des Bundestages. Also ich sehe, dass der Zeitplan voll und ganz eingehalten werden kann. Vor der Bundestagswahl müssen halt eben diese Hausaufgaben gemacht werden.
Meurer: Für welche Fälle gilt denn diese Forderung, dass der Bundestag neu entscheiden und sich neu befassen muss?
Leinen: Es gilt bei den Gesetzen, die in dem sogenannten dritten Pfeiler kommen, Polizei- und Justizgesetzgebung auf europäischer Ebene, insbesondere europäisches Strafrecht. Es gilt sicherlich bei der Außenpolitik für Militärmissionen, die die Europäische Union macht, der Fall am Parlamentsvorbehalt, den wir schon haben, dass deutsche Soldaten nur mit Zustimmung des Bundestages eine Militäroperation außerhalb unseres eigenen Landes durchführen können. Und es gilt sicherlich auch in Zukunft für Beitritte zur Europäischen Union, dass der Bundestag vorher gefragt wird und nicht erst nachher.
Meurer: Das sind ja doch ziemlich gravierende Dinge. Muss da der Gesetzgeber sich sagen lassen, da haben wir doch ein bisschen zu kurz gegriffen mit dem Begleitgesetz?
Leinen: Wir kommen ja von einem Europa der Staaten, vertreten durch ihre Regierungen, und Europapolitik war jahrzehntelang eine Angelegenheit der Regierungen und nicht der Parlamente. Erst seit dem Maastricht-Vertrag vor 15 Jahren sind die Parlamente mehr ins Spiel gekommen. Der Lissabon-Vertrag will das erheblich stärken und das Bundesverfassungsgericht hat da jetzt noch eine Schippe draufgelegt, sage ich mal, hat diesen Prozess noch weiter vorangetrieben. Im Kern kann ich das nur begrüßen. Wir sind am Übergang von dem Europa der Staaten zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger. Der Bürger ist der Souverän auch in der Europapolitik. Das ist die Botschaft, die hier aus Karlsruhe gekommen ist.
Meurer: Ist Ihnen, Herr Leinen, als Europaabgeordnetem wirklich Recht, wenn der Bundestag gestärkt wird?
Leinen: Wir müssen unterscheiden zwischen der Beteiligung des Bundestages an der Europapolitik im Rahmen dessen, was die Bundesregierung macht, und der Gesetzgebung auf europäischer Ebene, die vom Europäischen Parlament gemacht wird. Das sind zwei Paar Schuhe. Das Urteil ficht nicht an, dass dort, wo Kompetenzen übertragen wurden auf die EU-Ebene, es die Bürgerkammer auf der EU-Ebene gibt - das ist das Europäische Parlament -, aber dort, wo Kompetenzübertragungen anstehen, bei der Passarell-Klausel, also beim Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsabstimmung, bei der Erweiterung der EU oder ähnlichen konstitutionellen Fragen, dass da die von den Bürgerinnen und Bürgern gewählten Abgeordneten entscheiden müssen und nicht, sage ich mal, Bürokraten oder dann halt eben Ministerialien.
Meurer: Klang ehrlich gesagt gerade kompliziert. Fühlen sie sich jetzt als Konkurrenten, Europaabgeordnete und Bundestagsabgeordnete?
Leinen: Die Parlamente in der EU sind Partner, sind keine Konkurrenten. Jeder hat seine Aufgabe, die nationalen Parlamente zur Kontrolle der nationalen Europapolitik und das Europäische Parlament zur Kontrolle der europäischen Europapolitik.
Meurer: Die Entscheidung geht nicht zu Ihren Lasten?
Leinen: Nein. Wir sind Partner und keine Konkurrenten.
Meurer: Es gibt mindestens wohl noch einen Punkt, der heute Morgen in der Urteilsbegründung zu hören war, dass nämlich das Bundesverfassungsgericht für sich selbst für die Zukunft weiterhin eine Wächterrolle über den europäischen Integrationsprozess reklamiert. Haben Sie da neue Töne herausgehört, oder eine Bekräftigung dessen, wie sich Karlsruhe ohnehin schon sieht?
Leinen: Das ist die Fortsetzung der Rechtsprechung, als Karlsruhe die letzte Instanz zu sein, wenn es um Grundrechte geht, um Eckpfeiler des Grundgesetzes. Das ist gut so. Bisher ist dieser Konfliktfall noch nicht eingetreten. Ich hoffe, er wird auch in Zukunft nicht eintreten, weil dann immerhin noch auch gesehen werden muss, dass die EU aus 27 Staaten besteht und nicht nur aus Deutschland alleine. Die Gerichte in Luxemburg und auch in Karlsruhe müssen noch intensiver zusammenarbeiten. Dann, meine ich, geht das auch gut. Karlsruhe wird die Rechtsprechung aus Luxemburg vom Europäischen Gerichtshof respektieren, behält sich aber theoretisch das letzte Wort vor. Das ist halt eben, glaube ich, mehr Theorie wie Praxis.
Meurer: Jo Leinen, der Vorsitzende des konstitutionellen Ausschusses im Europaparlament, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich, Herr Leinen. Schöne Grüße nach Karlsruhe und auf Wiederhören.
Leinen: Auf Wiederhören.