Dienstag, 30. April 2024

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Der Euro ist "das Paradepferd der Stabilität"

Der Euro sei nicht am Ende, sagt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremer Landesbank, und empört sich über entsprechende Äußerungen von Ökonomen. Die Neuverschuldung der Eurozone sei viel geringer als die der USA oder Japans, und auch Italien könne sich selbst retten, wenn es nun Reformen umsetzt.

Folker Hellmeyer im Gespräch mit Jasper Barenberg | 11.11.2011
    Jasper Barenberg: Verläuft alles nach Plan, dann könnte Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano den ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti schon am Wochenende damit beauftragen, eine neue Regierung zu bilden. Verläuft alles nach Plan, hat Silvio Berlusconi bis dahin auch formell vollzogen, was er bisher nur angekündigt hat: seinen Rücktritt. Verläuft alles nach Plan schließlich, hat das Parlament bis dahin ein Paket von Reformen und Sparmaßnahmen verabschiedet; heute steht es in der kleineren Parlamentskammer, im Senat, auf der Tagesordnung. Kann Italien mit den geplanten rigiden Reformen den Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen, oder sind alle Versuche, den Bankrott des Landes abzuwenden, schon jetzt zum Scheitern verurteilt? Stefan Homburg, Wirtschaftswissenschaftler an der Leibnitz Universität Hannover, er hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk ein düsteres Szenario skizziert.

    "Es kann sein, dass durch irgendwelche drastischen Maßnahmen und Rechtsverstöße die Staats- und Regierungschefs es schaffen, die Situation noch zwei, drei, vier Jahre hinauszuschieben. Es kann aber auch sein, genauso gut, dass uns schon nächste Woche gesagt wird, so geht es nicht weiter. Dann wird der Reset-Knopf gedrückt und dann kommt ein Neuanfang. Voraussehen, welcher Neuanfang, kann kein Mensch. Es könnte sein, dass Deutschland zu einer eigenen Währung zurückkehrt, es könnte sein, dass Deutschland einen kleinen Währungsverbund, zum Beispiel mit Österreich oder den Niederlanden, hat. Ich bin kein Hellseher, aber dass der Euro zum Erfolg zurückgeführt wird, das ist nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen."

    Barenberg: Das sagt Stefan Homburg von der Leibnitz Universität Hannover. - Am Telefon begrüße ich jetzt Folker Hellmeyer, Chefvolkswirt der Bremischen Landesbank. Schönen guten Morgen nach Bremen.

    Folker Hellmeyer: Guten Morgen!

    Barenberg: Herr Hellmeyer, dass der Euro zum Erfolg zurückgeführt wird, nach menschlichem Ermessen ist das ausgeschlossen. So hat es eben Stefan Homburg formuliert. Ist der Euro am Ende?

    Hellmeyer: Der Euro ist überhaupt nicht am Ende und ich bin schon sehr irritiert über solche Einlassungen. Fakt ist, dass die Eurozone in der Gesamtheit in der Neuverschuldung seit 2009 gegenüber USA, Japan und dem Vereinigten Königreich das Paradepferd der Stabilität ist. Alle drei anderen genannten Regionen liegen im Dunstkreis von zehn oder über zehn Prozent in der Neuverschuldung, wir liegen dieses Jahr bei 4,3 und kommen von 6,3. Der nächste Punkt ist: in der Gesamtverschuldung liegt die Eurozone unterhalb der von Großbritannien, USA und Japan. In der Reformpolitik sind wir der Weltmeister. Wir haben die stringentesten Reformen in der Geschichte der Industrienationen, und die sind überwiegend erfolgreich, und ich halte es für verantwortungslos, hier solche Positionen einzunehmen, ohne sie mit einem Fundament und diesen Vergleichen zu belegen. Mehr noch: Wenn wir über Italien derzeit sprechen, vergessen diese Herren, dass sie nur auf Verschuldung schauen. Italien ist das Land, das den höchsten Staatsbesitz hat. Italien hat unbelastete Privatvermögen in einem enormen Volumen. Italien ist das einzige Land in der Eurozone mit einem Primärüberschuss, das heißt einem öffentlichen Haushaltssaldo, mit zwei Prozent Überschuss, ohne Berücksichtigung der Zinszahlungen. Das heißt, das Geschäftsmodell ist in Ordnung. Und vor diesem Hintergrund solche Positionen öffentlich zu bekleiden, ohne diese sachlichen Daten mitzuliefern, halte ich für mehr als ambitioniert.

    Barenberg: Wie kommt es dann, Herr Hellmeyer, dass die Zinsen, die Italien bezahlen muss, um seine Kredite zu finanzieren, oder alte Kredite zu refinanzieren, dass diese Zinsen sprunghaft angestiegen sind in den letzten Tagen?

    Hellmeyer: Es hat damit zu tun, dass in der Tat die Politik in Italien unter Herrn Berlusconi nicht optimal gelaufen ist. Aber es hat auf der anderen Seite damit zu tun, dass es eine ausgemachte Spekulation gegen Europa, gegen einzelne Länder gibt in den letzten 18 Monaten. So haben wir zum Beispiel Irland unter den Schutzschirm gezwungen, obwohl Irland eine Cash- und Liquiditätsreserve als einziges Land der Eurozone hatte in der Größenordnung von 25 Prozent der Wirtschaftsleistung. Und auch hier bei Italien geht es nicht um eine sachliche Diskontierung, sondern es geht um eine hohe Emotionalisierung der Märkte und den Einfluss der Achse London-New York über Kreditausfallversicherungen, mit denen man gegen europäische Länder spekuliert. Das sind unregulierte derivative Märkte, die insbesondere von der angelsächsischen und amerikanischen Bankenprominenz besetzt sind in der Preisfeststellung und die die Preise für die Staatsanleihemärkte wesentlich dominieren.

    Barenberg: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, Herr Hellmeyer, bei dem Misstrauen, was allenthalben auf den Finanzmärkten zu spüren ist, geht es nicht darum, dass das Land selber so schlecht aufgestellt ist wie es scheint, sondern da spielen andere Faktoren eine Rolle?

    Hellmeyer: Genau so ist es und ich möchte das Beispiel Italien noch einmal anführen. Italien war für die Finanzmärkte nie ein Problem. Italien ist von 1999 bis 2011 in der Staatsverschuldung von 114 Prozent der Wirtschaftsleistung auf 120 Prozent gestiegen, um sechs Prozentpunkte. Ich sage nicht, dass 120 Prozent ein kommodes Niveau sind, aber es ist eben auch im Verhältnis zu sehen zum Staatsvermögen. Amerika, die USA haben im selben Zeitraum, wo die Staatsverschuldung in Italien um sechs Prozent zugenommen hat, eine Zunahme um über 50 Prozent der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen, und entscheidend ist hier in Amerika insbesondere, dass es eine konsumtive Verschuldung ist. Diese Bewertung ist notwendig, um sachlich zu diskontieren an den Märkten, und ich bin wie gesagt schockiert darüber, dass viele meiner Kollegen, insbesondere aus dem akademischen Zirkel - und das ist nicht nur der genannte Professor, sondern auch ein Professor aus München -, eben diese notwendige sachliche Diskontierung vermissen lassen.

    Barenberg: Wenn wir darüber reden, was jetzt ansteht in Italien: da soll nun beschlossen werden ein ganzes Paket von Maßnahmen. Es gilt, zu sparen und die Wirtschaft auf einen besseren Kurs zu lenken. Wie lange müssen wir warten und wie wichtig ist das, bis es tatsächlich dann wieder aufwärts geht und das Vertrauen zurück ist an den Märkten?

    Hellmeyer: Reformen brauchen Zeit für die Umsetzung. Reformen wirken, wenn es wirkliche Reformen sind, in den Strukturen zunächst einmal wachstumsdämpfend, und insofern muss man schon eine Zeitverzögerung von mindestens 6, zwölf bis zu 18 Monaten sehen, bis hier nachhaltige Traktionen kommen. Das gilt nicht für alle Maßnahmen, aber entscheidend ist, dass wir in Italien ein Reformprogramm in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro umsetzen. Das läuft an diesem Wochenende noch durch das Parlament und das zeigt die Reformfähigkeit. Wenn sie es vergleichen mit Japan und den Vereinigten Staaten, die noch nicht einmal den Begriff Reform buchstabieren können, dann zeigt sich hier der qualitative Unterschied der politischen Ansätze der Eurozone einerseits und wie gesagt der USA und Japan andererseits, die von irgendwelchen spekulativen Bewegungen überhaupt nicht betroffen sind. Diese Asymmetrie in der Bewertung der Märkte impliziert im übrigen eine politische Agenda, die an den Finanzmärkten gespielt wird.

    Barenberg: Mit anderen Worten: Italien kann sich nicht selbst retten. Das war sozusagen die Quintessenz im Gespräch mit Stefan Homburg heute. Ihre Quintessenz ist, Italien kann sich sehr wohl selbst retten.

    Hellmeyer: Italien kann sich sehr wohl selbst retten, indem sie Reformen umsetzen und damit Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Aber was noch wichtiger in meinen Augen ist, ist, dass wir in Europa begreifen, dass die Integrität, die Solidarität der Eurozone, die Integrität aufrecht zu erhalten ist und dass wir das Paradepferd der Stabilität sind, und dieses Paradepferd gilt es, nicht auf der Schlachtbank der Spekulation zu opfern.

    Barenberg: Auf der anderen Seite, Herr Hellmeyer, gab es ja gestern beispielsweise schon Gerüchte darüber und die Kanzlerin musste das dementieren, dass man sich auf eine kleinere Währungsunion, auf eine Reduzierung der Zahl in der Währungsunion einstellt.

    Hellmeyer: Der Punkt ist, dass das keine ernsthafte Planung ist, aber sie müssen heute in einem Unternehmen oder auch beim Staat ein Contingency Planning', eine Notfallplanung, immer bereit haben. Das heißt, dass man mit jeder Situation umgehen kann. Ich kann Ihnen aus den Gesprächen, die ich führe im Hintergrund, deutlich sagen, dass eine ernsthafte Lösung in diese Richtung nicht ernsthaft erwogen wird.

    Barenberg: Sagt Folker Hellmeyer, der Chefvolkswirt der Bremischen Landesbank. Danke heute Mittag für das Gespräch, Herr Hellmeyer.

    Hellmeyer: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.