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"Der entscheidende Punkt ist die Frage der Unabhängigkeit der Justiz"

Die Beschneidung der Befugnisse des ungarischen Verfassungsgerichts verstoße gegen europäische Kriterien, sagt der Vorsitzende des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament, Elmar Brok (CDU). Die EU-Kommission müsse nun die Verfassungsänderungen in Ungarn auf Übereinstimmung mit europäischem Recht prüfen.

Elmar Brok im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.03.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist erst wenige Jahre her, da ging ein Aufschrei durch Europa. Der Anlass: der Versuch von Ungarns Regierungschef Orbán und seiner Regierungspartei Fidesz, die Verfassung radikal umzubauen und bei dieser Gelegenheit die Gewaltenteilung und Teile der Grundrechte einzuschränken. Orbán machte damals mehr oder weniger einen Rückzieher; jetzt aber lagen dem ungarischen Parlament erneut weitreichende Verfassungsänderungen vor. Das Ergebnis, die Zustimmung nämlich, war keine Überraschung. Die rechtskonservative Fidesz verfügt über eine Zweidrittelmehrheit.
    Telefonisch sind wir verbunden mit Elmar Brok von der CDU, er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament. Schönen guten Morgen, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Ist Ungarn auf dem Weg in einen Operettenstaat?

    Brok: Nein, das sicherlich nicht. Aber wir müssen sehen, dass dort Entscheidungen getroffen worden sind, die überprüfungswürdig sind und die, glaube ich, deutlich machen, dass an bestimmten Kriterien hier gekratzt wird, die zu den Prinzipien der Europäischen Union gehören. Der entscheidende Punkt ist dabei die Frage der Unabhängigkeit der Justiz und hier insbesondere die Frage, ob ein Verfassungsgericht nur noch formal prüfen darf, sodass dann inhaltlich gemacht werden kann, was man mit einer politischen Mehrheit machen kann, und ohne dass dieses mit den Prinzipien einer Verfassung, mit den Prinzipien europäischer Regeln in Übereinstimmung zu bringen ist.

    Heckmann: Aber das sind ja schon erhebliche Schritte, die da in Budapest gegangen worden sind. Überprüfungswürdig, sagen Sie; das hört sich fast harmlos an.

    Brok: Ja ich meine, wir müssen die Verfahren anwenden, die zur Verfügung stehen, und das heißt, dass die Europäische Kommission jetzt dieses Ergebnis prüfen muss und wenn es feststellt, dass dies gegen die europäischen demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien verstößt, wird die Kommission Ungarn auffordern, dieses zu revidieren.

    Heckmann: Haben Sie Zweifel daran, dass dieser Schritt gegen die Prinzipien verstößt?

    Brok: Es deutet darauf hin, dass Kommissionspräsident Barroso ja vorher schon aufgefordert hat, dass es so der Fall ist, und deswegen wird die Kommission jetzt tätig werden. Ich bin der Auffassung, dass die Dinge, die man vielleicht politisch unterschiedlich bewerten kann, nicht eine Frage ist, die Europa angeht, aber die Fragen, die in die Prinzipien hineingehen, insbesondere die Rolle des Verfassungsgerichtes, dieses ist eine völlig unakzeptable Lösung. Und wenn beispielsweise die Freizügigkeit von Studenten gefährdet ist, widerstößt das auch gegen entscheidende europäische Prinzipien der Freizügigkeit.

    Breker: Auch die Meinungsfreiheit soll offenbar eingeschränkt werden mit diesen verabschiedeten Verfassungsänderungen, wenn nämlich die Würde der ungarischen Nation verletzt werde. Damit wird doch im Prinzip der Unterdrückung der Opposition Tür und Tor geöffnet, oder?

    Brok: Dies hängt dann von der Praxis ab. Wir haben ähnliche Artikel auch in anderen Ländern. Aber das klingt so ein bisschen wie diese Meinungsartikel in der türkischen Verfassung, und aus diesem Grunde heraus muss auch dieses deutlich gemacht werden. Es kann nicht sein, dass jemand, wenn er politisch unterschiedliche Auffassungen hat, deswegen in Schwierigkeiten kommt, und es kann nicht sein, dass die Regierung bestimmt, was ungarische Würde ist und dass dann noch der Rechtsweg problematisiert wird. Ich glaube, dass wir hier an einer entscheidenden Stelle sind, und deswegen halte ich es für dringend notwendig, dass man sich dieses ansieht. Ich glaube, dass gerade die Frage mit dem Verfassungsgericht, dass das Verfassungsgericht nur noch formal prüfen darf, nicht europäischen Kriterien entspricht.

    Heckmann: Und wenn das der Fall sein sollte, wenn das das Ergebnis der Prüfungen sein sollte, was folgt daraus, ein lauwarmer Protest, oder hat die Europäische Union Ihrer Meinung nach genügend Mittel, um Budapest wirklich auf den richtigen Kurs wieder zu führen?

    Brok: Wir müssen hier sehen, was vor zwei Jahren die Europäische Union – das, was für Europa wichtig ist – zurückgeschraubt hat und das durchgesetzt hat und Viktor Orbán sich darauf eingelassen hat, und wir hoffen, dass auch diese Bereitschaft dieses Mal wieder besteht.

    Heckmann: Was, wenn nicht?

    Brok: Wenn nicht? Es geht hier bis hin zu den Fragen von Artikel sechs und sieben des Vertrages von Lissabon, der die Möglichkeit gibt, gegen ein Land, das gegen die Prinzipien verstößt, vorzugehen.

    Heckmann: In welcher Form?

    Brok: Das heißt bis hin von zum Schluss Aussetzen von Stimmrechten, nicht zur Verfügung Stellung von europäischen Förderungen und ähnlichem.

    Heckmann: Glauben Sie, dass man zu solchen Mitteln dann am Ende auch greifen wird, wenn Budapest sich da als hartleibig herausstellen sollte?

    Brok: Also lassen wir uns erst mal den ersten Schritt machen und das überprüfen und dann den Druck ausüben. Das war, glaube ich, auch vor zwei Jahren der richtige Weg, dies zu tun, als man im Bereich der Mediengesetzgebung und manchem anderen zu Veränderungen gekommen ist. Und so sollte man dieses Mal das auch machen. Wir sollten die normalen europäischen Verfahren in Gang setzen, die notwendig sind, hier vorzugehen. Dieses ist beispielsweise im letzten Sommer auch gelungen gegenüber Rumänien, als man dort in Verfassungsbrüche hineinging, und so sollten wir es dieses Mal auch machen.

    Heckmann: Die ungarische Regierungspartei Fidesz, die gestern eben diese Änderung mit Zweidrittelmehrheit im Parlament verabschiedet hat, unter Boykott der Opposition, ist Mitglied ebenso wie die CDU in der EVP-Fraktion, der Sie ja auch angehören. Müssen Sie nicht langsam mal darüber nachdenken, wen Sie da in Ihren Reihen sitzen haben?

    Brok: Bisher hat die Fidesz sich auch darauf eingelassen, dass die europäischen Regeln eingehalten werden, und deswegen wird man das diskutieren, wird man keine Vorverurteilung machen und wird Wert darauf legen, hier vorzugehen. Kommissionspräsident Barroso, der die Maßnahmen bereits angekündigt hat, der tätig geworden ist, auch Mitglied der Europäischen Volkspartei, Frau Reding, die dafür zuständig ist, Mitglied der Europäischen Volkspartei, hat sich in diesen Fragen sehr aktiv bewiesen. Ich hoffe, dass die Sozialisten gegenüber Rumänien in ähnlicher Härte vorgehen, wie wir das deutlich unter europäischen Regeln gegenüber Ungarn gemacht haben und machen werden.

    Heckmann: Und wie wohl fühlen Sie sich, wenn Sie da in den Reihen der Parlamentarier sitzen, neben den Abgeordneten der Fidesz?

    Brok: Also erst mal mache ich keine persönliche Verurteilung einzelner Leute und zweitens muss das überprüft werden. Dann bin ich relativ sicher, dass wir dann die Dinge entsprechend verändern werden, sonst haben wir ein Problem. Das ist, glaube ich, die richtige Abfolge, die man in solchen Fällen machen muss. Wir müssen auch das eine sehen: Durch die verfehlte Politik der Sozialisten in Ungarn und das Wahlrecht, das die Sozialisten durchgesetzt haben, hat es eine Zweidrittelmehrheit in Ungarn gegeben, und eine Zweidrittelmehrheit beseitigt Hemmungen. Eine Zweidrittelmehrheit soll es geben für Verfassungsänderungen, damit auch Opposition mitwirken kann. In Ungarn ist dieses leider Gottes anders. Eine Zweidrittelmehrheit von einer Regierung ist nie eine gute Sache.

    Heckmann: Im Prinzip setzen Sie also darauf, dass bei den nächsten Wahlen diese Zweidrittelmehrheit der Fidesz, also Ihrer Bruderpartei sozusagen, nicht mehr existiert?

    Brok: Ja das ist eine höchst unappetitliche Angelegenheit. Aber darin liegt ein zweites Problem, das man dann auch in die Verfassung etwas schreibt, das dann nicht mehr verändert werden kann, weil man diese Zweidrittelmehrheit benutzt hat. Das ist ja auch eines der großen Probleme, die da gegenwärtig stattfinden und das man sehr kritisch verurteilen muss.

    Heckmann: Der CDU-Politiker Elmar Brok war das, Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, über die Entwicklung in Ungarn. Herr Brok, danke Ihnen für das Interview.

    Brok: Ich danke auch – alles Gute.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.