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''Der Druck der EU muss aufrecht erhalten werden, über die Art der Sanktionen kann man reden'' - Nach 100 Tagen FPÖ in der Regierung

    Nutz: 100 Tage ist sie nun im Amt, die rechtskonservative Regierung in Österreich, die Koalition aus Österreichischer Volkspartei und rechtspopulistischer Freiheitlicher Partei. Beinahe ebenso lang sind die Sanktionen der übrigen 14 EU-Partnerländer in Kraft. Zum erstenmal wurde so ein eigenes Mitglied der Europäischen Union abgestraft. Am vergangenen Wochenende beim EU-Außenministertreffen auf den Azoren hatte man das erstemal nun den Eindruck, die Sanktionsfront innerhalb der Union bröckelt langsam zusammen. Doch Tage später bekräftigten vor allem Frankreich, Belgien, Portugal und Deutschland ihre harte Haltung.


    Morgen sind diese 100 Tage offiziell. Heute wollen wir schon einmal Bilanz ziehen und nach dem Wirken der Strafmaßnahmen fragen. Am Telefon begrüße ich Gernot Erler, den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD, zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik. Guten Morgen!

    Erler: Guten Morgen, ich grüße Sie.

    Nutz: Herr Erler, 100 Tage ÖVP/FPÖ-Koalition im Amt, was ist denn Ihre Bilanz? Zeigt sich hier eine ausländerfeindliche und demokratiepolitisch unzuverlässige Regierung?

    Erler: Es gibt ein gespaltenes Bild. Man kann - und das haben wir ehrlich gesagt auch nicht erwartet - nicht erkennen, dass die neue Regierung, die schwarz-blaue Regierung jetzt irgendwelche Inszenierungen im Inneren gegen Ausländer oder ähnliches macht. Aber die bedenklichen Töne aus den Kreisen insbesondere der FPÖ-Regierungsmitglieder wiederholen sich ständig und es kommen besonders auf die Zukunft von Europa immer noch Zitate, die uns sehr besorgt machen: Beleidigungen der Europäischen Union, Beleidigungen von wichtigen Führungspersönlichkeiten. Ich empfinde das ganze so ein bisschen wie eine Operette. Da kommt Herr Haider und beschimpft die EU, beschimpft Herrn Chirac und andere, und in Brüssel wird dann die beleidigte Unschuld gespielt. Das ist ein eigenartiger Eindruck.

    Nutz: Und Jörg Haider, der sich ja aus dem Parteivorsitz offiziell zumindest zurückgezogen hat?

    Erler: Aber das ist doch die einzige Autorität in der FPÖ. Frau Riess-Passer, seine Nachfolgerin, hat ja auch gesagt, er bleibt in Wirklichkeit der Chef.

    Nutz: Die Österreicher stehen nun laut Umfragen mehr und mehr hinter der Regierung und gegen die Sanktionsmaßnahmen der 14 EU-Partner. Es heißt 40 Prozent stimmen bei der Kanzlerfrage für Wolfgang Schüssel. Ist das nun der berühmte Bumerang in der EU-Diplomatie?

    Erler: Es ist ein Irrtum, dass die EU-Maßnahmen darauf abgezielt haben, sich einzumischen in die innerösterreichischen Angelegenheiten. Das ist bisher eine geschickte Inszenierung auch von Herrn Schüssel und seinem Koalitionspartner, eben diese Wagenburgmentalität zu zelebrieren, und die Leute merken gar nicht, dass inhaltlich - aber das geht mich nichts an - eben im wesentlichen Sozialabbau und Beschneidung von Arbeitnehmerrechten auf der Bilanz dieser ersten 100 Tage stehen. Das ist aber Angelegenheit der Österreicher, das zu beurteilen.

    Wir, die Europäer hatten die große Sorge, dass die FPÖ ihren europafeindlichen, die Erweiterung ablehnenden Kurs innerhalb der Regierungskoalition durchsetzt. Das ist der Hintergrund der Sanktionen. Und da kann man eigentlich sagen, in diesen ersten 100 Tagen ist das der FPÖ nicht gelungen. Insofern gibt es zum einen einen Erfolg dieser Sanktionen. Zum anderen muss in irgendeiner Form offensichtlich weiter Druck auf die österreichische Regierung ausgeübt werden. Frau Ferrero-Waldner, die Außenministerin, hat ja auch auf den Azoren gesagt, sie biete zum Beispiel ein Beobachtungsregime an. Das ist ja hoch interessant. Ich habe manchmal den Eindruck, für die ÖVP ist das sogar notwendig, dass dieser Druck von außen kommt, damit sie sich gegen die FPÖ-Forderungen behaupten kann.

    Nutz: Bei den österreichischen Zeitungen, wenn man sie liest, kann man sogar die Befürchtung sehen, dass am Ende dieser Strategie der Austritt Österreichs aus der EU stehen könnte. Will man das riskieren?

    Erler: Das ist eine Sache der Österreicher. Ich weiß nicht, ob ein Land so etwas macht, das in so hohem Maße von Europa profitiert - das kann man durch die ökonomischen Daten nachweisen - und obendrein als klassisches Fremdenverkehrsland eigentlich auf ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn und zu den Europäern angewiesen ist. Das wäre eine Selbstbestrafung, die höchst irrational wäre. Das kann ich mir nicht vorstellen.

    Nutz: Alfred Gusenbauer, der neue SPÖ-Vorsitzende, schlägt vor, die Sanktionen zumindest abzuschwächen, beispielsweise das Prinzip, keine Kandidaturen aus Österreich zu unterstützen. Das vermittle der Bevölkerung den Eindruck, einer Kollektivstrafe unterworfen zu sein. Wäre das eine Option?

    Erler: Die Europäer und auch gerade die Bundesregierung haben auf den Azoren, aber auch bei anderen Gelegenheiten mehrfach gesagt, selbstverständlich ist man bereit, über die Art der Sanktionen nachzudenken, ist man auch bereit, bestimmte Dinge zu modifizieren, die sich vielleicht auch als schwer vermittelbar in der Öffentlichkeit gezeigt haben und den Effekt gar nicht erzielen. Die entscheidende Frage ist doch: kann man einfach aufhören mit dem Druck, der auf die österreichische Regierung ausgeübt wird, oder braucht man irgendeine Form der Fortsetzung dieses Drucks. Nach dem, was fast täglich immer noch aus den Kehlen der FPÖ-Mitglieder da kommt, muss man sagen, der Druck muss weiter aufrecht erhalten werden.

    Die Europäische Union biegt jetzt in die Zielgerade der Erweiterung ein. Wichtige Entscheidungen müssen getroffen werden. Da ist eine populistische Ausbeutung von Ängsten der Menschen vor der Erweiterung einfach eine Katastrophe, die verhindert werden muss, die vor allen Dingen nicht schule machen darf. Der Druck muss weitergehen; die Maßnahmen, über die kann man reden.

    Nutz: Trotzdem bleibt immer noch im Nebel, was man eigentlich am Ende mit den Sanktionen bezwecken will. Sie sagen keine Einmischung in die innerösterreichischen Angelegenheiten. Was soll am Ende solcher Sanktionen stehen?

    Erler: Das Ziel ist, die Österreicher auf der Spur der europäischen Integration zu halten. Das ist das Hauptthema. Wenn das gelingt, wäre das ein großer Erfolg für die 14 europäischen Staaten. Die offiziellen Beziehungen mit der EU sind ja nicht in Frage gestellt. Die laufen ganz normal weiter. Die Lächerlichkeiten von nicht die Hand geben haben aufgehört. Das ist ein interessantes Thema für manche Beobachter, aber das findet in Wirklichkeit gar nicht statt. Aber der Druck - und ich sage noch mal, der ist auch im Sinne der ÖVP, die ja eigentlich eine europatreue Partei ist, die sich immer zu der europäischen Integration bekannt hat - muss so lange aufrecht erhalten bleiben, solange Haider und seine Partei im Grunde genommen profitieren wollen von den Ängsten der Menschen vor der künftigen Integration Europas, vor der Erweiterung.

    Nutz: Druck von außen macht nach innen stark. Die EU hat es geschafft, dass es in Österreich nun eine Welle des Patriotismus gibt.

    Erler: Ja, dazu kann ich nur noch einmal sagen: ich finde das nicht angenehm, ich finde das bedauerlich, aber ich bin ganz sicher, dass keine Regierung vier Jahre lang alleine mit dem Thema "wie böse werden wir in Brüssel behandelt" überstehen kann. Irgendwann werden auch die Österreicher - und das dauert offenbar länger als 100 Tage - zu der Frage kommen, wie eigentlich regiert wird und warum eigentlich diese ganzen Schwierigkeiten notwendig sind und was nun überhaupt die konkreten Leistungen dieses Wechsels und des Ausschlusses der stärksten Partei nach den Wahlen ist. Das wird irgendwann ein Thema werden, über kurz oder lang, aber die westeuropäischen Staaten, die Mitglieder der EU haben keine andere Möglichkeit, als in einer intelligenten Form den Druck auf die österreichische Regierung fortzusetzen, solange Haider das Sagen im Hintergrund hat.

    Nutz: In den "Informationen am Morgen" war das Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender. - Wir bedanken uns für dieses Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio