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Der erste demokratisch gewählte marxistische Präsident

Für die Linke Lateinamerikas zählt das Scheitern Salvador Allendes zu den schmerzlichsten Erfahrungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Wie die Protagonisten der kubanischen Revolution, Che Guevara und Fidel Castro, verfolgte Allende das Ziel einer gerechten Gesellschaft. Der Weg aber, den er zu diesem Ziel einschlug, unterscheidet sich radikal vom bewaffneten Kampf, den die bärtigen Guerilleros führten. Am 26. Juli 1908 wurde Salvador Allende Gossens in der chilenischen Hafenstadt Valparaíso geboren.

Von Stefan Fuchs | 26.07.2008
    "Ich sage es in aller Ruhe Compañeros, ich eigne mich weder zum Apostel noch zum Messias. Ich bin kein Märtyrer, ich kämpfe für ein gesellschaftliches Projekt, ich erfülle den Auftrag, den das Volk mir erteilt hat. Diejenigen aber, die das Rad der Geschichte zurückdrehen und den Willen der Mehrheit der Chilenen missachten wollen, müssen wissen, ich werde nicht zurückweichen, ich werde das Präsidentenamt erst aufgeben, wenn das Mandat abgelaufen ist, das mir das Volk erteilt hat."

    Während seiner Präsidentschaft beginnt Salvador Allende wohl zu ahnen, dass ihm trotz seiner Absage an den Messianismus das große Opfer nicht erspart bleiben wird. Die fatalen inneren Widersprüche des bürgerlichen Liberalismus Hispanoamerikas, er hat sie in der eigenen Familie erfahren. Als er am 26. Juli 1908, - manche Quellen nennen den 26. Juni -, im chilenischen Valparaíso zur Welt kommt, zählen seine Eltern zur bürgerlichen Aristokratie des Landes. Seine Mutter stammt aus Belgien und ist erzkatholisch. Sein Vater ist Freimaurer und Anhänger der radikalen Partei, die für die Trennung von Kirche und Staat eintritt.

    Der junge Allende studiert Medizin an der Universität von Santiago. Dort schließt er sich der studentischen Linken an. Nachts unterrichtet er Arbeiter und ist zugleich fasziniert von Frauen und eleganter Kleidung. "Lenin im Anzug" nennen ihn bald seine Freunde. Sein großes Vorbild aber ist Großvater Ramón Allende Padín, der als Abgeordneter wie als Arzt zeitlebens der Maxime der Freimaurer "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" treu blieb.

    "Die erste Begegnung mit dem Marxismus entwickelte sich aus der tiefen Verunsicherung der Studenten. Wer aus der Provinz zum Studieren nach Santiago kam, musste in äußerst bescheidenen Verhältnissen leben. Natürlich interessierten wir uns für die soziale Wirklichkeit. Bald erkannten wir den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheiten. Dass die Werte der kapitalistischen Gesellschaft durch andere Werte ersetzt werden müssen. Dafür las ich, studierte und gründete später die Sozialistische Partei."

    Dem atemberaubenden Gegensatz zwischen dem Elend der Vielen und dem Reichtum der Wenigen gilt von nun an die Fürsorge des zum Politiker gewandelten Arztes. Sozialist und liberaler Freimaurer zugleich, verfolgt Allende einen pragmatischen Marxismus, für den der halbe Liter Milch, den jedes chilenische Kind während seiner Präsidentschaft erhalten wird, ebenso zählt, wie die Verstaatlichung der Kupferminen.

    Nach einem Leben, das einem einzigen nie endenden Wahlkampf gleicht, ist Salvador Allende im November 1970 endlich am Ziel. Nach dem Wahlsieg der "Unidad Popular" ist er der erste demokratisch gewählte marxistische Präsident.

    Allende war zeitlebens überzeugt, dass auch große Teile der gesellschaftlichen Mitte für seine demokratische Revolution gewonnen werden könnten. Mit großem Fingerspitzengefühl hatte er Sozialisten, Kommunisten und bürgerliche Liberale zu einer halsbrecherischen Koalition vereint, die jetzt im Rahmen der Verfassung den Sozialismus verwirklichen soll. Für die chilenische Schriftstellerin Alejandra Rojas ist kaum ein größerer Gegensatz zu den Guerilleros der kubanischen Revolution denkbar:

    "Das revolutionäre Heer Allendes ist eine Mannschaft aus Beamten mit Anzügen und Krawatten. Diese Revolution in Demokratie hat viel mehr von einem Schachspiel als von einer Sierra Maestra. Heldentat der Notare. Ein langwieriger Papierkrieg."

    Aber nicht alle halten sich an demokratische Spielregeln. Nixon und Kissinger haben die CIA mobilisiert. Von Panik erfasst, enttäuscht die liberale Mittelklasse Allendes Hoffnungen. Bei den Arbeitern hat der revolutionäre Überschwang der Wirklichkeit weit vorauseilende Hoffnungen geweckt. Allendes breite Allianz zerbröselt. Als die Militärs schließlich putschen, ist Allende vorbereitet. Über Radio dringt seine Stimme ein letztes Mal aus dem belagerten Präsidentenpalast.

    "Zweifellos werden sie Radio Magallanes bald zum Schweigen bringen und das ruhige Metall meiner Stimme wird nicht mehr zu euch dringen. Aber das ist ohne Bedeutung. Ihr werdet sie weiter hören. Ich werde immer bei euch sein. Zumindest wird die Erinnerung an mich die an einen ehrbaren Menschen sein, der seinem Vaterland die Treue hielt."