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Der Bundestag vor der Entscheidung über den Import embryonaler Stammzellen

    Zagatta: Eine Heilung schwerster Krankheiten ? das versprechen sich die Befürworter. Aber eine Freigabe der Stammzellenforschung, wie in anderen Ländern, wird es hierzulande nicht geben, das steht schon vor der Abstimmung des Bundestages morgen fest. Erfolgsaussichten werden nämlich nur noch zwei Anträgen eingeräumt. Danach erlässt der Bundestag morgen ein Importverbot für embryonale Stammzellen oder aber erlaubt nur die Einfuhr von solchen Stammzellen, die jetzt schon existieren. Die Spannung wächst, je näher das Abstimmungsergebnis, je näher der Abstimmungstermin rückt, und wir nehmen das zum Anlass, mit dem Mann zu sprechen, der diese Bundestagsentscheidung herbeigeführt hat mit seiner Forschung. Wir haben den Bonner Neurologen Oliver Brüstle vor der Sendung erreicht und ihn gefragt, ob es bei der Abstimmung morgen auch um seine Existenz geht und mit welchen Gefühlen er der Abstimmung entgegen sieht.

    Brüstle: Ja, wir werden natürlich die Debatte hier im Institut mit verfolgen, wir sind sehr gespannt auf die Entscheidung, und ich hoffe natürlich, dass wir hier auf keinen Fall auf ein Importverbot zusteuern. Es ist in meinen Augen jetzt sehr wichtig, dass wir einen Türspalt öffnen, um diese Technologie hier im Land zu etablieren.

    Zagatta: Bei einem ?nein?, so wird ja argumentiert, also wenn der Bundestag sich für ein solches Importverbot entscheidet, dann würden die deutschen Stammzellenforscher ins Ausland abwandern. Wie ist es bei Ihnen? Sitzen Sie in Ihrem Institut auch schon auf gepackten Koffern?

    Brüstle: Ja, ganz so ist es nicht. Es ist natürlich klar: Wenn die Stammzellenforschung in Deutschland nicht unterstützt wird, keinen Rückhalt bekommt, werden sich viele junge Wissenschaftler, die im Ausland bereits sind, in entsprechenden Laboren arbeiten oder jetzt in ein Labor gehen wollen, sich genau überlegen müssen, ob sie hierher zurückkehren bzw. ob sie in Deutschland eine solche Karriere verfolgen wollen. Für mich selbst möchte ich da noch keine Spekulationen abgeben, aber sicherlich ist es so, dass bei einer langfristigen Verzögerung sich natürlich die Frage stellt: Ist es überhaupt noch sinnvoll, hier im Land auf einem solchen Gebiet zu arbeiten.

    Zagatta: Aber was machen Sie denn ganz konkret, wenn der Bundestag morgen ?nein? sagt, was machen Sie dann, wie reagieren Sie?

    Brüstle: Also, das wäre für mich eine große Enttäuschung. Ich denke, es ist auch ein Importverbot verfassungsrechtlich gar nicht haltbar. Das würde sicher bedeuten, dass wir definitiv den Anschluss an diese Forschungsrichtung verlieren werden, da mittlerweile schon vier Jahre vergangen sind seit der ersten Etablierung solcher Zelllinien. Für Wissenschaftler stellt sich dann tatsächlich die Frage: Sollen sie nicht abwandern, um in Nachbarländern, in denen bereits intensiv an diesen Verfahren gearbeitet wird ? wie in Großbritannien ? diese Forschungsarbeiten weiterzuführen.

    Zagatta: Für Sie also auch?

    Brüstle: Für mich ist das sicherlich eine Option, die bei einer weiteren Verzögerung wieder aktuell wird.

    Zagatta: Es werden jetzt ja auch Chancen einem fraktionsübergreifenden Antrag immerhin noch eingeräumt, der den Import auf solche Stammzellen beschränkt, die bereits existieren. Würde Ihnen das ausreichen?

    Brüstle: Ja, im Moment würde dies sicherlich ausreichen, um die Frage zu klären: Lassen sich die Daten, die an Mauszellen gewonnen wurden, prinzipiell auf menschliche Zellen übertragen. Die Zielsetzung, die hinter einer solchen Beschränkung steht, ist klar: Hier soll verhindert werden, dass große Zahlen von Zelllinien hergestellt werden. Das ist auch ganz mein Anliegen. Es könnte allerdings sein, dass in den nächsten Monaten von Gruppen im Ausland Zelllinien hergestellt werden, die möglicherweise optimiert sind, die qualitativ noch besser sind, und wir würden uns natürlich mit einer solchen Beschränkung auferlegen, dass wir auf solche Linien zukünftig nicht mehr zurückgreifen können.

    Zagatta: Kritiker sagen ja jetzt schon: Wer den Stammzellenimport zulässt, der nimmt in Kauf, dass dafür vorher Embryonen getötet wurden. Sie haben damit kein Problem?

    Brüstle: Auch ich sehe die ethische Problematik der Gewinnung dieser Zelllinien. Auch wenn es nur wenige Embryonen waren, die für diese Zellgewinnung eingesetzt wurden, ist es doch ein großes ethisches Problem. Auf der anderen Seite ist natürlich auch die Art der Gewinnung außerordentlich wichtig, um diesen Prozess ethisch einzuordnen. Es kann hier nicht um die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken gehen. Um was es geht, ist die Gewinnung von Zelllinien aus überzähligen Embryonen, aus Embryonen, die über Jahre zum Teil gelagert wurden auf Eis, die keiner anderen Verwendung mehr zugeführt werden können, die letztendlich sonst weggeworfen würden, wie es in sehr großer Zahl in vielen Ländern der Fall ist. Und hier stellt sich die Frage: Können nicht einige wenige dieser überzähligen Embryonen, anstatt sie wegzuwerfen, eingesetzt werden, um solche Zelllinien für medizinisch hochrangige Zwecke zu gewinnen. Das beseitigt nicht die ethische Problematik, die dahinter steht, aber ich denke, es relativiert die Problematik. Und im Gegensatz zu den reinen Bedenkenträgern sehe ich eben neben dieser Problematik der Herstellung auf der einen Seite auch die ethische und ärztliche Verpflichtung, nach neuen Wegen zu suchen für Erkrankungen, die wir heute nicht adäquat behandeln können.

    Zagatta: Dass mit diesen embryonalen Stammzellen einmal die Heilung solcher Krankheiten möglich wird - solcher schweren Krankheiten -, ist das zum jetzigen Zeitpunkt denn überhaupt mehr als eine Hoffnung?

    Brüstle: Es ist sicherlich mehr als eine Hoffnung. Es liegen bereits aus Tierversuchen erfolgversprechende Daten vor. Es ist heute bereits möglich, aus menschlichen embryonalen Stammzellen beispielsweise Herzmuskelzellen, insulinbildende Zellen oder auch andere Zellen zu züchten. Es ist auch möglich, am Tierexperiment mit Stammzellen der Maus Schäden beispielsweise im Nervensystem durch Transplantation solcher Stammzellen zu behandeln. Trotzdem ist es so: Diese Befunde sind noch in einem sehr frühen Stadium, und es ist wichtig zu wissen, dass diese Technologie, so erfolgversprechend sie ist, viele Jahre benötigen wird. Ich rechne damit, dass fünf bis zehn Jahre vergehen werden, ehe wir einschätzen können, in welchen Bereichen embryonale Stammzellen klinisch eingesetzt werden können, in welchen Bereichen möglicherweise adulte Stammzellen adäquate oder gar bessere Kandidaten darstellen . . .

    Zagatta: . . . das wollte ich gerade fragen: Kann man das nicht auch mit sogenannten ?adulten? Stammzellen machen? . . .

    Brüstle: Ja, es ist so, dass natürlich im Moment sehr viele Daten darauf hinweisen, dass erwachsene Stammzellen in verschiedenste Zelltypen ausreifen können. Es ist deshalb die Hoffnung da, langfristig adulte Stammzellen vom Patienten selbst für Regenerationszwecke, für die Transplantation einsetzen zu können. Aus heutiger Sicht gibt es hier jedoch noch eine Reihe von wichtigen Problemen ? einmal die Vermehrbarkeit dieser erwachsenen adulten Stammzellen, die außerhalb des Körpers außerordentlich gering ist, die gezielte Umwandlung dieser Zellen, also beispielsweise einer Hautzelle in eine Nervenzelle, und auch die genetische Modifikation dieser Zellen ? eine Option, die sich bei embryonalen Stammzellen bietet, um beispielsweise Gene, die an der Krankheitsentstehung beteiligt sind, vor einer Transplantation zu modifizieren: Diese Dinge sind heute mit adulten Stammzellen nicht im selben Umfang möglich. Und deshalb müssen meiner Meinung nach beide Bereiche systematisch verglichen bzw. geforscht werden, um dann für die jeweilige Anwendung den optimalen Partner, den optimalen Kandidaten zu finden.

    Zagatta: Wie leben Sie denn mittlerweile mit dem Bekanntheitsgrad, den Sie erreicht haben? Sie sind ja jetzt der bekannteste Stammzellenforscher in Deutschland geworden. Gibt es da Drohungen gegenüber Ihrer Person, bzw. stimmt es, dass Sie oder Ihre Familie unter Polizeischutz stehen?

    Brüstle: Ja, es ist sicherlich so, dass man immer wieder gewisse zweideutige Mitteilungen erhält. Ich möchte das nicht dramatisieren. Und es ist in gewisser Weise natürlich unangenehm, in so eine Position zu kommen. Das Ganze hat damit zu tun, dass mein Antrag bei der deutschen Forschungsgemeinschaft wohl diese Problematik kristallisieren hat lassen. Was mir persönlich unangenehm ist, ist, dass der Eindruck entsteht, dass es hier um eine einzelne Gruppe, eine einzelne Arbeitsgruppe handelt. Es gibt viele hervorragende Stammzellen-Wissenschaftler hier im Land, die an ähnlichen Problemen arbeiten, wissenschaftlich hervorragend ausgewiesen sind. Und es ist wichtig, zu realisieren, dass es hier um mehr geht als einen Forschungsantrag eines Wissenschaftlers. Es geht tatsächlich um ein ganzes Feld, und wir sind auf dem besten Weg, dieses Feld, das in meinen Augen eine Schlüsseltechnologie darstellt, zu verlieren, wenn wir am Mittwoch nicht zu einem positiven Ergebnis kommen.

    Zagatta: Das war der Bonner Stammzellenforscher Oliver Brüstle heute morgen im Deutschlandfunk.

    Link: Interview als RealAudio