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Der Euro im freien Fall?

Gerner: Wie hätten Sie den Euro gern, hart oder weich? Im Moment bietet er beides, nach innen hart und nach außen ziemlich weich. Zu weich - meinen jene, bei denen sich ökonomischer Verstand und Psychologie mischen. Vom Rat der Europäischen Zentralbank in Frankfurt erwarten Beobachter heute eine Erhöhung des Leitzinses um ein viertel Punkt. Am Telefon ist nun Kurt Faltlhauser, CSU und bayerischer Finanzminister und Staatssekretär unter dem damaligen Finanzminister Theo Waigel. Einen schönen guten Morgen.

    Faltlhauser: Guten Morgen Herr Gerner.

    Gerner: Herr Faltlhauser, vieles spricht für eine Leitzinserhöhung heute. Was versprechen Sie sich davon? Wird das den Trend nach unten beim Euro stoppen?

    Faltlhauser: Also, ich bin nicht hier, um oberlehrerhaft die Europäische Zentralbank zu kritisieren oder zu beurteilen, aber ich würde den Leitzins heute nicht erhöhen. Wenn Sie, wie spekuliert wird, den Leitzins um 0,25 Prozent weiter erhöhen - das vierte Mal -, dann wird es ziemlich schnell von den USA wieder kompensiert. Also, Sie werden keinen Effekt haben. Der Gleichstand wird dann im Abstand des Zinsniveaus wieder da sein, und ich halte schon viel davon, dass dadurch möglicherweise ein konjunkturpolitisches negatives Signal ausgesendet wird.

    Gerner: Heißt das, dass Sie die Stimmen, die warnen vor dem Kursverfall, für übertrieben halten?

    Faltlhauser: Nein, ich bin auch besorgt. Die Art, wie der Bundeskanzler sagte: ‚Ach, gar keine Sorge - der Binnenmarkt ist stabil mit allen Daten' - ist mir etwas zu billig, denn mich besorgt die Schnelligkeit und die Gesamtgrößenordnung des Kursverfalls - immerhin seit Einführung des Euro = 21 Prozent.

    Gerner: Herr Faltlhauser, glauben Sie, dass die Bundesregierung bewusst einen schwachen Euro in Kauf nimmt - wie das einige sagen -, um einen Exportboom und damit Konjunkturimpulse in Kauf zu nehmen?

    Faltlhauser: Nein, das glaube ich nicht. ‚Bewußt in Kauf nehmen' - das ist vielleicht eine gewisse interne Entschuldigung. Wir haben auf diese Weise bessere Exportchancen, dadurch wird aber umgekehrt die Gefahr größer, dass durch die teuren Importe der Preisauftrieb wieder stärker wird. Ich wiederhole noch mal: Wichtig ist gegenwärtig, gerade in diesem Land und in Europa insgesamt eine Verstärkung der Wachstumsdynamik. Und diese Wachstumsdynamik wird durch die Zinserhöhung mit Sicherheit nicht unbedingt gestärkt.

    Gerner: Auf der anderen Seite wird gesagt: Aussichten auf 3 bis 3,5 Prozent - so etwas hatten wir lange nicht in Europa; in den USA ist es sicherlich höher. Was mich interessiert, Herr Faltlhauser . . .

    Faltlhauser: . . . da sind aber andere Rahmenbedingungen. Also, diese Vergleiche direkt mit den USA sind in diesem Zusammenhang nicht gerade seriös. Die Rahmenbedingungen in den USA vom Arbeitsmarkt her, von der Flexibilität der Arbeitsmärkte, von der Dynamik der Wirtschaft insgesamt, von der Steuer her sind völlig anders. Und deshalb verbietet es sich, die Zinshöhe in den USA unmittelbar zu vergleichen mit der in Europa. Wenn Europa die Reformen - Deutschland genau so wie andere, Frankreich insbesondere, Italien - nicht dynamischer voranbringt, haben wir überhaupt keine Aussichten, besser dazustehen.

    Gerner: Sie könnten ja diese Reform beschleunigen, indem Sie etwa der Bundesregierung bei der Steuerreform helfen. Das wird immer angemahnt als Strukturschritt nach vorne . . .

    Faltlhauser: . . . das ist der entscheidende Punkt, da ist gar kein Zweifel. Ich meine, die Bundesregierung, die jetzt dran ist, hätte das ja schon seit dreieinhalb Jahren haben können, wenn sie im Bundesrat nicht blockiert hätten. Das darf ich schon anmahnen. Aber wir sind gerne bereit, eine vernünftige Steuerreform mitzumachen, jedoch nicht um jeden Preis; das kann ich nur täglich sagen.

    Gerner: Herr Faltlhauser, was mich interessiert: Inwiefern trägt die Europäische Zentralbank Schuld am Kursverfall, und inwiefern gibt es andere Ursachen?

    Faltlhauser: Ich glaube nicht, dass man von ‚Schuld' sprechen kann. Die Europäische Zentralbank muss gewissermaßen Renommee und Vertrauen erst gewinnen. Das hatte die Bundesbank selbstverständlich, und die Bundesbank hatte eine ruhige Hand. Es war selten so, dass die Bundesbank - wenn Sie sich richtig erinnern - die Zinsen erhöht hatte, wenn alle Welt vorher geschrien hat: ‚Die werden die Zinsen erhöhen'. Im Gegenteil. Sie hat gesagt: ‚Wir machen dann eine Maßnahme, wenn wir es für richtig halten - und nicht, wenn der öffentliche Druck entsprechend da ist'. Das sollte man auch von der Europäischen Zentralbank erwarten. Ich glaube, dass die Europäische Zentralbank und der Chef der Europäischen Zentralbank nicht immer sehr souverän bis jetzt agiert haben. Das hat dem Renommee dieser neuen europäischen Bank nicht unbedingt genutzt, und deshalb würde ich sehr wünschen, wenn mehr Kontinuität und Ruhe in die Arbeit der Europäischen Zentralbank kommt. Innerhalb von kurzer Zeit vier Zinserhöhungen - das ist nicht unbedingt eine Weltmeisterleistung.

    Gerner: Werden die Stabilitätskriterien zu locker gehandhabt? Jetzt geht es ja auch um den Beitritt Griechenlands. Soll der wie geplant stattfinden oder zurückgestellt werden?

    Faltlhauser: Das ist auch ein wichtiger Stichpunkt. Nicht nur der Beitritt Griechenlands wird meiner Ansicht nach von den europäischen Spitzen etwas locker gehandhabt - ‚ja, selbstverständlich' - mit allgemeinen Sprüchen, sondern ebenso auch die Osterweiterung. Die EU-Chefs haben gesagt: ‚Wir werden der stärkste und dynamischste Wirtschaftsraum in der Welt'. Mit Sprüchen ist überhaupt nichts zu machen, und die Herren kommen nicht voran. Die Strukturreform bzw. die Rahmenbedingungen sowohl in Italien, in Frankreich als auch in der Bundesrepublik müssen schneller vorangetrieben werden. Wenn aber nichts geschieht und nur Sprüche gemacht werden und bei der Osterweiterung allgemeines Gerede vorherrscht aber keine klaren Entscheidungen hinsichtlich Zeitraum und Rahmenbedingungen für Übergangslösungen . . .

    Gerner: . . . was heißt das denn jetzt konkret? Ist da eine Gefahr für Deutschland beim Beitritt Griechenlands ins Euroland?

    Faltlhauser: Nein, es ist keine Gefahr für Deutschland. Aber wenn man nicht genau bescheid weiß, wie ernst man es tatsächlich nimmt, sondern nur allgemeine Aussagen zum möglichst schnellen Beitritt Griechenlands in den Euroraum macht ohne es zu konkretisieren, dann sagen die Märkte natürlich: Wie ernst meinen die das eigentlich noch? Das heißt, die Märkte - das ist der entscheidende Erkenntnisstand für die Regierung, dass sie das endlich ernst nehmen sollten -, die Märkte sind im Urteil schärfer als Medien und Wähler mittlerweile. Sie reagieren wirklich nur auf Daten und tatsächliche Erwartungen . . .

    Gerner: . . . Herr Faltlhauser, Ihr Parteikollege Michael Glos hat - Sie haben eben von ‚Sprücheklopfen' geredet - hat gesagt: ‚Der Euro macht alle Deutschen ärmer'. Wir haben eben in dem Bericht gehört, dass es mitnichten der Fall ist; die innere Stabilität ist da. Warum diese Art von Volksverdummung?

    Faltlhauser: Ich kenne den Ausdruck nicht; ich war jetzt gerade nicht da. Ich müsste das im Gesamtzusammenhang sehen, was Michael Glos da gesagt hat. Dieser eine Satz sagt mir nichts.

    Gerner: Dann will ich anders fragen: Die Vertrauenskrise bei der Bevölkerung gibt es nach wie vor. Rächt sich jetzt, dass man die Sorgen einer breiten Anzahl innerhalb der Bevölkerung nicht ernst genug genommen hat? Man kann etwa bei der TAZ-Korrespondentin Bettina Gauss in ihrem neuen Buch nachlesen, wie das ganze Kritikgebaren damals beiseite geschoben wurde, als ob es nicht existieren dürfte.

    Faltlhauser: Sie können sich sicherlich gut erinnern, dass diejenigen, die kritisch waren gegenüber dem Euro und der Art und der Geschwindigkeit der Einführung - der Bayerische Ministerpräsident und sein heutiger Finanzminister standen da an der Spitze - dass die damals als ‚Euro-Skeptiker' und als ‚Europafeinde' diffamiert. Dabei wollten wir nur kritische Eckpunkte im Grunde besser beachtet sehen. Wir wollen jetzt nicht in billiges Jubelgeschrei jetzt ausbrechen, ich sage nur heute auch: Bagatellisieren kann man den drastischen Verfall - 21 Prozent in kurzer Zeit - nicht. Nicht Zinserhöhungen jetzt und gewissermaßen ‚Stofftierchenaktivität' der Europäischen Zentralbank sind angebracht, sondern die Schlussfolgerungen sind, endlich ordentliche Reformen innerhalb Europas herzustellen.

    Gerner: Die Zeit läuft uns davon. Einen kurzen Satz: Sollte man den Zeitpunkt des Hartgeldes noch einmal überprüfen?

    Faltlhauser: Nein.

    Gerner: O.k., herzlichen Dank, Kurt Faltlhauser von der bayerischen CSU und bayerischer Finanzminister. Danke nach München.

    Faltlhauser: Herr Gerner, auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio