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Der EU-Gipfel

Spengler: Wir bleiben beim Thema EU-Gipfel. Mit uns telefonisch verbunden ist nun einer, der die europäische Union sozusagen aus der Westentasche kennt. Dietrich von Kyaw war lange Jahre bis 1999 der ständige Vertreter der Bundesrepublik bei der EU in Brüssel. Guten Tag, Herr von Kyaw.

    von Kyaw: Guten Tag.

    Spengler: Das war heute eine indirekte Kritik an der Bundesregierung, wenn er vor einer Zweiklassengesellschaft in der EU warnt. Teilen Sie diese Kritik?

    von Kyaw: Ja, das tue ich, aber vielleicht in einem etwas anderen Sinne. Also es geht jedenfalls nicht, egal ob gerechtfertigt oder nicht. Wenn man den Bauern in der Union hohe Direktzahlungen gibt und sie dann den Kandidaten, die beitreten verweigert, oder wie es jetzt die Kommission macht, als Einstieg lediglich 25 Prozent der in der Union ausgezahlten Direktzahlungen anbietet, ist das Diskriminierung und führt zur Wettbewerbsverzerrung. Das sollen die Kandidaten schon hinnehmen. Nun soll ihnen bei dem bevorstehenden Gipfel noch mehr gekürzt werden, und das ist unakzeptabel aus der Sicht der Kandidaten. Wir haben es hier in der Tat nicht mit einer Zweiklassengesellschaft zu tun. Wenn wir bei dem Gipfel diesen Weg gehen, dann sehe ich die Gefahr, dass sich das wiederholt, was wir damals mit Maggie Thatcher erlebt haben. Sie sagte: 'Ich will mein Geld zurück.' Mit ihrer Handtasche kam sie rüber. Wir hatten eine dreijährige Krise, die sich Euros Sclerosis nannte. Das wird sich dann mit den neuen Kandidaten wiederholen.

    Spengler: Aber ist es denn zu rechtfertigen, dass der Nettozahler Bundesrepublik immer noch draufsattelt?

    von Kyaw: Der Nettozahler Bundesrepublik sattelt nicht drauf, der zahlt seinen Anteil. Das wird hoch geblasen von Politikern, die zu Hause schlecht wirtschaften, eigene Subventionen gerne an den Bergbau, an die Bauern zahlen und woanders dann sparen wollen.

    Spengler: Sie wollen mir aber jetzt nicht sagen, dass die Agrarpolitik nicht reformiert werden muss.

    von Kyaw: Die muss reformiert werden, aber in allen 15 und demnächst 25 Mitgliedsstaaten. In Berlin beim Gipfel ist unter Führung des deutschen Bundeskanzlers beschlossen worden, dass bis 2006 alles so weiterlaufe. Erst danach würde alles neu berechnet werden. Das ist der Weg, auf den sich auch die Franzosen berufen. Man kann sich darüber ärgern, sie sacken gerne ein. Aber das ist ihnen zugebilligt worden, das ist ihr gutes Recht. Wir haben im übrigen in den nächsten Jahren Verhandlungen bei der WTO über die Liberalisierung des Welthandels auch im Agrarhandelsbereich. Und da werden wir uns mit den Amerikanern, Australiern, Kanadiern, den Entwicklungsländern und anderen mit dieser Frage auseinandersetzen müssen. Dann wird es zur Reduzierung der Direktzahlungen kommen, auch in der gegenwärtigen Union, ob Herr Schüssel das mag oder nicht. Die Frage ist nur, wann das geschieht. Es darf nicht jetzt zu Lasten des Fahrplanes der Osterweiterung geschehen.

    Spengler: Das heißt dann für den Gipfel heute auch vielleicht für den Gipfel in Kopenhagen, dass die Franzosen sich durchsetzen werden, wenn sie recht haben.

    von Kyaw: Da kann man sich streiten, ob sie recht haben. Denn irgendwie müssen die Subventionen ja herunter, da bin ich anderer Meinung als Herr Schüssel. Nur, das kann man jetzt nicht übers Kreuz brechen. Das muss sorgfältig unter Einschluss der WTO-Gesichtspunkte verhandelt werden. Dafür ist aber jetzt nicht der Zeitpunkt. Und wer meint, man könne die Franzosen zwingen, der irrt sich. Denn die Franzosen wissen genau, dass die Deutschen es sich nicht leisten können, ihre Nachbarn im Osten draußen zu lassen. Außerdem hat der deutsche Bundeskanzler ja schon Krach genug mit dem amerikanischen Präsidenten. Will er sich auch noch mit dem französischen Präsidenten verkrachen?

    Spengler: Wie würde es denn dann heute oder morgen Abend ausgehen?

    von Kyaw: Möglicherweise wird es dieses Mal keine Lösung geben, was ich bedauern würde. Dann würde alles nach Kopenhagen geschoben. Wenn es in Kopenhagen dann von Deutschland kein Nachgeben werden wird, dann kann mir nicht nur die Union, sondern auch Deutschland leid tun.

    Spengler: Deutschland und Frankreich sind sozusagen der Motor Europas. Der läuft ja schon seit einigen Jahren nicht rund. Das merken wir auch daran, dass die EU nicht vorwärts kommt. Was müsste passieren, damit dieser Motor wieder spurt?

    von Kyaw: Wir müssten zunächst zwei Leute an der Spitze haben, die sich vertragen. Das haben wir nicht. Das liegt nicht nur an jeweils einer Seite. Das sind Charaktere, die nicht miteinander können. Zu Helmut Kohls Zeiten ging es mit Mitterand gut. Mit Chirac ist es Kohl immer gelungen, sich zu überwinden. Offensichtlich gelingt das seinem Nachfolger nicht so. Dies ist aber für einen Diplomaten, der das alles mit erlebt hat, verständlich. Es ist keine lustige Sache, mit dem französischen Präsidenten über Agrarfragen zu verhandeln. Er war mal Landwirtschaftsminister, und irgendwie geht er auch als Präsident mit der Landwirtschaft in besonderer Weise um.

    Spengler: Jetzt haben wir aber nun einmal Schröder und Chirac. Europa muss ja mit beiden leben. Sind Sie da ganz pessimistisch, was die Zukunft angeht?

    von Kyaw: Ich hoffe, dass die beiden sich irgendwie, nachdem sie nun beide ihre Wahlen gewonnen haben, in den nächsten Jahren arrangieren können. Aber das geht nicht über kurz und schnell auf Kosten des Erweiterungsfahrplans.