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"Der die größte Zahl ruft, der hat die besten Chancen, auch ganz vorne anzustehen"

Sven Plöger, Wetter- und Klimafachmann von Meteomedia zeigt sich überrascht, welche Warnungen aus seiner Vorhersage von fünf bis 15 Zentimeter Neuschnee entstanden sind. Sein Fazit: "Es klang ein bisschen laut im Blätterwald."

Sven Plöger im Gespräch mit Jochen Spengler | 11.01.2010
    Jochen Spengler: Es war ein schneereiches, stürmisches Wochenende. Das Tiefdruckgebiet Daisy hat uns besucht. Fast ganz Deutschland liegt unter einer weißen Schneedecke. Flüge wurden gestrichen, Autobahnen gesperrt, es gab Hunderte Unfälle, die Bahnen fuhren mit Verspätung. Auf den Mittelgebirgen stürmte es und vor allem im Norden, in Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern, ging wegen des Orkans und der Schneeverwehungen gar nichts mehr. Nun sind wir verbunden mit Sven Plöger, dem Wetter- und Klimafachmann von Meteomedia. Guten Morgen, Herr Plöger!

    Sven Plöger: Schönen guten Morgen, Herr Spengler!

    Spengler: Schneechaos also nicht flächendeckend, sondern durchaus in einzelnen Regionen. Alles in allem aber scheinen wir einigermaßen glimpflich davongekommen zu sein. Haben wir mal wieder - gemeint sind jetzt Sie, die Wetterfrösche, und wir, die Medien -, haben wir vorher übertrieben, oder war Daisy einfach harmloser als berechnet?

    Plöger: Die Menschen Richtung Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein werden wahrscheinlich sagen, ja, es war ja auch ziemlich heftig, zumindest in vielen Regionen dort. Einige sind auch dort ganz glimpflich davongekommen. Für den großen Rest kann man sicherlich bilanzierend sagen, na ja, es klang ein bisschen laut im Blätterwald und die Warnungen waren teilweise sogar grotesk übertrieben. Jetzt möchte ich natürlich an dieser Stelle gerne die Gelegenheit wahrnehmen, meinen ganz persönlichen Eindruck preiszugeben, denn ich hatte die gesamten Tage Dienst und was man dann erlebt, ist schon tragisch. Ich habe Tag für Tag und Sendung für Sendung immer wieder erzählt, wir werden mit ungefähr 5 bis 15 Zentimeter Schnee zu rechnen haben, der allerdings durch einen Wind in Böen von 50 bis 70 Kilometer pro Stunde verweht wird. Wenn man sich die Daten anguckt, kann man im Nachhinein sagen, das war eine relativ präzise Prognose, nicht weil ich es persönlich gemacht habe, sondern weil viele Kollegen das diskutiert haben und wir gemeinsam uns darüber einig wurden. Was daraus dann an Warnungen zum Teil entstand, da muss ich ein bisschen sagen, ich weiß nicht wer es war, aber da…

    Spengler: Die Wetterfrösche waren es nicht, es waren die Medien?

    Plöger: Ich will Ihnen jetzt nicht gleich so ganz doll auf die Füße treten. Es ist, glaube ich, eine Kombination. Es gibt solche und solche Wetterfrösche. Die einen haben gesagt, da kommt ein halber Meter Schnee oder noch größere Schneemengen. Dann wurden von den Medien möglicherweise Schneewehenhöhen mit Schneefallhöhen verwechselt. Das Tragische ist ein bisschen: der, der die größte Zahl ruft, der hat natürlich immer die besten Chancen, auch ganz vorne anzustehen. Wenn ich mit meinen 5 bis 15 Zentimetern dann ins Studio getreten bin, dann hat das natürlich nicht jeder so spannend gefunden.

    Spengler: Da waren Sie arg bescheiden, Herr Plöger?

    Plöger: Ja, aber am Ende müssen wir zu unserer Freude feststellen, das hat die Sache zumindest nach den Messungen getroffen.

    Spengler: Ich habe den Spruch gehört, was heute Schneechaos heißt, hieß früher Winter. Stimmen Sie dem zu?

    Plöger: Ganz genau und so empfinde ich es auch. Das waren Tage, wo viele im Nachhinein gesagt haben, was sollte diese ganze Dramatik, wir haben das richtig genossen, und genau das kann man tun. Wenn man sich richtig vorbereitet und warm anzieht, sind das tolle Wintertage gewesen. Nur hätte man jetzt Berufsverkehr gehabt, hätte man unter der Woche das gleiche erlebt, dann bin ich auch wieder überzeugt, hätte man natürlich stärkere Nachwehen oder stärker das ganze gespürt.

    Spengler: Herr Plöger, Sie sagen, es waren tolle Wintertage gewesen. heißt, das ist Vergangenheit, oder wird es heute in Deutschland noch irgendwo kritisch?

    Plöger: Es kann auch heute immer wieder Schneefälle geben. Das Vorteilhafte ist, dass der Wind nachlässt, wobei im äußersten Norden der Wind immer noch ziemlich kräftig ist. Das heißt, da muss man weiterhin natürlich Acht geben und mit deutlichen Verzögerungen rechnen. In den übrigen Gebieten gilt aber auch: die Verhältnisse sind winterlich, die Straßen zum Teil glatt, nicht immer alle frei, neuer Schnee kommt dazu. Also ein vernünftiger Umgang mit diesen Winterbedingungen, einfach ein bisschen früher losfahren. Das kann dann schon helfen, dass man den Tag eigentlich recht entspannt über die Bühne bringt.

    Spengler: Wenn wir kurz auf die kommenden Tage schauen, verzupft sich der Winter, oder bleibt er uns erhalten?

    Plöger: Verzupfen, welch schönes Wort. Nein, er verzupft sich nicht, er fühlt sich wohl bei uns, will bleiben. Das Hoch liegt nördlich von uns und immer wenn Hochs im Norden liegen, dann haben wir eben eine östliche oder nordöstliche Strömung und die bringt die kalte Luft zu uns. Temperaturen bleiben im Wesentlichen unter null, oder so gerade um, oder allenfalls ein, zwei Grad über null. Das heißt, der Winter bleibt, der Schnee bleibt. Allerdings gibt es dann häufiger auch die Pausen mit ein bisschen Sonnenschein sogar zwischendurch, also Entspannung auch in den Regionen dann denkbar, die jetzt wirklich mit viel Wind und auch einigem an Schnee versorgt wurden.

    Spengler: Wie hübsch. Ein nochmaliger Schneeeinbruch, ist das denkbar?

    Plöger: Generell ist jetzt einfach Winter und es kann auch nach diesen Tagen mit sehr kalter Luft immer wieder dazu kommen, dass wir neuen Schnee abbekommen. Jetzt sind es kleine Schneefallgebiete, die über uns ziehen. Die ganz großen Schneestürme oder so etwas in der Richtung ist jetzt in den nächsten Tagen erst mal nicht zu erwarten. Es ist eine ruhige Wetterlage mit wenig Wind. Aber der Winter dauert noch nach dem Kalender bis zum 20. März und möglicherweise gibt es auch nach dem kalendarischen Ende des Winters noch mal sehr kalte Phasen. Aber klar: jetzt im Januar, die Sonne steht extrem tief, das heißt wir haben wenig Energie von draußen, es ist die kälteste Zeit und insofern ist die Wahrscheinlichkeit immer am höchsten, dass es auch in dieser Zeit dann diese wirklich winterlichen Wettereindrücke gibt.

    Spengler: Wir sprechen mit Sven Plöger, dem Meteorologen, und wir wollen ein bisschen allgemeiner werden. Herr Plöger, kommen wir mal vom kleinen Wetter auf das große Klima. Wie hängt beides zusammen?

    Plöger: Es ist was ganz verschiedenes, aber beides hat mit der Atmosphäre zu tun, so wie Fußball und Handball auch verschiedene Sportarten sind, aber beide mit einem Ball zu tun haben. Wetter ist das, was wir täglich fühlen können, was schwankt, was wir jetzt erleben, wenn wir Daisy erleben, wenn wir den starken Wind erleben, möglicherweise die Schneeverwehungen erleben. Das können wir alles fühlen, auch wenn es heiß ist, wenn es regnet et cetera. Klima ist die Mittlung über einen langen Zeitraum. Man nimmt dort klassisch 30 Jahre und mittelt, wenn man über das globale Klima sich unterhält, eben die Temperaturen zum Beispiel oder andere Parameter über den gesamten Globus. Das kann man nicht fühlen, das ist Statistik und wenn es bei uns kalt ist, kann es durchaus anderswo warm sein. Wer dann gerade in der Zeit in der Wärme sitzt, wird nicht sagen, es ist jetzt eiskalt, sondern es ist wirklich das Mittel, es ist die Statistik.

    Spengler: Sie haben ja vor einem Jahr ein Buch veröffentlicht unter dem Titel "Gute Aussichten für morgen - wie wir den Klimawandel für uns nutzen können". Jetzt erleben wir, dass Großbritannien die niedrigsten Temperaturen seit Jahrzehnten durchleidet, auch China übrigens, und bei uns ist nun schon der dritte kalte Winter innerhalb der letzten vier Jahre. Gibt es den Klimawandel, die Erderwärmung überhaupt?

    Plöger: Ja, es gibt sie, wenn man eben lange Zeiträume anguckt. Wenn man jetzt kurze Zeiträume betrachtet, dann in der Tat kann man dazu kommen und sagen, na ja, das ist wahrscheinlich alles gar nicht so. Zur grundsätzlichen Einordnung: Wenn wir in den letzten 100 Jahren zurückgucken, dann ist die Temperatur um 0,7 Grad global gestiegen. Man wird sagen, das ist aber wenig in 100 Jahren. Wenn man dann zurückschaut zur letzten Eiszeit, die ist 11.000 Jahre her, wird man feststellen, seitdem ist sie ungefähr viereinhalb Grad gestiegen. Dann wird plötzlich 0,7 Grad in 100 Jahren groß und dann wird die Prognose der Klimaforscher, die davon ausgehen, dass man bis zum Ende des Jahrhunderts zwei bis drei Grad Temperaturanstieg global erleben wird, richtig groß aufgrund der schnellen Geschwindigkeit.

    Spengler: Nun habe ich nachgelesen, Herr Plöger, dass das wärmste Jahr 98 war. So warm war es seither nicht wieder im Durchschnitt. Kann das nicht sein, dass wir schon wieder auf einem Abkühlungspfad sind?

    Plöger: Das zeigt sich momentan nicht. Das allerdings stimmt: die Temperatur geht nicht von Jahr zu Jahr nach oben. Das ist auch gar keine Notwendigkeit. Stellen Sie sich vor, an der Börse, Sie haben einen hohen Kurs, kaufen eine Aktie ein, die fällt stark und steigt dann wieder leicht an, ist aber auf sehr tiefem Niveau, dann werden Sie nicht glücklich sein und sagen, Mensch, toll, dass meine 1000 Euro, die ich jetzt investiert habe, zu 130 geworden sind und vorgestern noch 110 waren. Das heißt, unser Gesamtniveau der Temperaturen in dem letzten Jahrzehnt war sehr hoch, aber in der Tat richtig ist, dass nicht ein Jahr wärmer wurde als das nächste, wobei man sich über die Höchsttemperatur etwas streiten kann. Es gibt unterschiedliche Datenreihen, Bearbeitungen. Nach der einen ist richtigerweise 1998 das wärmste Jahr global, ein El-Nino-Jahr; da ist es typisch, dass es auffällig warm ist. Nach anderen Bearbeitungen - Datenreihen müssen immer bearbeitet werden, sonst kann man sie überhaupt nicht nutzen - war es das Jahr 2005.

    Spengler: Nun gibt es ja eine große Minderheit von Wissenschaftlern, von sogenannten Klimaskeptikern, die bezweifelt, dass wir es mit einer von Menschen verursachten globalen Erwärmung zu tun haben, und die stattdessen lieber von natürlichen Klimaschwankungen spricht. Was sagen Sie dazu?

    Plöger: Ich würde Ihre Frage toll finden, wenn wir einfach das Wort "stattdessen" rausstreichen. Dann können wir uns alle einig werden. Wir haben eine etwas für mich ungewöhnliche Art und Weise, an das Thema heranzugehen. Es war ja nun tatsächlich - und da hat jeder Klimaskeptiker auch irgendwo Recht -, es gab immer schon große Temperaturschwankungen auf dieser Welt, es gab immer schon Klimaschwankungen, und zwar bevor der Mensch da war, und deswegen hat die Natur einen entscheidenden Einfluss. Diesen Einfluss wird sie beibehalten, tut das auch völlig unbeeindruckt von uns Menschen. Warum soll sie das auch nicht? Aber - und das ist der zweite Punkt - der Mensch nimmt eben auch Anteil an der Veränderung, zum Beispiel durch die Emission von Treibhausgasen, 30 Milliarden Tonnen nicht sichtbares CO2 in eine durchsichtige Atmosphäre hinein. Wir sehen und spüren das nicht. Das beeinflusst eben das Klima auch und beide Prozesse wirken gemeinsam und unser Klimasystem selbst, unser gesamtes Erdsystem ist so komplex, dass die Überlagerung dieser verschiedenen Prozesse nachher nicht mehr so laufen, dass wir sagen können, eine Ursache, eine Wirkung, zum Beispiel der Mensch mit seinem Kohlendioxid verändert alleine ganz das Klima. Das ist auch in der Wissenschaft keine vertretene Annahme. Das passiert eben, ähnlich wie wir das eingangs im Gespräch gehabt haben, mit den Warnungen jetzt im Zusammenhang mit Daisy, wenn es nachher einseitig interpretiert wird. Vieles, was die Klimaskeptiker sagen, sind Repliken auf Artikel in den Medien und viel seltener zu meinem Bedauern Repliken auf wissenschaftliche Kenntnisse und wissenschaftliche Artikel. Würde man das machen, würde man diese einseitige Sichtweise nicht haben und ich denke, dann käme man auch zusammen, denn das muss man auch nach meiner festen Auffassung, denn eines müssen wir schaffen: die Wissenschaft gemeinsam mit der Bevölkerung muss ja an einem Strang ziehen. Wir müssen dieses Thema besser vermitteln, inhaltlich stärker vermitteln, damit die Bevölkerung auch mitzieht und damit es nicht dazu kommt, dass man immer mehr dazu neigt zu zweifeln und zu sagen, das gibt es doch gar nicht, unser menschlicher Beitrag ist viel zu gering. Es gibt einen großen natürlichen und es gibt einen großen menschengemachten, die überlagern sich und an unserer Schraube, an unserem Anteil müssen wir drehen. Den Rest können wir nicht beeinflussen, das wäre eine komplette Hybris, wenn wir annehmen, wir könnten das.

    Spengler: Der Appell von Sven Plöger, Meteorologe von Meteomedia. Danke schön, Herr Plöger.

    Plöger: Sehr gerne. Tschüß!