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Der deutsche Aktienmarkt wird neu sortiert

Ensminger: Sehr groß ist das Vertrauen der Anleger in die Börse wohl nicht mehr, und um das zu ändern, also das Vertrauen zurückzugewinnen, wird die Deutsche Börse zum Jahresbeginn den Aktienmarkt neu sortieren. In zwei Bereiche wird der Markt dann geteilt, das Premiumsegment und den Generalstandard. Für die im Premiummarkt gelisteten Unternehmen gelten hohe Anforderungen an die Informationspolitik gegenüber den Anlegern. Im Generalstandard gelten dagegen nur die gesetzlichen Mindestanforderungen. So ist es jedenfalls vorgesehen. Im Zuge dieser Zweiteilung wird auch der zuletzt in Verruf geratene Neue Markt bis Jahresende geschlossen. Heute wird zum letzten Mal in diesem Jahr gehandelt. Die Frankfurter Börse schließt um 14:00 Uhr, und am Telefon ist Professor Wolfgang Gerke, Direktor des Instituts für Banken- und Börsenwesen an der Universität Erlangen. Schönen guten Morgen.

    Gerke: Schönen guten Morgen, Frau Ensminger

    Ensminger: Herr Gerke, zunächst einmal: Wie würden Sie denn das zurückliegende Börsenjahr bewerten?

    Gerke: Ach, hätten wir doch lieber gleich nach vorne geschaut. Das zurückliegende Börsenjahr ist eine große Enttäuschung gewesen. Man hat viel höhere Erwartungen gehabt, insbesondere im zweiten Halbjahr. Da hieß es dann doch, die Konjunktur würde anziehen und die Börsenkurse würden mitgehen. Es hat zwischendurch zwar mal einen kleinen Auftrieb gegeben, aber insgesamt ist das Jahr sehr, sehr schlecht ausgefallen, und das was für uns Deutsche betrüblich ist: Wir sind von den großen Börsen her Rekordhalter. Die Amerikaner sind wesentlich glimpflicher davon gekommen. Selbst die Japaner sind dieses Mal glimpflicher davon gekommen. Die Verluste sind bei uns, und zwar durch die Reihen, selbst in der Finanzbranche, in der Versicherungsbranche, aber auch in den Industrieunternehmen so hoch, dass man nur auf das neue Jahr hoffen kann.

    Ensminger: Woran lag das denn eigentlich?

    Gerke: Ich glaube, dass wir einen generellen Abschlag von ausländischen Investoren bekommen haben, abgesehen davon ist man dadurch, dass die Konjunktur bei uns lahmt und dass wir eben auch sehr hohe Arbeitslosenzahlen haben und von daher der Konsum auch keinen Schwung bekommen kann, gegenüber Deutschland misstrauischer geworden. Man traut uns Reformen nicht mehr zu und man glaubt auch, dass es besser ist, in anderen Ländern zu investieren, und das obwohl der Dollar selber ja schwächelt, das heißt, Investoren dem Euro durchaus gewogen sind. Aber sie gehen dann nicht in deutsche Aktien sondern eher in festverzinsliche oder in Aktien anderer Länder.

    Ensminger: Also spielte beim Anlegerverhalten tatsächlich auch die Psyche eine Rolle?

    Gerke: Die Psyche spielt immer eine Rolle, aber die Psyche alleine kann es nicht sein. Die Psyche braucht Nahrung, und die Nahrung, die sie bekommen hat, war eben sehr negatives Futter, das heißt, die Unternehmensnachrichten, die kamen, waren nicht positiv, die Insolvenzrate in Deutschland ist bei Privatanlegern wie insbesondere auch bei mittelständischen Unternehmen und auch leider bei großen auf Rekordniveau und das drückt die Bilanzen der Banken, die hohen Abschreibungsbedarf haben, und das sorgt auch dafür, dass die Banken natürlich nicht mehr so leicht Kredit vergeben. Das ganze Szenario war in diesem Jahr wenig angenehm für Investoren an der Börse. Nur Langfrist-Investoren werden sich gesagt haben: Zu diesen Kursen steige ich ein. Hoffentlich behalten sie auch recht.

    Ensminger: Nun entlasse ich Sie mal aus dem Rückblick. Kommen wir zum Ausblick: Eine neue Börsenordnung tritt am 01. Januar in Kraft und im März soll dann Handelsstart sein. Was kommt denn da im kommenden Jahr auf die Anleger zu?

    Gerke: Die Börse hat die Konsequenz daraus gezogen, dass der Neue Markt nicht mehr gelaufen ist und dass es dort eben auch sehr unerfreuliche Einzelentwicklungen gegeben hat. Die Konsequenz war sehr radikal. Ob das richtig war, muss sich erst noch herausstellen. Man hat einfach beschlossen, diesen Markt, insbesondere auch mit seinem Namen einzuziehen und die Börsenmärkte neu zu segmentieren, also ein Segment zu schaffen für die Unternehmen, die bereit sind Transparenz nach draußen zu geben, das heißt also, die Quartalsberichte erstellen, die Analystenkonferenzen machen. Unternehmen also, die sich dem Anleger gegenüber also durchaus öffnen. Nur im Neuen Markt haben wir ganz ähnliche Regeln gehabt. Dann gibt es den General Standard. In diesem General Standard - wir suchen ja immer ausländische Namen für deutsche Börsensegmente - wird dann der Rest gehandelt. Und ich fürchte ein bisschen, dass der General Standard dann auch verkommt, dass der Anleger einen großen Bogen darum macht und sagt: Die sind ja nicht mal transparent die Unternehmen, die dort gehandelt werden. Die haben auch keinen Index auf diesem General Standard, so dass auch die institutionellen Investoren einen Bogen darum machen werden. Wir müssen also auf das Premiumsegment hoffen, und das könnte in der Tat der richtige Weg sein, jetzt dafür zu sorgen, dass sich möglichst viele deutsche Unternehmen auch ausländischen Investoren gegenüber transparent zeigen und so wieder Investoren anlocken. Das alleine wird es nicht sein. Das Umfeld muss sich bessern. Die Börse hat ihre Hausaufgaben erst einmal gemacht. Jetzt muss die Stimmung besser werden.

    Ensminger: Was hat der Anleger davon?

    Gerke: Der Anleger hat sicherlich den Vorteil, dass er davon ausgehen kann, dass - vielleicht nicht er selber aber - die Spezialisten, die Analysten und insbesondere auch die Journalisten die Unternehmen besser untersuchen können und bessere Berichte schreiben können, Empfehlungen geben können. Für ihn ist Transparenz immer ein Vorteil, aber eins hat sich auch in der Vergangenheit, insbesondere auch am Neuen Markt, gezeigt: Die strengsten Anforderungen reichen nicht. Betrug wird es immer geben und deshalb brauchen wir auch stärkere anlegerschützende Gesetze noch, die dem Anleger mehr Rechte geben, gegen unseriöse Manager vorzugehen.

    Ensminger: Könnten Sie das konkretisieren? Was müsste der Anleger tatsächlich noch in die Hand bekommen?

    Gerke: Der Anleger müsste die Möglichkeit haben, nicht gegen ein Unternehmen prozessieren zu müssen, denn das ist ja dann hinterher ein Tausch zwischen den Taschen der Anleger, wenn dann ein Unternehmen hier Schadensersatzansprüche zahlen muss, sondern gegen Manager selber, die unseriös gewirtschaftet haben. Ich will nicht, dass die Manager immer mit einem halben Fuß im Gefängnis sitzen, aber ich will doch, dass diejenigen, die die schwarzen Schafe sind, dann auch direkt von den Anlegern angegangen werden können und dass die nicht ihr Geld ins Trockene bringen können. Wir brauchen außerdem Schwerpunktgewichte, wo spezialisiert sehr schnell dann die Verfahren durchgeführt werden können, damit sich die Anleger auch darauf verlassen können, dass sie sehr schnell zu ihrem Recht kommen. Im vierten Finanzmarktförderungsgesetz ist übrigens eine Menge an Verbesserungen auch aus Anlegersicht durchgeführt worden. Man soll nicht nur klagen. Aber dennoch: Wir brauchen noch ein fünftes.

    Ensminger: Kurz noch mal zurück zur Neuordnung des Marktes: Was bedeutet das denn für bereits bestehende Fonds und gekaufte Aktien?

    Gerke: Ja, das ist das große Problem, Frau Ensminger, das Sie das ansprechen. Die Fonds haben sich ja an den Indizes ausgerichtet und jetzt werden die Indizes neu sortiert und das bedeutet auch einen Umstrukturierungsbedarf, und deshalb hat man eins gemacht: Man hat den Neuen Markt erst einmal nicht sofort geschlossen. Man führt die Indizes erst einmal im Handel auch weiter. An der Eurex, also der Terminbörse wird durchaus noch der NEMAX 50 intensiv gehandelt, und das läuft bis Jahresende so weiter, um die Übergangsphase gut bewältigen zu können. Dennoch: Hier gibt es eine Neuorientierung, und da wird auch manches Unternehmen nicht ganz zufrieden sein, wenn es dann einem Index zugeordnet wird, in dem es sich nicht eingebunden fühlen möchte.

    Ensminger: Was sollten die Kleinanleger jetzt beachten?

    Gerke: Die Kleinanleger sollten aus den leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit lernen. Sie müssen ihr Geld ganzheitlich disponieren. Sie dürfen nicht zu viel auf eine Aktie setzen. Man kann jetzt, glaube ich, vorsichtig, aber ganz vorsichtig, die Teile, die man etwas riskanter anlegen möchte, wieder in Aktien investieren. Ob das dann der Tiefpunkt ist, das kann keiner garantieren, aber um Gottes Willen, nicht wieder so riskant vom Sparbuch direkt in hochriskante Einzeltitel, sondern gut gestreut. Das muss nicht immer ein Fond sein. Ein Fond ist gut zum einsteigen, aber wenn man selber in den Branchen streut und seriöse Titel kauft, dann hat man auch mit sechs, sieben Titeln schon ein sehr schöne Streuung. Das sollte der Anleger berücksichtigen, dass er nicht nur auf Aktien setzt, sondern gut mischt zwischen festverzinslichen Wertpapieren, vielleicht auch zwischen Immobilientiteln. Das ist letztendlich eine ganz langweilige Wahrheit, und man kann sie nicht oft genug betonen, denn dagegen wird oft genug verstoßen.

    Ensminger: Sind Sie zuversichtlich für das neue Jahr?

    Gerke: Ich bin nur bedingt zuversichtlich. Es muss bei uns - Herr Herzog, der ehemalige Bundespräsident hat das mal gesagt - noch ein Ruck durch das Land gehen. Den sehe ich noch nicht. Das heißt, ich hoffe dann mehr auf Entwicklung aus dem Ausland, dass unser Export eben weiter die tragende Säule ist, aber da ist das Damoklesschwert: eine Auseinandersetzung im Irak. Die fürchte ich sehr und davon wird Deutschland sehr stark betroffen. Ich hoffe, dass uns das erspart bleibt. Aus vielen Gründen, nicht nur aus Börsengründen. Wenn das der Fall ist, dann bin ich optimistisch, dass wir - aber sehr langsam- im kommenden Jahr wieder in Schwung kommen werden. Die negative Seite will ich lieber gar nicht behandeln. Bleiben wir doch lieber bei der optimistischen.

    Ensminger: Vielen Dank, Wolfgang Gerke, Direktor des Instituts für Banken- und Börsenwesen an der Universität in Erlangen.

    Link: Interview als RealAudio