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Der Essener Schmelztiegel

Sein ganzes Erbe steckte der Essener Kaufmannssohn Friedrich Krupp in den Gussstahl - ein Material, das sich für Bohrer, Meißel oder Münzprägestempel eignete. Doch die englische Erfindung brachte den Krupps zunächst kein Glück.

Von Irene Meichsner | 20.11.2011
    Letztlich war Napoleon schuld. Denn ohne den französischen Kaiser und die von ihm 1806 verhängte "Kontinentalsperre", die jeglichen Handel mit Großbritannien verbot, wäre Friedrich Krupp wohl nicht auf den Gedanken gekommen, sein Glück mit dem Gussstahl zu versuchen. Das Material war stabiler und ließ sich besser formen als herkömmlicher Stahl – eine Erfindung des ehemaligen englischen Uhrmachers Benjamin Huntsman aus Sheffield. Das Verfahren bestand darin, so der Krupp-Biograf Lothar Gall,

    "einen reinen Stahl (ein 'Schmiedeeisen' in der Sprache der Zeit) in einem feuerfesten Tiegel aus Ton in einem koksgefeuerten Schachtofen einzuschmelzen, wodurch die sonst im Stahl verbleibenden Schlackenreste vollständig abgesondert werden konnten."

    Die Engländer hielten das Rezept streng geheim. Friedrich Krupp, 1787 in eine Essener Kaufmannsfamilie geboren, hatte eine Zeit lang die Eisenhütte "Gute Hoffnung" geleitet, den Betrieb dabei allerdings an den Rand des Ruins getrieben. Nach dem Tod seiner Großmutter, der geschäftstüchtigen Helene Amalie Krupp, beschloss er, das von ihr geerbte Vermögen in den Gussstahl zu investieren. Er werde das Material, das sich für Bohrer, Meißel oder Münzprägestempel eignete, in ganz Europa verkaufen, versprach der 24-jährige Jungunternehmer.

    Am 20. November 1811 wurde die "Firma Friedrich Krupp zur Verfertigung des Englischen Gussstahls und aller daraus resultierenden Fabrikationen" gegründet. Krupps Teilhaber, die Brüder Carl Georg und Wilhelm Georg Ludwig von Kechel, zwei ehemalige Offiziere, gaben vor, sich mit dem Gussstahl auszukennen. Sie verpflichteten sich,

    "all jene erforderlichen Kenntnisse und Wissenschaften, zusammt allen Handgriffen, die zur praktischen Kenntniß der Fabrik zu wissen nöthig sind, dem Herrn Friederich Krupp gründlich beizubringen und zu lehren".

    Krupp ließ in Altenessen einen Schmelzbau und ein Hammergebäude errichten. Nach drei Jahren, als sein Erbe fast aufgezehrt war, musste er sich eingestehen,

    "dass die besagten Herren v. Kechel ihre übernommenen Verpflichtungen nie zu effectuiren im Stande sind".

    Mit dem nächsten Partner klappte es auch nicht besser. Krupp versuchte die Sache im Alleingang. Der Historiker Lothar Gall:

    "Und hier, in der praktischen Arbeit, zeigte sich, dass er (…) eben doch mehr war als ein bloßer Fantast, mehr als ein unsolider Luftikus."

    1816 lieferte Krupp den ersten Gussstahl aus. 1819 weihte er im Westen von Essen ein größeres Fabrikgebäude ein. Der Erfolg währte nicht lange. Völlig überschuldet zog sich Krupp 1824 mit Frau und Kindern in das kleine Aufseherhäuschen neben dem neuen Schmelzbau zurück – das so genannte "Stammhaus", das die Familie später zum Symbol ihres märchenhaften Aufstiegs verklärte.

    Nach Friedrich Krupps frühem Tod übernahm 1826 sein Sohn Alfred die Geschäftsführung. Für den gerade mal 14-jährigen Jungen eine schwere Bürde:

    "Ich stand an den ursprünglichen Trümmern dieser Fabrik. (…) ohne Kenntniss, Erfahrung, Kraft, Mittel und Kredit. (…) Bei schwerer Arbeit, oft Nächte hindurch, lebte ich oft bloß von Kartoffeln, Kaffee, Butter und Brot (…), und 25 Jahre lang habe ich ausgeharrt."

    Alfred Krupp kaufte Erzlagerstätten, Kohlezechen und Hüttenwerke. Den Durchbruch brachten seine nahtlosen Eisenbahnradreifen. Und dann die Kanonen aus Gussstahl, die aus der Firma eine – mit dem Staat eng verbandelte, später hoch umstrittene – Waffenschmiede machten. Als Alfred Krupp 1887 starb, übernahm sein Sohn Friedrich Alfred ein florierendes Imperium. Die rund 20.000 Mitarbeiter waren durch moderne Sozialleistungen eng an die Firma gebunden – ein Erbe, das bis weit ins 20. Jahrhundert ausstrahlte.

    Ein Kruppianer: "Jeder wollte nach Krupp, ne, so ungefähr, und dann ging das manchmal so traditionsgemäß in der Familie, ne, der Vater war bei Krupp, der Sohn war bei Krupp, und der Nächste war dann auch bei Krupp, ne. Also reine Tradition."

    Die Firma Friedrich Krupp hat beide Weltkriege überstanden. Erst seit sie 1992 mit Hoesch und 1998 mit dem Thyssen-Konzern fusionieren musste, womit die Familie endgültig ihre Unabhängigkeit verlor, ist der "Mythos Krupp" allmählich verblasst.