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Der Fall John Dalli
Ein EU-Kommissar, ein Korruptionsvorwurf, ein Rücktritt

In die Kommissionzeit von José Manuel Barroso fallen die Korruptionsvorwürfe gegen den damaligen Gesundheits- und Verbraucherschutzkommissar John Dalli. Dieser trat daraufhin zurück, bestreitet aber bis heute, dass an den Vorwürfen etwas dran war. Vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg hat er gegen seine Absetzung geklagt, das Urteil soll heute ergehen.

    Der damaligen Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Barroso, Pia Ahrenkilde, war an jenem Oktober-Tag 2012 im Pressesaal der Kommission nicht anzumerken, ob ihr klar war, dass das, was sie da verkündete, das Zeug zu einer ausgewachsenen Affäre haben würde. Immerhin ging es um nicht weniger als einen folgenschweren Korruptionsverdacht gegen einen ausgewachsenen EU-Kommissar der, wiewohl nicht selbst bestechlich, so doch von Bestechungsversuchen der Tabaklobby gewusst haben soll.
    "Herr Dalli hat alle Vorwürfe entschieden von sich gewiesen. Er hat dem Kommissionspräsidenten gesagt, dass er unverzüglich zurücktreten werde, um Maßnahmen zu ergreifen, seinen Ruf und den der Kommission zu verteidigen."
    Genötigt habe ihn Barroso zu diesem Schritt, sollte Dalli später sagen. Nichts ahnend habe er Barroso an jenem Tag getroffen. Der habe ihn dann mit dem, laut Dalli, jeder Grundlage entbehrenden Vorwurf unlauterer Kontakte zur Tabakindustrie konfrontiert und unter Druck gesetzt.
    "Barroso sagte mir, nachdem er mir aus ein paar Dokumenten, vorgelesen hatte, dass ich zurückzutreten habe oder er sich sonst gezwungen sähe, mich zu entlassen. Nach einigen Diskussionen, denn ich habe mich entschieden gegen die Anschuldigungen gewehrt, habe ich schließlich nachgegeben und meinen Rücktritt angekündigt. Daraufhin wollte er das auch schriftlich von mir. Das habe ich abgelehnt. Bis heute."
    Bei den Vorwürfen gegen Dalli ging es nicht um dessen mögliche Bestechlichkeit. Es ging darum, dass er von einem Bestechungsversuch gewusst haben soll. Einem mit ihm befreundeten maltesischen Geschäftsmann sollen angeblich von dem Tabakkonzern Swedish Match mehrere Millionen Euro versprochen worden sein, wenn er sich beim zuständigen EU-Kommissar, Dalli eben, dafür verwendete, die ausstehende strengere EU-Regulierung der Zigarettenindustrie im Interesse des Konzerns zu beeinflussen. Im Kern soll es darum gegangen sein, die Aufhebung des Vermarktungsverbots für schwedischen Kautabak, Snus, zu erwirken. Dessen Verkauf war und ist außerhalb von Schweden EU-weit verboten.
    "Swedish Match behauptet, dass der maltesische Unternehmer finanziellen Nutzen aus seinen Kontakten zu Herrn Dalli ziehen wollte. Der Tabakkonzern hätte den Mann dafür bezahlen sollen, dass er Einfluss nimmt auf die geplante EU-Gesetzgebung für die Zigarettenindustrie."
    Kurioserweise hatte Swedish Match den Bestechungsversuch offenbar selbst gegenüber der Kommission offenbart. Dass die Vorgänge so waren und dass Dalli davon wusste – von dieser Vermutung setzte die Kommission die Anti-Korruptionsbehörde der EU, OLAF, in Kenntnis. Mit der Überwachung privater Telefonate und anderen zweifelhaften Methoden – so die Kritiker und so John Dalli in seiner Klage vor dem EuGH - will OLAF unzweideutige Indizien dafür gefunden haben, dass die Anschuldigungen den Tatsachen entsprechen. Der Leiter von OLAF, Giovanni Kessler, geriet im Zusammenhang mit dem Fall massiv unter Beschuss. Er wehrte sich wiederholt gegen Vorwürfe, dass OLAF im Fall Dalli mit den Beweisfindungsmethoden zu weit gegangen das Mandat überschritten habe.
    "Abgesehen von politischen Spekulationen und Erklärungen – niemand hat seriös gesagt, dass wir etwas illegal gemacht haben. Wir sind absolut transparent. Alles ist in der Presse – manchmal auch mehr als alles, manchmal auch Lügen und non-existierende Fakten."
    John Dalli jedenfalls sah sich als Opfer einer Intrige der Tabakindustrie, die ihn, aus seiner Sicht, ausschalten wollte, weil auf seinem Tisch Gesetzesinitiativen lagen, die ihre Geschäfte in der EU erheblich beschneiden sollten.
    Warum EU-Kommissionspräsident Barroso seinerzeit so schnell so massiv gegen Dalli vorging, lässt sich vielleicht am ehesten begreifen, wenn man sich an 1999 erinnert. Da wurde die Europäische Kommission unter ihrem damaligen Präsidenten Santer von einem Korruptionsskandal um die französische EU-Kommissarin Édith Cresson derart erschüttert, dass sie in der Folge geschlossen zurücktreten musste.
    "Der Fall Dalli zeigt, dass das EU-Anti-Korruptionssystem heute funktioniert. Es wurde schnell und gründlich recherchiert und die notwendigen Schlüsse wurden gezogen."
    Das zu demonstrieren, darum dürfte es Barroso wohl auch gegangen sein. Möglicherweise attestiert ihm nun der Europäische Gerichtshof, dass er dabei zu weit gegangen ist.