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Der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin zu Gast in Deutschland

Engels: Im Vorfeld des Besuchs von Staatspräsident Jiang Zemin in Berlin hat sich die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des Bundestages, Christa Nickels, zu Wort gemeldet. Die Grünenpolitikerin erklärte gestern, sie erwarte, dass die Frage des Menschenrechtsverletzungen in China offen angesprochen werde. Am Telefon begrüße ich nun Claudia Roth. Sie war vor Christa Nickels Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, ist nun Parteichefin der Grünen. Guten Morgen, Frau Roth.

    Roth: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Deutliche Worte sind eingefordert. Wird Ihr Parteifreund Fischer diese deutlichen Worte sprechen?

    Roth: Ja, er wird es so tun, wie er es in den letzten dreieinhalb Jahren getan hat. Ich stimme nicht mit dem Bericht Ihrer Kollegin überein, die sagt, dass die rot-grüne Regierung in die Fußstapfen der Vorgängerregierung, was das Verhältnis China angeht, reingegangen ist, sondern es ist so, dass unter Rot-Grün die Zeit der diplomatischen Zurückhaltung überwunden worden ist, dass Menschenrechte in der Tat auf den unterschiedlichsten Ebenen thematisiert werden. Da ist übrigens das Beispiel der Umweltkonferenz in China ein gutes Beispiel: Zum ersten Mal gab es eine Umweltkonferenz und zum ersten Mal wurde thematisiert, dass ökologische Rechte auch Menschenrechte sind. Auf allen Ebenen muss und wird die Frage der Menschenrechte zu thematisieren sein, denn eines ist natürlich völlig klar: Man kann die Menschenrechte nicht teilen. Es ist eine falsche Auffassung von Seiten der Chinesen zu sagen, soziale und wirtschaftliche Rechte haben Priorität und bürgerliche, politische Freiheitsrechte sind minderrangig. Sie sind nicht teilbar, sie gehören zusammen, sie sind zwei Seiten einer Medaille.

    Engels: Aber der Ton ist doch gemäßigter geworden: Als Stalin Chinas, wie Jürgen Trittin Jiang Zemin noch vor sieben Jahren bezeichnete, das würde er doch heute nicht mehr tun?

    Roth: Er würde es so nicht mehr sagen. Er würde aber - und das tut er auch -, im Rahmen, zum Beispiel des Rechtsstaatsdialogs, Dialog und Kritik nicht gegeneinander ausspielen, sondern versuchen, miteinander zu verbinden. Es gibt seit 1999, seit der Reise des Bundeskanzlers nach China die Vereinbarung eines Rechtsstaatsdialogs, in dem konkret 18 Projekte vereinbart worden sind, zum Beispiel das Strafprozessrecht: Wie sieht ein Strafprozessrecht aus, das auch die Menschenrechte mit einbezieht. Also, auch zivilgesellschaftliche Elemente werden aufgenommen, wenn zum Beispiel überlegt wird: Wie kann man Bürgerbeteiligung an Großprojekten garantieren? Es sind einzelne Punkte, es wird versucht, deutlich zu machen, wie eine rechtsstaatliche Justiz aussieht. Es wird versucht, die konkrete Umsetzung der UNO, der Menschenrechtspakte in China deutlich zu machen und zu unterstützen. Es bleibt noch sehr, sehr viel zu tun. Nicht dass Sie mich jetzt falsch verstehen: Die Situation ist nach wie vor sehr, sehr, sehr zu kritisieren: Die Situation in der Administrativhaft, die Verfolgung von Religionsgemeinschaften, Christen und Sekten, wie der Falun Gong. Die Minderheitenfrage muss immer wieder thematisiert werden - Tibet, Uiguren. Die Todesstrafe wird in China exzessiv verhängt, und ich glaube, dass die wirtschaftliche Kooperation tatsächlich auch die Möglichkeit bietet immer wieder klar zu machen, dass die wirtschaftliche Öffnung von China nur dann eine Öffnung ist, die Stabilität garantiert, wenn sie auch eine politische Öffnung ist und dass wirtschaftliche Zusammenarbeit im Interesse Chinas, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland, im Interesse von Firmen, wie zum Beispiel VW nur dann eine Perspektive hat und langfristig sicher ist, wenn sie in einen Demokratisierungsprozess eingebettet ist, in die Stabilisierung von politischen, bürgerlichen Freiheitsrechten der Menschenrechte in China.

    Engels: Aber früher sprachen Sie oder sprach Ihre Partei durchaus auch von Wirtschaftssanktionen gegen China oder die Beendigung des Handels, wenn sich bei den Menschenrechten nichts bewegt - ist man davon ganz weit weg?

    Roth: Ich glaube, es ist nicht richtig, oder man kann in der Tat nicht sagen, dass es ein Patentrezept dafür gibt, wie Menschenrechte in einem Land umgesetzt werden können oder wie der politische Einfluss von außen aussehen muss, um Menschenrechte umzusetzen. Sehen Sie, es gibt nach wie vor Situationen, wo ich meine, dass Sanktionen, dass Boykott richtig sind, wie es in Südafrika notwendig und richtig war. Ich finde, dass es am Beispiel Türkei richtig ist zu sagen: Es gibt eine Öffnung, was die Mitgliedschaft der Türkei, eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in die Europäische Union angeht, die mit Bedingungen der Veränderung verbunden ist. Und es gibt, was das Verhältnis zu China angeht jetzt die Notwendigkeit, die wirtschaftliche Öffnung damit zu verknüpfen, dass sich politisch etwas tut. Und das in einem sehr konkreten Projekt, und das ist der Rechtsstaatsdialog. Ich möchte den wirklich nicht unterschätzen: Die Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, mit dem China einen solchen Dialog, solche Projekte vereinbart hat, das einzige Land, in dem explizit die Menschenrechte erwähnt werden, in dem beschlossen wurde, dass bei den Treffen der Regierungschefs immer wieder die Fortschritte in diesem Dialog evaluiert werden und in dem konkrete einzelne Punkte angegangen werden, um in China zu einer Verbesserung zu kommen und in dem es auch - aus meiner Sicht noch viel zu wenig -, ein notwendiges Nachdenken auch in China gibt, zum Beispiel über die Todesstrafe. Dass wir gegen die Todesstrafe sind, und gegen die Formen und die exzessive Anwendungen, wie sie in China praktiziert werden, ist völlig umstritten und dass das immer und überall bei jedem Gespräch immer wieder zu thematisieren ist, ist auch umumstritten und dass das auch symbolische Zeichen braucht, die Joschka Fischer zum Beispiel gesetzt hat, als er sich mit dem Dalai Lama sehr offen und sehr selbstverständlich getroffen hat - Zeichen, die heißen: Minderheitenrechte sind zu akzeptieren.

    Engels: Aber Bundeskanzler Schröder spricht lieber über die Wirtschaft.

    Roth: Noch mal: Das Sprechen über die Wirtschaft ist überhaupt kein Widerspruch, wenn deutlich gemacht wird, dass es im wirtschaftlichen Interesse eine politische Öffnung braucht und dass es im wirtschaftlichen Interesse notwendig ist, dass Menschenrechte garantiert sind. Das ist auch etwas, was im Interesse der Wirtschaft ist und deswegen wird auch und weiß ich, dass auch Bundeskanzler Schröder über Fortschritte und Defizite in China, was die Menschenrechte angeht, im wirtschaftlichen Interesse reden, und ich wünsche mir und erwarte, dass das auch die deutschen Wirtschaftsvertreter tun, denn eine Stabilisierung und eine Stabilität in einem Land hängt immer davon ab, wie stabil das Fundament an den bürgerlichen, politischen Freiheitsrechten ist.

    Engels: Kommen wir noch kurz auf die Lage im Nahen Osten zu sprechen. Ihr Parteifreund Christian Sterzing verlangt heute in der Bild-Zeitung die Teilnahme deutscher Soldaten an einer möglichen Blauhelmmission in der Region. Teilen Sie die Forderung?

    Roth: Ich glaube, es ist sehr wichtig, jetzt sehr intensiv zu überlegen: Wie kann man von außen dazu beitragen, dass die Spirale der Gewalt im Nahen Osten durchbrochen wird, dass beide Seiten endlich wieder auf die Notwendigkeit zurückkehren, dass es nur eine friedliche Lösung geben kann, dass auch dort Menschenrechte eingehalten werden, die im Moment massiv verletzt werden. Ich denke, es ist ein sinnvoller Vorschlag, der jetzt sehr schnell zu überprüfen ist.

    Engels: Vielen Dank. Das war die Grünen-Parteichefin, Claudia Roth. Wir sprachen über China und den Staatsbesuch von Jiang Zemin heute in Berlin.

    Link: Interview als RealAudio