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"Der Druck ist immer noch nicht groß genug"

Thorsten Polleit von der Frankfurt School of Finance and Management hält es für sinnvoll, den Spardruck auf Regierungen einzelner EU-Länder zu erhöhen. Andernfalls, so Polleit, sei der Euro tatsächlich bedroht. Ferner hält er weitere Schulden zur Problembehebung für "gefährlich".

Thorsten Polleit im Gespräch mit Dirk Müller | 23.12.2010
    Dirk Müller: Bei uns am Telefon begrüße ich nun den Finanzwissenschaftler Professor Thorsten Polleit von der Frankfurt School of Finance and Management. Guten Tag!

    Thorsten Polleit: Einen schönen guten Tag.

    Müller: Herr Polleit, brauchen wir wirklich in Europa eine weitere Institution?

    Polleit: Ja. Die Regierungen setzen alles in Bewegung, um die Schuldenkrise, die ja entstanden ist durch zu viel Geld und zu viel Kredite, bereitgestellt zu zu niedrigen Zinsen durch die Europäische Zentralbank, beherrschbar zu machen. Der sogenannte angedachte Fonds, der jetzt diskutiert wird, ist eine Plattform, mit der sozusagen die Staaten sich kollektiv refinanzieren lassen, so die Idee, aber ob das Konzept letztlich aufgeht und das Vertrauen wieder herstellen kann, das verloren gegangen ist bei den Investoren, dahinter muss man nach wie vor ein großes Fragezeichen machen.

    Müller: Deswegen noch mal die Frage: Brauchen wir so eine neue Einrichtung, einen neuen Stabilitäts-Fonds?

    Polleit: Das ist in der Tat eine berechtigte Frage, ob so eine Institution – es ist ja vorgesehen, gewissermaßen eine neue Behörde zu errichten – tatsächlich notwendig ist. Die Schuldenproblematik, keine Frage, ist dramatisch im Euro-Raum. Die entscheidende Frage ist natürlich, sind einige Staaten im Euro-Raum überhaupt noch in der Lage, ihre Schulden längerfristig zu bedienen, und ist es tatsächlich ein Ausweg, den man nur nehmen kann, indem die Schuldenlasten auf andere Länder übertragen werden, wie das de facto jetzt angedacht wird mit dieser Schuldeninstitution, beispielsweise der deutsche Steuerzahler muss damit dann aufkommen für Schulden in anderen Ländern. Das scheint, die Zielrichtung der Regierungen zu sein. An dieser Stelle kann man auch nur noch mal in die Diskussion einbringen, dass natürlich auch das Streichen von Staatsschulden nach wie vor eine Option ist.

    Müller: Herr Polleit, jetzt blicken wir noch mal ein paar Jahre zurück. Wir haben ja jahrelang vor Einführung des Euro und natürlich erst recht auch nach Einführung des Euro über den europäischen Stabilitätspakt gesprochen, über die Maastricht-Kriterien, Hunderte, Tausende von Interviews geführt, Artikel gelesen, Berichte verfasst. Das heißt, den hat es in Wirklichkeit in der Praxis nie gegeben?

    Polleit: Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt war ja auf Initiative der deutschen Bundesregierung damals etabliert worden und man muss sagen, dass die Idee des Paktes eine produktive Idee war, denn den Gründungsvätern des Euro war klar, dass wenn sich die Staaten erst einmal in eine Überschuldungssituation hineinmanövriert haben, dass dann die Gefahr groß ist, dass die Notenpresse angeworfen wird und sozusagen die offene Rechnung mit neu gedrucktem Geld und damit durch Inflation bezahlt wird. Deshalb war das für die Gründungsväter ganz entscheidend für den Erfolg des Euro, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt eingehalten wird. Das ist jetzt nicht geschehen und die Lage ist in der Tat dadurch – ich kann das noch mal wiederholen – prekär. Die Regierungen im Euro-Raum sind nun der Meinung, dass gewissermaßen mit weiteren Schulden das Problem aus der Welt zu schaffen ist. Ich glaube, das ist eine Zielrichtung, die gefährlich ist, die die Stabilität des Euro tatsächlich gefährdet. Die Hauptanstrengung müsste derzeit sein, die Haushalte wieder auf solide Füße zu stellen, also die Sparanstrengungen national zu verstärken.

    Müller: Wir haben das ja am Beispiel Portugal, vor allem auch am Beispiel Spanien gehört, die ja auch unter Druck stehen, dass es da gar nicht so schlimm ist mit der Verschuldung.

    Polleit: Ja, das ist richtig. Man kann das nicht an einer einzelnen Zahl festmachen, also beispielsweise Schuldenlast pro Bruttoinlandsprodukt. Auf den Finanzmärkten spielt vielmehr eine Rolle, ob eine Erwartung sozusagen aufrecht gehalten werden kann, dass die Regierung und die Steuerbürger willens und in der Lage sind, künftig die aufgelaufenen Schulden zu bezahlen, und hier gibt es mittlerweile einige Zweifel, die einige Länder nun in arge Bedrängnis gebracht haben, und da kann man nur sagen, die Antwort auf diese Vertrauenskrise ist ein Verschärfen der Sparpolitik und nicht ein Ausweiten der Verschuldung.

    Müller: Haben Finanzmärkte, haben Finanzspekulatoren und auch Investment-Fonds Interesse an Destabilisierung?

    Polleit: Nein, das glaube ich nicht. Sie müssen bedenken, dass die Investoren in insbesondere Staatsanleihen in der Regel langfristig orientierte Investoren sind, also beispielsweise Lebensversicherungsgesellschaften, Pensions-Fonds. Man sollte also gar nicht den Eindruck erwecken, dass Spekulatoren, wie Sie das bezeichnet haben, hier am Werke sind und den Staatskredit in Misskredit bringen.

    Müller: Haben sie aber getan!

    Polleit: Die Investoren reagieren natürlich auf sich verschlechternde Fundamentaldaten, die auch deutlich erkennbar sind in den Ländern. Insofern ist die Reaktion an den Finanzmärkten eine Reaktion auf die sich weiter verschlechternden Staatsfinanzen.

    Müller: Herr Polleit. wir schauen jetzt noch einmal auf die Ausgangsposition, blicken auf die Kandidaten, die möglicherweise demnächst wieder in den Fokus rücken, oder auch schon seit Monaten zumindest genannt werden. Ist es richtig - weil das ja viele Experten auch behaupten, möchte ich Sie das auch fragen -, wenn die Finanzwelt, diejenigen, die mit Euro, Dollar und so weiter spekulieren, sich darauf einigen, den nächsten Angriff zu starten, dann fällt das nächste Land?

    Polleit: Noch mal: das wird kein Investor aus sich heraus machen und Sie können auch deutlich erkennen, dass die Länder, die unter Druck gekommen sind, auch Länder sind, die unsolide Staatsfinanzen aufweisen. Also ich kann nur noch mal betonen: Investoren reagieren hier auf sich entwickelnde Fundamentaldaten. Die Kausalkette ist sozusagen nicht so, wie Sie das in Ihrer Frage impliziert haben.

    Müller: Aber man hätte das in Irland ja nicht machen müssen? So schlimm war es mit den Schulden ja dort nicht.

    Polleit: Ja. Sie weisen zurecht an dieser Stelle auf Irland. Nun ist es so, dass in einigen Ländern der Bankenapparat insgesamt so groß geworden ist, dass das Wohl oder Wehe des Bankenapparats mittlerweile davon abhängt, dass die Staaten Unterstützungsleistungen erbringen, also der Steuerbürger letztlich dafür aufkommt, dass es hier zu keinen Problemen in der Bilanz des heimischen Bankensektors kommt, und da haben sie natürlich den Effekt, dass diese Hypothek des überdimensionierten Bankenapparates mittlerweile auf den Staatskredit drückt. Aber ich kann nur noch mal sagen: Das sind auch wiederum fundamentale Faktoren, die Investoren veranlassen, sich sozusagen von den Anleihen zu verabschieden beziehungsweise höhere Zinsen fordern.

    Müller: Gehen wir, Herr Polleit, von der großen Perspektive mal ganz kurz auf die kleine. Wir haben ja Weihnachten, es wird viel umgesetzt, es werden viele Geschenke gekauft. Dürfen, können die Bürger dem Euro noch trauen?

    Polleit: Ich hatte eingangs zweimal erwähnt: die Lage ist prekär. In Deutschland ist nach wie vor eine sehr vorteilhafte Sonderkonjunktur zu beobachten, ein sehr hohes Wachstum, 3,6 Prozent, so schätzen wir im laufenden Jahr, etwa 2,8 im nächsten Jahr. Also die deutsche Konjunktur entwickelt sich in diesem Krisenumfeld relativ positiv. Allerdings die Sorgen sind gerechtfertigt um die Zukunft des Euro.

    Müller: Das heißt, Deutschland und die anderen starken Staaten, die es da noch gibt – ist nicht ganz so einfach, die zu finden, aber vielleicht nehmen wir noch Frankreich mit dazu -, die sollten schleunigst in den nächsten Jahren darauf achten, ihre eigenen Wege zu gehen?

    Polleit: Das heißt das nicht unbedingt, aber insbesondere sollten die großen Staaten sich einbringen und Disziplinierungsdruck ausüben auf eine Vielzahl von Ländern, deren Sparanstrengungen zu wünschen übrig lassen. Und ich darf hinzufügen: Auch in Frankreich hat sich die öffentliche Finanzlage deutlich verschlechtert und gibt mittlerweile Anlass zu Besorgnis.

    Müller: Also ist der Druck immer noch nicht groß genug?

    Polleit: Ja. Derzeit ist der Druck immer noch nicht groß genug. Sie müssen überlegen: viele Länder, trotz Schuldenkrise, refinanzieren sich nach wie vor zu historisch niedrigen Zinsen.

    Müller: Und das heißt, alles das, was Angela Merkel kritisiert hat, ist auch richtig?

    Polleit: Ich glaube, der Vorstoß der deutschen Bundesregierung ist richtig, er ist produktiv, den Druck zu erhöhen auf die Regierungen in den einzelnen Ländern, ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Andernfalls ist der Euro tatsächlich bedroht.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Finanzwissenschaftler Thorsten Polleit von der Frankfurt School of Finance and Management. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören und Ihnen frohe Weihnachten.

    Polleit: Ich bedanke mich. Ihnen auch.