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"Der Euro war mit schuld an der Verschuldung Griechenlands"

Der ehemalige BDI-Präsident, Hans-Olaf Henkel, hat genug von der "Schuldenorgie" im Süden Europas. Um den Euro zu stabilisieren, schlägt er vor, dass Deutschland und ein paar andere Länder - etwa Österreich, die Niederlande und Finnland - den Euroraum verlassen.

Hans-Olaf Henkel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 25.06.2011
    Jürgen Zurheide: Griechenland und kein Ende - der EU-Gipfel hat sich gestern wieder einmal mit diesem Thema beschäftigt. Und da geht es einmal natürlich um die Schulden und um die Frage, wie kann denn Griechenland das zurückzahlen, was da als Kredit steht. Und auf der anderen Seite die spannende Frage: Wie kommt Griechenland wirtschaftlich wieder auf die Beine? Über all das wollen wir reden mit einem, der von Wirtschaft eine Menge versteht. Ich begrüße Olaf Henkel am Telefon, den früheren BDI-Präsidenten. Guten Morgen, Herr Henkel!

    Hans-Olaf Henkel: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal, bevor wir über die Schulden reden: Nehmen wir mal den Befund Griechenlands in den Blick. Die Arbeitslosigkeit steigt, die Löhne sinken, Wettbewerbsfähigkeit nicht gegeben, Schulden steigen, wirtschaftliche Leistung sinkt also. Wie kann denn so ein Land auf die Beine kommen, Herr Henkel?

    Henkel: Ja, nicht mit den derzeitigen Plänen, davon bin ich fest überzeugt, denn was wir nicht vergessen dürfen ist, dass Griechenland eben auch durch den Euro in diese Probleme gekommen ist. Ich gebe mal zwei Beispiele. Das eine Beispiel ist, dass die griechischen Politiker erst über den Euro zu zinsgünstigen Krediten herangekommen sind, das heißt, der Euro war mit schuld an der Verschuldung Griechenlands. Und der zweite Punkt ist: Griechenland hat, wie auch andere Südländer, früher sich regelmäßig durch Abwertungen wettbewerbsfähig erhalten können, und das ist diesem Land jetzt verwehrt. Griechenland hat gegenüber Deutschland dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit verloren, und so schafft es nicht, wieder wettbewerbsfähig zu werden.

    Zurheide: Vor allen Dingen scheint ja auch die Spaltung innerhalb der Bevölkerung immer größer zu werden. Ich habe gestern in der "Süddeutschen Zeitung" im Wirtschaftsteil den Bericht gefunden, da wurde eine Familie, dem Mittelstand angehörig, befragt, er Architekt, sie ist Psychologin mit einem Durchschnittseinkommen von 40.000, 45.000 Euro im Jahr, also das ist Mittelstand für Griechenland. Ich lese mal zwei, drei Sätze vor, wie Sie sagen, warum sich einiges ändern muss. Diese Familie sagt: Sie müssen die Steuern eintreiben von den Reichen. Einer kleinen Schicht von Leuten gehört 90 Prozent des Wohlstandes, aber bis heute werden alle Ausgaben bestritten von den 90 Prozent der Bevölkerung, die vielleicht zehn Prozent des Volksvermögens besitzen. Der Politik fehlt der Wille, das zu ändern, beide großen Parteien sind da verstrickt. Diese Menschen müssen jetzt motiviert werden, Opfer zu bringen. Das kann doch nicht gehen, oder?

    Henkel: Na ja, das muss irgendwann mal funktionieren, in anderen Ländern hat es ja auch nur funktioniert, nur ich frage mich, wieso das neuerdings die Verantwortung deutscher Politiker ist, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Das ist auch eine Folge des Euro, man muss sich das mal vorstellen, dass jetzt neuerdings die deutsche Politik von den Griechen verlangt, zu privatisieren, den Gürtel enger zu schnallen, Steuern einzutreiben. Frau Merkel kümmert sich anscheinend heute mehr um die griechische Volkswirtschaft als um die deutsche, und auch das ist eine Folge des Euro. Und das muss die Politik endlich mal begreifen, dass wir das Eurosystem anpassen müssen der Realität. Es kann so nicht weitergehen.

    Zurheide: Jetzt sagen natürlich viele, anpassen an die Realität, was Sie sagen, heißt für viele, die jetzt den Euro verteidigen, das sei das Ende von Europa. Warum halten Sie das für falsch?

    Henkel: Das ist ja Quatsch. Also Europa besteht aus über 50 Ländern und hat auch vor dem Euro bestanden, erstens, zweitens: Selbst die EU, die Europäische Union, besteht aus 27 Ländern, und es gibt zehn Länder, die gar nicht daran denken, in den Euro hineinzugehen. Nehmen Sie mal Tschechien oder Polen oder Dänemark oder Großbritannien, diese Länder haben gar kein Interesse und wollen nicht hinein. Also wir müssen uns das nicht von der Politik erzählen lassen, dass der Euro identisch mit der Europäischen Union ist oder der Euro gar identisch mit Europa. Vor allen Dingen - und das halte ich für wichtig, und das verwechseln leider einige meiner Kollegen auch immer: Wir haben den Binnenmarkt, und von dem profitiert Deutschland in der Tat, aber auch der hat mit dem Euro nichts zu tun. Den Binnenmarkt gibt es ja schon seit 1992, und der versetzt die deutsche Industrie in die Lage, ihre Güter und Waren nach Polen ,nach Dänemark, nach Schweden genauso zu exportieren wie nach Frankreich oder Österreich, das heißt, auch in Nicht-Euroländer. Der Euro ist nicht so wichtig wie er von der Politik heute gemacht wird.

    Zurheide: Aber er wird natürlich überhöht, er wird quasi zum Symbol, und das ist immer so, wenn solche ökonomischen Dinge zu Symbolfragen werden, dann löst sich das irgendwann von der ökonomischen Realität. Jetzt sagen Sie, möglicherweise brauchen wir zwei Eurozonen - oder wie sieht Ihre Lösung aus?

    Henkel: Ja, das ist völlig richtig, was Sie gerade gesagt haben. Wir erleben das übrigens inzwischen auch schon in Griechenland. Es ist ja wirklich verrückt. Der Euro führt ja nicht zu einer größeren Integration, wir erleben es doch heute täglich, dass der Euro sich zu einem Sprengsatz entwickelt. In Griechenland laufen die Studenten schon mit Naziflaggen herum. Die Deutschen sind inzwischen das unbeliebteste Land in Griechenland, obwohl wir am meisten zahlen. Ähnliches hören wir aus Lissabon und Madrid. Es wird Zeit, dass wir uns mal mit der Realität befassen. Und jetzt ist die Frage: Was kann man machen? Man kann natürlich so weitermachen, dann laufen wir in eine totale Transfer Union, das läuft dann so wie der Länderfinanzausgleich in Deutschland, nur dass dann die drei Geberländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen nicht nur die 13 deutschen Nehmerländer, sondern ungefähr genauso viele Nehmerländer in Europa unterstützen müssen. Das ist das, was die Politik jetzt ansteuert ganz offensichtlich. Die zweite Alternative wird ja seit einiger Zeit diskutiert, eine Umschuldung oder ein Austritt Griechenlands - der ist ohne die Einwilligung Griechenlands gar nicht möglich und führt auch in der Tat zu gewaltigen Risiken. Und ich bin der Meinung, es gibt auch eine dritte Alternative, und das wäre, dass die deutsche Politik mal wieder ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt und von sich aus entscheidet, den Euroraum wieder zu verlassen, und zwar mit drei, vier ähnlich strukturierten Ländern, ich denke jetzt zum Beispiel an Österreich, an Holland und Finnland. Dann hätten wir den Euro weiter, der würde dann abgewertet werden, er gäbe den Südländern - einschließlich Frankreich übrigens - wieder eine Perspektive zu wachsen, und wir müssten uns nicht an der Schuldenorgie im Süden dauernd beteiligen. Übrigens hätten wir dann auch einen größeren Schutz gegen die Inflation.

    Zurheide: Wobei dann natürlich die entscheidende Frage bezogen auf Griechenland ist: Die vorhandenen Schulden müssten dann genauso abgewertet werden, also da kommt es auf jeden Fall zu einem Verlust. Da wird doch nichts dran vorbeiführen, oder?

    Henkel: Das ist völlig richtig. Das Geld ist ja jetzt schon weg, das sagen wir doch schon seit einem Jahr. Und ich bin auch der Meinung, dass wenn tatsächlich Deutschland und drei oder vier weitere ähnlich strukturierte Länder den Euroraum verlassen müssten oder wollen, dann müssten sie ein Austrittsticket bezahlen, einen Preis auf den Tisch legen, und der könnte identisch mit dem sein, was wir heute schon auf den Tisch gelegt haben an Krediten und Bürgschaften. Das Geld kriegen wir sowieso nicht wieder, aber dann haben wir wenigstens ein, ich will mal sagen, ein Ende mit Schrecken, statt dieser Schrecken ohne Ende, der zurzeit von der deutschen Politik vor allen Dingen betrieben wird.

    Zurheide: Herr Henkel, ich will zum Schluss mit Ihnen noch über einen Punkt sprechen: Sie gehören ja einer Klägergruppe an, die in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht überprüfen lässt, ob die Rettungspakete so rechtmäßig sind. Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Ihre Klägergruppe nicht zugelassen wird zur mündlichen Verhandlung. Suchen sich die Richter ihre Kläger inzwischen selbst aus oder wie werten Sie das?

    Henkel: Es scheint so zu sein. Ich habe mich in einem Brief an den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts jetzt gewandt und habe mich darüber beschwert, ich hoffe, dass er sich das noch mal überlegt. Was ihm und seinen Kollegen vielleicht nicht klar ist, dass unsere Klage etwas oder ganz anders strukturiert ist als die klassischen Klagen, mit denen sie bisher konfrontiert wurden.

    Zurheide: Ja, aber das kann ja nicht sein, die werden das ja gelesen haben, da gehen Sie wohl von aus, oder?

    Henkel: Ja, ich weiß es nicht so richtig. Vielleicht wollen sie nicht gerne mit neuen und meiner Meinung nach wirklich wichtigen Argumenten konfrontiert werden. Denn das Bundesverfassungsgericht, wenn es seinen Auftrag ernst nimmt, müsste eigentlich sich an seinen eigenen Worten messen, denn einer der Gründe, warum zum Beispiel eine außerordentliche Anordnung gegen Griechenland vor über einem Jahr abgewehrt wurde, war die Tatsache oder der Verweis auf die Aussagen der Regierung, nämlich dass zum Beispiel im Jahre 2013 diese Rettungsschirme alle auslaufen. Jetzt werden sie durch ein neues Gesetz verstetigt, wie es so schön heißt. Das heißt, die Regierung hat ihre eigenen Versprechen nicht gehalten, und das Bundesverfassungsgericht muss doch endlich mal merken, dass es nicht dauernd auch der deutschen Bundesregierung auf den Leim gehen kann und sich - und das finde ich besonders wichtig - auch mal mit unseren Argumenten befasst, und ich hoffe, dass das auch noch stattfindet.

    Zurheide: Das war Hans-Olaf Henkel zum Rettungspaket, zu Griechenland und zur Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Herr Henkel, ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!

    Henkel: Ich danke für den Anruf und einen schönen Tag noch!