Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Baustelle ist rechtlich noch nicht sichergestellt"

Der Streit um das Projekt Stuttgart 21 geht weiter. Der geplante Runde Tisch ist für den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag Winfried Hermann zwar ein guter Ansatz, aber: "Der Bund hat im Grunde genommen nicht das Geld, Stuttgart 21 und die Neubaustrecke zu bauen."

Winfried Hermann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 30.08.2010
    Tobias Armbrüster: Die Stuttgarter Innenstadt hat wahrscheinlich selten so viel bundesweite Aufmerksamkeit bekommen wie in den letzten Tagen. Am Hauptbahnhof in Stuttgart werden aller Wahrscheinlichkeit auch heute wieder mindestens 10.000 Demonstranten erwartet, alle mit dem gleichen Ziel, das Bahnprojekt Stuttgart 21 zu stoppen und die Abrissarbeiten am Hauptbahnhof zu beenden. Die Pläne von Stuttgart 21 sehen vor, den Hauptbahnhof komplett unter die Erde zu verlegen. Es ist das größte Bauprojekt Europas, aber es könnte in den kommenden Jahren auch der größte Zankapfel Europas werden, denn man hat den Eindruck, je länger die Proteste andauern, desto mehr Demonstranten schließen sich an. Was kann die Bundespolitik tun, um diesen Streit in Stuttgart zu schlichten? – Darüber wollen wir mit Winfried Hermann sprechen, dem Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Hermann.

    Winfried Hermann: Guten Morgen!

    Armbrüster: Um mal vorab die Position zu klären. Ihre Partei, die Grünen, lehnt Stuttgart 21 ab. Ist das auch Ihre Haltung?

    Hermann: Ja, das ist meine Haltung seit Langem. Ich gehöre zu den Menschen, die das Projekt seit 17 Jahren verfolgen und begleiten. Ich habe die Anfänge beobachtet, wir haben sehr schnell uns mit dem Konzept befasst als Grüne und haben von Anfang an eigentlich viele kritische Punkte gesehen und haben festgestellt, es ist ein schlechtes Konzept, es schadet dem Schienenverkehr insgesamt weit mehr, als dass es ihm nutzt, und es gibt preiswertere Alternativen, und in dieser Grundhaltung bin sowohl ich als auch die meisten meiner Parteifreunde, man kann auch sagen alle grundsätzlich gegen dieses Projekt, und je länger es dauert, desto grundsätzlicher, muss ich sagen, ist auch meine Kritik bestätigt. Alleine die Kosten haben sich damals – wir haben früher immer gesagt, es wird in diese Richtung gehen, und heute gibt es eben viele Belege, dass es tatsächlich so viel teuerer wird, wie wir vermutet haben.

    Armbrüster: Der Bahnchef, Rüdiger Grube, hat jetzt am Wochenende einen Runden Tisch angeregt, an dem sich Befürworter und Gegner zusammensetzen sollen. Was erwarten Sie von so was?

    Hermann: Zunächst ist mal gut, dass er das jetzt tut, denn ich muss schon sagen, noch bevor es losgegangen ist mit den Bauarbeiten, habe ich ihm das angeboten, dass wir mal reden sollten, da hat er das noch ziemlich brüsk abgewehrt. Dann haben die Grünen ja vor wenigen Tagen einen Vorstoß gemacht für einen solchen Runden Tisch, das ist ebenso brüsk von Bund, Bahn und vom Land abgewiesen worden. Jetzt hat er sich korrigiert, das finde ich gut. Auch der Ministerpräsident Mappus hat sich korrigiert und sucht jetzt das Gespräch. Insofern glaube ich, das ist schon mal ein guter Ansatz.

    Armbrüster: Kann das denn, Herr Hermann, mehr sein als eine Plauderrunde?

    Hermann: Ja, das sollte auf jeden Fall mehr werden. Wenn es das nur sein soll, dann müssen wir das sehr schnell abbrechen. Ich finde zum Beispiel, die mindeste Geste, die man erwarten muss, neben der Gesprächsbereitschaft, ist, dass wenigstens während den Gesprächen nicht weiter der Bahnhof abgerissen wird. Es muss eine gewisse Offenheit geben und eine gewisse Bereitschaft auch, die Argumente der Kritiker endlich mal zu hören und endlich auch mal die Zahlen auf den Tisch zu legen, denn das Projekt krankt ja auch daran, dass es über viele Jahre schlechte öffentliche Informationen über die wahren Kosten, über die wahren Risiken und über den bescheidenen Nutzen gab und dass selbst der Deutsche Bundestag bis zum heutigen Tage keine Zahlen hat, was die Kosten-Nutzen-Rechnung dieser beiden Projekte – die Neubaustrecke gehört ja dazu – anbelangt. Das wird schon behandelt, als wäre es ein Betriebsgeheimnis einer privaten Aktiengesellschaft, und das macht einfach misstrauisch.

    Armbrüster: Sie sitzen ja nun im Verkehrsausschuss des Bundestages. Welche Möglichkeiten hat der Bund überhaupt noch, in diesen Streit einzugreifen?

    Hermann: Sowohl meine Fraktion als auch die Fraktion der Linken wird gleich nach der Sommerpause eine Initiative starten, einen Antrag einbringen zu den inzwischen neuen bekannten Zahlen. Die Strecke ist ja jetzt zugegebenermaßen auch noch mals um eine Milliarde etwa teuerer geworden.

    Armbrüster: Heißt das, die Bundesregierung könnte das Ganze noch stoppen?

    Hermann: Im Prinzip ja. Aus meiner Sicht ist es so, dass alle Beteiligten nachdenken können, denn alle hätten Vorteile. Der Bund – das ist einfach so – hat im Grunde genommen nicht das Geld, Stuttgart 21 und die Neubaustrecke zu bauen. Diese beiden Projekte zusammen sind so teuer, weit über zehn Milliarden. Mit diesem Geld könnte man komplett den Güterverkehr in Deutschland ertüchtigen, in kürzerer Zeit mit größerem Nutzen - Um nur mal eine Vergleichszahl zu nennen: Das Land zahlt zwei Milliarden an den Bund und an die Bahn, was es nicht zahlen müsste. Das könnte das Land dringend in Bildung und im sozialen Bereich brauchen. Und die Bahn selber weiß genau, eigentlich vom Nutzen her kann die Bahn im Grunde genommen dieses Projekt nicht verfolgen, denn einen eigentlichen Bedarf und Engpässe gibt es ganz anderswo, etwa beim Hafen-Hinterlandverkehr, beim Ausbau der Schienen-Güterstrecken, und jetzt ist man mit seinen Kapazitäten und mit seinem Geld an diese zwei Projekte gebunden, weil die Politik einen im Grunde genommen da reingezwungen hat.

    Armbrüster: Aber, Herr Hermann, warum hören wir eigentlich von diesen ganzen Protesten erst jetzt? Dieses Projekt läuft ja seit 15, 20 Jahren.

    Hermann: Also zunächst muss man sagen, dass schon in den 90er-Jahren übrigens die Grundzüge der Argumentation schon da waren.

    Armbrüster: Aber da haben wir nicht Zehntausende von Demonstranten in Stuttgart gesehen?

    Hermann: Das ist richtig, aber da hat die Politik auch an die Kritiker immer sozusagen eine Abfuhr erteilt, nicht zugehört, und das ist leider so, dass halt die Öffentlichkeit, die sich nicht ständig mit Politik befasst oder mit Fachpolitik, sagt, die werden das schon richtig machen. Irgendwann hat man übrigens auch die Haltung in Stuttgart vernehmen können, die sehr weit verbreitet war, das kommt nie zustande, weil das wird nicht finanzierbar sein, das Projekt wird an sich selber zugrunde gehen. Und dann hat man immer wieder Hoffnung gehabt beim Regierungswechsel, bei einem neuen Ministerpräsidenten, bei einem neuen Bahnchef hat man immer wieder die Hoffnung gehabt, die trennen sich von dieser milliardenschweren Erblast, die so viel Schaden mit sich bringt, und nichts ist geschehen. Jetzt kommt der Protest sicher spät, aber nicht zu spät, denn eines ist in der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt. Weder der Bahnhof Stuttgart 21 ist vollkommen planfestgestellt, da fehlen noch zwei Abschnitte, die nicht rechtskräftig planfestgestellt sind. Die Neubaustrecke ist überwiegend nicht planfestgestellt. Und das ist besonders ärgerlich, dass man so tut, als gäbe es schon keinen Weg mehr zurück und als wäre es unabdingbar, dass es so kommen muss, obwohl rechtlich gesehen es eher hoch problematisch ist, dass man überhaupt anfängt zu bauen, wenn man weiß, dass die Baustelle insgesamt noch gar nicht sichergestellt ist, also rechtlich noch nicht sichergestellt ist.

    Armbrüster: Herr Hermann, wir haben jetzt in den vergangenen Wochen gesehen, dass immer mehr Projekte durch Bürgerentscheide gekippt werden. In Hamburg war es die Schulreform, in Bayern wurde ein Rauchverbot durchgesetzt. Ist das eine gute Entwicklung?

    Hermann: Das zeigt zumindest, dass es ein ganz breites Bedürfnis der Menschen gibt, mitzureden und wichtige Entscheide, die ihr Leben, ihren Alltag betreffen, dass da nicht einfach nur in Parlamenten diskutiert und entschieden wird, sondern dass man sie da mitnimmt. Und ich glaube, wir kommen letztendlich aus dem Konflikt zwischen Befürwortern und Gegnern etwa auch bei diesem Projekt nur raus, wenn wir eine Bürgerbefragung und einen Bürgerentscheid machen, und dann müssen eben halt auch die Bürger akzeptieren, was die Mehrheit dann entscheidet. Aber ich glaube, die Politik selber tut sich da sehr schwer und auch, weil die Positionen so weit auseinander sind, und da gibt es ein demokratisches Verfahren. Das zeigt aus meiner Sicht nur, unsere Demokratie entwickelt sich, und ich bin der Letzte, der darüber klagt, weil ich als Parlamentarier von außen angegriffen werde. Ich bin für eine lebendige Demokratie und dazu gehört es auch, dass manchmal die Straße was anderes will, als man selber will, und manchmal tickt die auch gleich, wie man das politisch im Parlament versucht.

    Armbrüster: Herr Hermann, vielen Dank für dieses Interview. – Das war Winfried Hermann von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag.

    Hermann: Danke schön.