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"Der Europarat ist kein Papiertiger"

Der Europarat tagt am Dienstag in Warschau zum Schutz der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Als Richtlinien ausarbeitendes Organ der EU sei der Europarat darüber hinaus ein Forum, das Konflikte entschärfe, sagt Hans-Joachim Wiese (SPD), Leiter der deutschen Delegation im Europarat. Es gebe viele Fälle, in denen die Abstimmung der 46 Ratsmitglieder etwas haben bewirken können.

Von Hans-Joachim Wiese |
    Wiese: In diesen Tagen ist viel von Europa die Rede. Erst in der vergangenen Woche ratifizierte der Bundestag die europäische Verfassung. Europa ist also "in" und zunehmend gewinnt es Einfluss auf das Leben jedes Einzelnen: sei es durch die gemeinsame Währung, durch die offenen Grenzen, oder durch die Probleme, die die Freizügigkeit etwa für den nationalen Arbeitsmarkt mit sich bringt. Eine europäische Institution, die obwohl die älteste nur wenig bekannt ist, ist der Europarat. Gestern begann in Warschau ein zweitägiger Gipfel aller 46 Staats- und Regierungschefs des Europarats. Am Telefon begrüße ich jetzt den SPD-Bundestagsabgeordneten Rudolf Bindig. Er ist Leiter der deutschen Delegation beim Europarat. Guten Morgen!

    Bindig: Guten Morgen!

    Wiese: Herr Bindig, was tun Sie eigentlich im Europarat, außer Konferenzen abzuhalten?

    Bindig: Der Europarat hat drei große Säulen. Das ist einmal die Regierungsseite. Dann gibt es dort ein Parlament, die parlamentarische Versammlung des Europarates, und schließlich noch ein Gremium, welches sich mehr mit der kommunalen Ebene befasst. Wir in der parlamentarischen Versammlung des Europarates sind zusammengesetzt aus den jeweiligen nationalen Parlamenten und wir befassen uns mit aktuellen Problemen Europas, auch mit der Weiterentwicklung auf verschiedenen Gebieten. Ich nenne mal den Menschenhandel, die Terrorismusbekämpfung, den Schutz der Minderheiten, Grundsatzfragen der Demokratie, der Meinungs- und der Pressefreiheit. Hier sehen wir, wo es in welchen Ländern Probleme gibt. Wir überprüfen das, fertigen dazu Berichte an und diskutieren diese dann, um Anregungen zu geben für die jeweiligen betroffenen Länder.

    Wiese: Aber nun gibt es schon andere Institutionen, die sich genau mit diesen Themenbereichen befassen. Jean-Claude Juncker sagte es ja auch gerade eben in dem Bericht. Hierzu gehören etwa die EU oder auch die OSZE. Wieso brauchen wir dafür auch noch den Europarat?

    Bindig: Da gibt es in der Tat mehrere Überschneidungen. Da haben wir einmal die Europäische Union, die ja nur 25 Mitgliedsländer hat. Der Europarat hat 46. Das ist schon ein ganz wichtiger Unterschied, denn der Europarat deckt auch die hauptsächlich osteuropäischen Länder ab, die auch mittelfristig nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sein können. Das ist einmal die Kaukasus-Region, Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Es ist aber auch die Ukraine sowie die russische Föderation. Hier tätig zu sein und wichtige Impulse zu geben in Richtung der Weiterentwicklung der Demokratie, der Gewaltenteilung, des guten Regierens, wie es heißt, das ist von zentraler Bedeutung. Der Kernunterschied ist, dass dieses rechtsförmig geschieht. Es gibt den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ein Gerichtshof, der Urteile fällen kann für diesen großen Rechtsraum, und eine Reihe weiterer Konventionen. Die OSZE ist noch weiter gefasst. Sie umfasst dann auch Kanada und die USA. Sie hat aber eben nicht diese Möglichkeit, auf einen Durchsetzungsmechanismus zurückgreifen zu können.

    Wiese: Aber der europäische Menschenrechtsgerichtshof ist das eigentliche oder einzige konkrete Machtmittel, wenn man das so nennen kann, des Europarats, oder gibt es da noch andere Möglichkeiten, Resolutionen, die sie fassen, auch tatsächlich durchzusetzen?

    Bindig: Es gibt da noch mehr. Erst einmal: Die Konventionen, die der Europarat erarbeitet und verabschiedet, werden von den jeweiligen Mitgliedsländern ratifiziert und sind dann auch verbindlich. Ich nenne mal die europäische Sozialcharta, die Minderheitenkonvention. Das ist einmal die Charta für regionale und Minderheitensprachen, die Rahmenkonvention zum Schutz von Minderheiten. Da hat der Europarat ganz wichtiges Völkerrecht gesetzt, welches von anderen Organisationen nicht in dieser Form gemacht werden kann. Hier liegen also bedeutsame Aufgaben in der Frage der Verbindlichkeit. Dann gibt es auch noch die europäische Antifolterkonvention zum Beispiel, ein Gremium, welches unangemeldet jederzeit in die Mitgliedsländer reisen kann, Kontrollen vornehmen kann in Gefängnissen oder anderen Orten, wo Menschen in ihrer Freiheit begrenzt sind. Gerade diese Durchführungs- und Überprüfungsmechanismen, das ist das Bedeutsame. Da wird nicht nur etwas versprochen, angekündigt, sondern es gibt Gremien, die das überprüfen, ob es auch wirklich eingehalten wird. Das ist von ganz einmaliger Bedeutung für die Entwicklung der Demokratien.

    Wiese: Dann lassen Sie uns das, Herr Bindig, an einem Beispiel mal verdeutlichen. Auf dem Gipfel in Warschau soll eine Campagne gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit ins Leben gerufen werden. Welche Verbindlichkeit wird denn diese Campagne haben für die Mitgliedsländer?

    Bindig: Ich hatte eben hauptsächlich über die Konventionen gesprochen. Diese Campagne, das sind Anregungen. Das sind Impulse, die gegeben werden. Da werden Ideen entwickelt, wie man in den jeweiligen Ländern einmal aufmerksam sein kann, beobachtet, ob es solche Tendenzen gibt und was dagegen gemacht werden kann. Da wird ein Erfahrungsaustausch gemacht für Öffentlichkeitscampagnen. Dieses hat also mehr so eine indikative, anzeigende Wirkung.

    Wiese: Der Europarat also ein Papiertiger?

    Bindig: Oh, das nun wahrlich nicht. Wir haben ja eben schon über den Gerichtshof mit seinen Urteilen geredet. Gerade in diesen Tagen ist das Urteil in Bezug auf Öcalan gefallen, ob es ein fairer Prozess war oder nicht. Hier ist der Gerichtshof zu der Auffassung gekommen, das war kein fairer Prozess. Es sind vielfältige Urteile, die dort behandelt werden, auch in den Krisengebieten in Tschetschenien, in der russischen Föderation oder eine Reihe von Fällen, die sich auf die Türkei beziehen, aber letztlich auch bis hin zu Deutschland, dass es dort Fälle gibt, und dann natürlich ein Forum, wo schwierige Fragen besprochen werden können. Wo kann sonst mit der russischen Föderation über die Tatsache debattiert werden, dass in Transnistien noch russische Truppen sind, auf einem Gebiet, welches zum Staat Moldawiens gehört. Oder jetzt auch am Rande dieses Gipfels wird es ein Treffen geben oder hat es schon gegeben über den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, ein Forum, wo in wichtiger Weise versucht werden kann, Konflikte zu entschärfen und sie einer Lösung zuzuführen, damit dieser große Rechtsraum, der paneuropäische Rechtsraum von Island bis Malta und von Madeira, von Portugal bis nach Vladivostok, auch wirklich entstehen kann, ein großer Raum der Zusammenarbeit und des Friedens.

    Wiese: Stichwort Russland, Herr Bindig, immerhin eine ehemalige Supermacht. Lässt sich Russland irgendetwas vorschreiben vom Europarat?

    Bindig: Na ja, als Russland Mitglied des Europarates geworden ist, ist Russland eine Reihe von Verpflichtungen eingegangen und wir sind jetzt dabei, diese Einhaltung zu überprüfen. Wir haben eine Reihe Fortschritte erzielt im Zusammenhang des Ausbaus des politischen Institutionswesens, der Gewaltenteilung, der Rechtsstaatlichkeit, aber es gibt auch noch große Defizite, Stichwort Unabhängigkeit der Justiz, Stichwort der Konflikt in Tschetschenien. Aber man ist eben dabei, diskutiert und versucht auch, bei diesen Projekten etwas zu erreichen.

    Wiese: Zur letzten Frage: Weißrussland ist als einziger europäischer Staat nicht dabei. Weshalb nicht?

    Bindig: Weil dort wirklich die Lage noch so ist, dass man sagen kann, die Versprechen würden in keiner Weise das einhalten, was die Grundwerte des Europarates ausmachen. Wir versuchen die auch noch zu gewinnen, aber bisher ist das nicht möglich bei der inneren Struktur dieses Landes.

    Wiese: Das war in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk Rudolf Bindig, SPD. Er ist deutscher Leiter der Delegation beim Europarat. Schönen Dank Herr Bindig und auf Wiederhören!

    Bindig: Auf Wiederhören!