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Der Cyberkrieg ist überall

Wie viel Kontrolle verträgt das Internet? Und wer kontrolliert es mit welchen Mitteln? Diese Fragen beschäftigen nicht nur Datenschutzbeauftragte, Netzaktivisten, sondern auch zunehmend staatliche Institutionen.

Von Sven Ahnert | 29.06.2013
    "Wir waren historisch noch nie in der Situation, dass ein Angreifer, ohne auch nur einen Fuß in unser Territorium zu setzen in der Lage gewesen wäre, alle unseren Strukturen anzugreifen, reinzugehen, anzusehen, was wir da machen, die straffrei die rauf- und runterzufahren."

    Sagt der für das Bundesaußenministerium arbeitende Technikphilosoph und Cybersicherheitsexperte Sandro Gaycken. Um das Netz vor Hackerangriffen sicherer zu machen, braucht es nicht nur eine ausgeklügelte Infrastruktur und ein Heer von Experten, sondern vor allem auch einen rechtlichen Rahmen, der das Internet als Rechtsraum kontrolliert und sanktioniert. Robin Geiß, Professor für Völkerrecht an der Universität Potsdam:

    "Zunächst einmal sind die Staaten nicht bereit sich durch völkerrechtliche Verträge in irgendeiner Form in diesem neuen Medium, das sich gerade erst rasant entwickelt, rechtlich die Hände zu binden. Ich sehe noch keine Initiativen von Staaten, die hier in irgendeiner Form zu handfesten staatlichen Regelungen kommen. Das liegt daran, dass die Staaten gerade damit beschäftigt sich, für sich ihre wirtschaftlichen, politischen und militärischen Interessen im Cyberspace zu eruieren."

    Während die europäischen NATO-Staaten auf Cyber-Verteidigung setzen, geht das Pentagon schon einen Schritt weiter. Im United States Cyber Command, der US-amerikanischen Militärbehörde für Cyberkriegsführung, werden längst offensive Cyberkriegsstrategien geplant und mutmaßlich auch durchgeführt.

    "In der Charta der Vereinigten Nationen steht drin, dass Staaten das naturgegebene Recht auf Selbstverteidigung haben. Und zwar immer dann, wenn sie mit einem bewaffneten Angriff eines anderen Staates konfrontiert sind. Das ist die Schwelle."

    95 Regeln für die Selbstverteidigung bei virtuellen Angriffen
    Internationaler Konsens ist, dass keine Atomkraftwerke, Staudämme und ähnliche Bauwerke Ziel eines Angriffes sein dürfen. Ebenso wie nach den Regeln traditioneller Kriegsführung sind auch im Falle eines Cyberkrieges Krankenhäuser und sonstige medizinische Einrichtungen keine Kriegsziele und damit tabu. Seit 2009 wurde das sogenannte Tallinn Manual von Rechtsexperten aus verschiedenen NATO-Staaten in Kooperation mit dem Internationalen Roten Kreuz und dem Cyber-Kommando der US-Armee in Estlands Hauptstadt Tallinn erarbeitet. Dieses Tallinn Manual enthält 95 Regeln, an denen sich NATO-Staaten im Fall eines Cyberkriegs orientieren können. Unklar aber ist zum Beispiel die Rolle des "Hackers", der nicht als Kombattant, also als Kriegsgegner eingestuft wird. Ebenso unklar sind auch nationale Cyberspace-Grenzen, die man als virtuelle Hoheitsgewässer bezeichnen könnte. Michael Schmitt, Völkerrechtler am US Naval War College, sieht das pragmatisch.

    "Heutzutage findet Krieg überall statt. Wenn die USA zum Beispiel in einen militärischen Konflikt mit einem anderen Land geraten und im Cyberspace operiert, betrifft das auch die Server von Drittländern."

    Cyberwar muss zudem nicht spektakulär sein; oftmals sind es kaum messbare Manipulationen, die einen Vorteil im Cyberspace verschaffen. Wer für einen Bruchteil einer Sekunde eine Bildübertragung unterbrechen kann, hat vielleicht schon einen Angriff für sich entscheiden. Cyberwar ist auch ein unsichtbarer Krieg. Eine bittere Pille für das humanitäre Völkerrecht.

    "Unter humanitären Völkerrechtlern gibt es einen zynischen Spruch und der heißt: Das humanitäre Völkerrecht kommt immer einen Krieg zu spät."


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