Kathrin Hondl: Zuerst aber geht es um Räume von heute, die Räume in unseren Städten, und darüber, wie die zu gestalten und bebauen wären, gibt es zurzeit ja eine ganze Reihe heftiger Diskussionen, von den Protesten gegen das schwäbische Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" bis zu den Debatten um den mittlerweile auf Eis gelegten Wiederaufbau des Berliner Schlosses.
Am Telefon ist Arno Sighard Schmid, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, gerade zurückgekehrt aus Venedig von der Architektur-Biennale, und der deutsche Pavillon dort hat ja die Sehnsucht zum Thema. Denkt man aber an die aktuellen Architekturdiskussionen in Deutschland, dann entsteht eher der Eindruck, Sehnsüchte zu befriedigen, das gelingt der Architektur in Deutschland zurzeit nicht so recht. Woran liegt das, Herr Schmid?
Arno Sighard Schmid: Das liegt vielleicht daran, dass die Sehnsucht, die sicherlich in breiteren Bevölkerungsschichten vorhanden ist, sich nicht so richtig artikulieren kann, und da sind natürlich beide Richtungen unter die Lupe zu nehmen. Einmal kann sich ja Sehnsucht um die Zukunft drehen und zum zweiten scheinen sich ja Sehnsüchte verstärkt auch rückwärts zu richten, sprich die gute, alte Zeit.
Hondl: Nehmen wir zum Beispiel mal das Beispiel "Stuttgart 21". Seit Wochen stehen sich da Gegner und Befürworter unversöhnlich gegenüber, und entzündet hat sich der Protest ja vor allem am Abriss von Teilen des alten Stuttgarter Bahnhofs. Warum, meinen Sie, mobilisiert dieser alte Bahnhof von Paul Bonatz auf einmal so viele Fans?
Schmid: Nach meiner Meinung ist es sehr, sehr bedauerlich, dass sich diese Protestwelle erst jetzt entwickelt hat, denn dieser Protest hätte vor zehn oder zwölf Jahren kommen sollen, als die Weichen für die Art und Weise, wie der Kopfbahnhof Stuttgart zum Durchfahrtbahnhof umgestaltet werden soll, gestellt wurden.
Hondl: Aber was, meinen Sie, hat dieser Widerstand der Schwaben gegen "Stuttgart 21", also gegen den Teilabriss dieses alten Bahnhofs? Hat er auch was mit einem gewissen Unmut an der Moderne – na ja, an der Moderne nicht unbedingt, denn auch der alte Bahnhof ist ja kunsthistorisch gesehen modern -, hat das mit einem gewissen Unmut am Neuen, am Neuen in der Architektur zu tun?
Schmid: Nein, das würde ich eigentlich so nicht sehen wollen. Wie Sie ja richtig sagten, ist der Bonatz-Bau ungefähr zur gleichen Zeit entstanden wie die Weißenhofsiedlung, und die Weißenhofsiedlung ist ja der Ausdruck der Architekturmoderne, der klassischen Moderne in Stuttgart als Beispiel. Da war Bonatzs Bau des Hauptbahnhofes eher etwas traditioneller schon in der damaligen Zeit.
Nein, ich glaube, es hat eher damit zu tun, dass breite Bevölkerungsschichten mit der derzeitigen Politik nicht wirklich einverstanden sind und dass sie ihr Mitspracherecht einfordern wollen, dass sie gehört werden wollen, und jetzt auf einmal stellt sie fest, dass ein lieb gewordenes Ensemble in ihrer Sicht und in der Sicht vieler, die es so interpretieren, verstümmelt wird, und dagegen wenden sie sich.
Hondl: Anderswo gibt es auch Großprojekte, die problematisch sind: in Hamburg der Bau der Elb-Philharmonie, da explodieren die Kosten, das geplante Berliner Schloss bleibt erst mal ein Luftschloss, der Wiederaufbau ist verschoben. Sind solche Großprojekte eigentlich überhaupt noch zeitgemäß, Herr Schmid?
Schmid: Ja und nein. Ich denke, Großprojekte waren nie wirklich zeitgerecht, konnten es gar nicht sein, weil sie an die Grenze des Machbaren für die jeweilige Situation und für die jeweiligen Gesellschaften und die Verantwortlichen geraten. Aber ohne diese Großprojekte wäre die Welt um einiges ärmer. Ich verweise darauf, dass viele Projekte, die inzwischen zu Ikonen geworden sind, die nachher gerade für Städte oder Kontinente stehen, in der Zeit ihrer Entstehung zu heftigen Auseinandersetzungen geführt haben, oftmals drastische Kostenüberschreitungen mit sich gebracht haben. Das Beispiel Sydney Opera hat, glaube ich, das Fünffache der ursprünglichen Kostenanschläge gekostet.
Hondl: Ist Bauen in der Demokratie anstrengend?
Schmid: Sehr! Sehr, und zwar für alle Beteiligten, weil auf der Bauherrenseite nicht die eine Person, die letztendlich verantwortlich entscheiden kann und nur sich selbst verpflichtet ist, steht, sondern als Bauherr steht in der Demokratie immer ein Kollektiv, und das macht es dann natürlich schwierig, dort sich abzustimmen und dann auch Entscheidungen mit Nachdruck durchzustehen. Das ist der schwierige Punkt.
Hondl: Sie als Präsident der Bundesarchitektenkammer dürften aber doch eigentlich auch vielleicht ganz froh darüber sein, dass in Deutschland so leidenschaftlich über Architektur gestritten wird, oder?
Schmid: Ich begrüße es sehr, ja, weil ich denke, der Disput muss stattfinden, die Diskussion muss stattfinden und wir sind ja auch sehr bemüht gewesen, die ganzen vergangenen Jahre über die Bundesstiftung Baukultur genau dieses Thema in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Die Baukultur, das Gebaute, unsere gebaute Umwelt ist ja der Bereich, der die Gesellschaft mit am eindringlichsten und nachhaltigsten prägt.
Hondl: ... , sagt Arno Sighard Schmid, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, über die Bereitschaft der Deutschen zum leidenschaftlichen Streiten über Architektur.
Am Telefon ist Arno Sighard Schmid, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, gerade zurückgekehrt aus Venedig von der Architektur-Biennale, und der deutsche Pavillon dort hat ja die Sehnsucht zum Thema. Denkt man aber an die aktuellen Architekturdiskussionen in Deutschland, dann entsteht eher der Eindruck, Sehnsüchte zu befriedigen, das gelingt der Architektur in Deutschland zurzeit nicht so recht. Woran liegt das, Herr Schmid?
Arno Sighard Schmid: Das liegt vielleicht daran, dass die Sehnsucht, die sicherlich in breiteren Bevölkerungsschichten vorhanden ist, sich nicht so richtig artikulieren kann, und da sind natürlich beide Richtungen unter die Lupe zu nehmen. Einmal kann sich ja Sehnsucht um die Zukunft drehen und zum zweiten scheinen sich ja Sehnsüchte verstärkt auch rückwärts zu richten, sprich die gute, alte Zeit.
Hondl: Nehmen wir zum Beispiel mal das Beispiel "Stuttgart 21". Seit Wochen stehen sich da Gegner und Befürworter unversöhnlich gegenüber, und entzündet hat sich der Protest ja vor allem am Abriss von Teilen des alten Stuttgarter Bahnhofs. Warum, meinen Sie, mobilisiert dieser alte Bahnhof von Paul Bonatz auf einmal so viele Fans?
Schmid: Nach meiner Meinung ist es sehr, sehr bedauerlich, dass sich diese Protestwelle erst jetzt entwickelt hat, denn dieser Protest hätte vor zehn oder zwölf Jahren kommen sollen, als die Weichen für die Art und Weise, wie der Kopfbahnhof Stuttgart zum Durchfahrtbahnhof umgestaltet werden soll, gestellt wurden.
Hondl: Aber was, meinen Sie, hat dieser Widerstand der Schwaben gegen "Stuttgart 21", also gegen den Teilabriss dieses alten Bahnhofs? Hat er auch was mit einem gewissen Unmut an der Moderne – na ja, an der Moderne nicht unbedingt, denn auch der alte Bahnhof ist ja kunsthistorisch gesehen modern -, hat das mit einem gewissen Unmut am Neuen, am Neuen in der Architektur zu tun?
Schmid: Nein, das würde ich eigentlich so nicht sehen wollen. Wie Sie ja richtig sagten, ist der Bonatz-Bau ungefähr zur gleichen Zeit entstanden wie die Weißenhofsiedlung, und die Weißenhofsiedlung ist ja der Ausdruck der Architekturmoderne, der klassischen Moderne in Stuttgart als Beispiel. Da war Bonatzs Bau des Hauptbahnhofes eher etwas traditioneller schon in der damaligen Zeit.
Nein, ich glaube, es hat eher damit zu tun, dass breite Bevölkerungsschichten mit der derzeitigen Politik nicht wirklich einverstanden sind und dass sie ihr Mitspracherecht einfordern wollen, dass sie gehört werden wollen, und jetzt auf einmal stellt sie fest, dass ein lieb gewordenes Ensemble in ihrer Sicht und in der Sicht vieler, die es so interpretieren, verstümmelt wird, und dagegen wenden sie sich.
Hondl: Anderswo gibt es auch Großprojekte, die problematisch sind: in Hamburg der Bau der Elb-Philharmonie, da explodieren die Kosten, das geplante Berliner Schloss bleibt erst mal ein Luftschloss, der Wiederaufbau ist verschoben. Sind solche Großprojekte eigentlich überhaupt noch zeitgemäß, Herr Schmid?
Schmid: Ja und nein. Ich denke, Großprojekte waren nie wirklich zeitgerecht, konnten es gar nicht sein, weil sie an die Grenze des Machbaren für die jeweilige Situation und für die jeweiligen Gesellschaften und die Verantwortlichen geraten. Aber ohne diese Großprojekte wäre die Welt um einiges ärmer. Ich verweise darauf, dass viele Projekte, die inzwischen zu Ikonen geworden sind, die nachher gerade für Städte oder Kontinente stehen, in der Zeit ihrer Entstehung zu heftigen Auseinandersetzungen geführt haben, oftmals drastische Kostenüberschreitungen mit sich gebracht haben. Das Beispiel Sydney Opera hat, glaube ich, das Fünffache der ursprünglichen Kostenanschläge gekostet.
Hondl: Ist Bauen in der Demokratie anstrengend?
Schmid: Sehr! Sehr, und zwar für alle Beteiligten, weil auf der Bauherrenseite nicht die eine Person, die letztendlich verantwortlich entscheiden kann und nur sich selbst verpflichtet ist, steht, sondern als Bauherr steht in der Demokratie immer ein Kollektiv, und das macht es dann natürlich schwierig, dort sich abzustimmen und dann auch Entscheidungen mit Nachdruck durchzustehen. Das ist der schwierige Punkt.
Hondl: Sie als Präsident der Bundesarchitektenkammer dürften aber doch eigentlich auch vielleicht ganz froh darüber sein, dass in Deutschland so leidenschaftlich über Architektur gestritten wird, oder?
Schmid: Ich begrüße es sehr, ja, weil ich denke, der Disput muss stattfinden, die Diskussion muss stattfinden und wir sind ja auch sehr bemüht gewesen, die ganzen vergangenen Jahre über die Bundesstiftung Baukultur genau dieses Thema in die breitere Öffentlichkeit zu tragen. Die Baukultur, das Gebaute, unsere gebaute Umwelt ist ja der Bereich, der die Gesellschaft mit am eindringlichsten und nachhaltigsten prägt.
Hondl: ... , sagt Arno Sighard Schmid, der Präsident der Bundesarchitektenkammer, über die Bereitschaft der Deutschen zum leidenschaftlichen Streiten über Architektur.