Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Der Fall Julian Assange
"Keine Verschwörung von Staaten"

Whistleblower Julian Assange habe Geheimnisverrat begangen und dies sei nicht nur in den USA eine Straftat, sagte der CDU-Politiker Patrick Sensburg im Dlf. Zwar traue er den US-Geheimdiensten viel zu, dennoch sei Amerika ein Rechtsstaat. Von einer Verschwörung von Staaten zu sprechen, sei falsch.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Dirk Müller | 07.02.2020
Julian Assange im Gespräch mit dem UN-Menschenrechtsrat. Assange wurde aus der ecuadorianischen Botschaft in London zugeschaltet.
Der Wikileaks-Gründer Julian Assange war 2019 festgenommen worden, nachdem er aus der Botschaft Ecuadors in London verwiesen worden war. Ihm droht nun eine Überstellung an die USA. (AFP - Fabrice Coffrini)
An einem aktuellen Aufruf zur Freilassung des Wikileaks-Gründers Julian Assange haben sich mehr als 130 Politiker, Künstler und Journalisten in Deutschland beteiligt, unter anderem der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, Sigmar Gabriel und der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff.
Günter Wallraff im Februar 2020 bei der Vorstellung seiner Unterschriftenaktion für die Freilassung von Julian Assange. Nach einer etwaigen Abschiebung in die USA würden Assange bis zu 175 Jahre Gefängnis drohen.
Petition für Julian Assanges Freilassung
Günter Wallraff und andere Prominente setzen sich mit einer Petition für die Freilassung von Julian Assange ein. Sie befürchten, der Wikileaks-Gründer könnte in die USA ausgeliefert werden.
Auch Amerika sei ein Rechtsstaat, aber amerikanischen Geheimdiensten, die mehr als Nachrichtendienste dürften, traue er viel zu im verdeckten Bereich, sagte der CDU-Politiker Patrick Sensburg im Dlf.
Sensburg war Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, ist Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages und zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste.
Dass sich Julian Assange mit den amerikanischen Geheimdiensten durch seine Veröffentlichungen angelegt habe, sehe er ganz deutlich. Geheimnisverrat sei aber nicht nur in den USA eine Straftat. Er könne keine Absprache zwischen Staaten erkennen und betonte, dass sich Assange dem rechtsstaatlichen Verfahren in Schweden entzogen habe. In diesem ging es um Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Wikileaks-Gründer.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg kritisiert die Verschörungstheorien rund um das Verfahren um Julian Assange. (imago stock&people)

Das komplette Interview zum Nachlesen:
Dirk Müller: Haben Washington, London und Stockholm Julian Assange mit Tricks, mit Manipulationen und mit Folter malträtiert, um ihm damit die Freiheit zu nehmen, um den Wikileaks-Gründer für alle Zeiten mundtot zu machen? Ist das eine Verschwörung von Regierungen?
Patrick Sensburg: Nein, das ist es aus meiner Sicht auf keinen Fall. Ich schätze den Nils Melzer, auch als Sonderberichterstatter, aber auch als Hochschulprofessor, aber von einer Verschwörung von Staaten zu sprechen, das ist einfach falsch. Schweden ist ein Rechtsstaat, die Justiz ist unabhängig und ich glaube, da sollte man die Justiz entscheiden lassen und nicht politischen Druck auf Justizbehörden ausüben.
Müller: Ist das jetzt Ihr Glauben, Ihr Wunschdenken, oder Realität?
Sensburg: Nein, das ist Realität. Schweden ist ein Rechtsstaat. Schweden ist EU-Mitglied. Schweden ist selbstverständlich auch Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention. Schweden die Rechtsstaatlichkeit abzusprechen, das halte ich schon für eine sehr kühne Behauptung.
Julian Assange blickt mit gestutztem Bart und streng frisierten Haaren aus einem Busfenster, in dem Gebäude reflektieren.
UN-Sonderberichterstatter: "Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats stark angeschlagen"
Im Umgang mit Julian Assange werde ein Präzendenzfall geschaffen, sagte der UN-Sonderberichterstatter über Folter, Nils Melzer, im Dlf. Immer mehr Staaten versuchten, Whistleblower hart zu bestrafen. Das könne großen Einfluss auf zukünftige Prozesse gegen Journalisten und ihre Informanten haben.
"Konkrete Vorwürfe von zwei Frauen"
Müller: Das tut Nils Melzer ja nicht. Er sagt nur, wenn nationale Sicherheitsinteressen extrem gefährdet sind, akut gefährdet sind, wie im Fall Assange – das ist die amerikanische Perspektive darauf, vielleicht ja auch die britische -, dann sind Staaten und Regierungen, auch demokratische Staaten und Regierungen offenbar bereit, diesen Rechtsstaat zu opfern und ihren Interessen zu folgen. Kann das sein?
Sensburg: Im Fall Schweden handelt es sich um konkrete Vorwürfe von zwei Frauen und da teile ich auch nicht, was Nils Melzer sagt und sich ausschließlich auf eine SMS einer Frau stützt. Wenn man den Sachverhalt sich etwas genauer anguckt: Es geht um sehr konkrete Vorwürfe. Es geht darum, was an den beiden Abenden passiert ist. Die beiden Frauen haben hinterher sich dann erst kennengelernt und haben gesagt, mir ist das Gleiche passiert.
Ich glaube, da ist es absolut unangebracht, dass sich Politik in Verfahren einmischt. Dort muss geprüft werden. Dafür haben wir Staatsanwaltschaften. Dem hat sich Assange entzogen, dass er im Grunde die Delikte verjährt hat lassen, und das ist nicht okay.
Dass die Amerikaner ein hohes Interesse daran haben, Assange zu bekommen, weil es um Geheimnisverrat geht, steht auf einem anderen Blatt. Da kann ich mir vorstellen, dass Nachrichtendienste hier auch mitwirken, auch sicherlich in eine Richtung arbeiten. Und deswegen ist es so wichtig, dass nicht die Nachrichtendienste die Justiz beeinflussen, sondern die Justiz unabhängig ist.
Müller: Die Geheimdienste könnten illegal miteinander, kriminell miteinander zusammenarbeiten? Halten Sie das für möglich?
Sensburg: Das könnten wir beide auch. Das kann ja jeder in der Hypothese, in der Theorie. Aber dafür gibt es auch wieder die Justiz, den Rechtsstaat, und die lässt sich nicht, weder in Deutschland, noch in Schweden, von Nachrichtendiensten beeinflussen. Beweise fälschen ist auch für Nachrichtendienste eine Straftat.
"Da sehe ich Assange in der Verantwortung"
Müller: Ist das für Sie denn Zufall, dass die Vergewaltigungsvorwürfe in Schweden plötzlich null und nichtig waren? Sie sagen, Verjährung. Hat man so lange gewartet, bis man das sagen konnte, weil es konstruiert war? Das ist jedenfalls die These des UN-Sonderermittlers.
Sensburg: Jetzt stellen wir uns mal vor, in jedem anderen Fall würden zwei Frauen ganz konkret den Vorwurf der Vergewaltigung erheben, und wenn der potenzielle Täter sich so lange entzieht, bis Verjährung eingetreten ist, dann machen wir den Vorwurf den Frauen. Ich glaube, das ist wirklich nicht okay, egal ob es ein Julian Assange ist, oder ob es jemand anders ist. Die Verjährungen sind eingetreten, weil sich Assange so lange in der Botschaft aufgehalten hat und hinterher die Staatsanwaltschaft in Schweden gesagt hat, jetzt kommen wir kaum noch an Beweise heran, jetzt können wir nichts mehr machen. Deswegen ist endgültig das Verfahren eingestellt worden. Da, muss ich ganz ehrlich sagen, sehe ich Assange schon in der Verantwortung.
Müller: Den Frauen macht ja keiner einen Vorwurf. Meine Frage ist, kann das konstruiert sein, so wie die UN das jetzt behauptet?
Sensburg: Melzer sagt, die Frauen hätten das ganz anders gesagt. Sie haben schon konkrete Vorwürfe erhoben. Sie haben sich sogar als Fans von Julian Assange bezeichnet, haben dann aber hinterher gesagt, er hat Sachen gemacht ohne meine Einwilligung, die eine Frau während sie geschlafen hat. Und da gibt es Staatsanwaltschaften und Polizei für, so etwas zu überprüfen. Womöglich wäre das Verfahren eingestellt worden. Übrigens Assange war sogar bereit, in der ecuadorianischen Botschaft auszusagen. Die Botschaft hat das damals untersagt.
Müller: Sie schließen aus, dass Staatsanwälte und die Justiz opportun handeln?
Sensburg: Wenn Staatsanwaltschaften, Geheimdienste zusammenarbeiten, weil Staaten sich absprechen, dann hätten wir keinen Rechtsstaat, was ich in Schweden eindeutig sage. Und das kann ich nicht glauben, dass hier Beweise konstruiert werden, dass die unabhängige Justiz in eine Richtung gedrückt wird. Schweden hat eine unabhängige Justiz.
"Auch Amerika ist ein Rechtsstaat"
Müller: Okay. Gehen wir von Schweden mal weg in Richtung USA. Sie haben viel darüber erfahren und auch recherchiert. NSA-Untersuchungsausschuss, das war ein Stichwort von mir. Gezielte Tötungen war auch einmal Thema bei Ihnen, auch im Parlamentarischen Kontrollgremium. Was trauen Sie den Amerikanern in dem Punkt zu?
Sensburg: Auch Amerika ist ein Rechtsstaat, aber ich traue amerikanischen Geheimdiensten – dort sind es ja nicht nur Nachrichtendienste; die dürfen deutlich mehr – natürlich viel zu im verdeckten Bereich. Dass hier Julian Assange sich mit den amerikanischen Nachrichtendiensten angelegt hat durch seine Veröffentlichungen, das sehe ich ganz deutlich. Ich kann mir schon vorstellen, dass man da nicht auf der Seite von Julian Assange ist. Aber noch mal: …
Müller: Herr Sensburg! Entschuldigung, wenn ich hier unterbreche. Ich frage ja nicht, ob die amerikanischen Geheimdienste auf der Seite von Julian Assange sind. Ich glaube, das versteht sich von selbst, dass das nicht der Fall ist. Ich frage danach, ob die Amerikaner bereit sind, so viel Druck auf ihre Verbündeten - wen auch immer -auszuüben, dass diese da mitspielen, auch wenn es kriminell ist, auch wenn es illegal ist?
Sensburg: Ich sehe, dass Julian Assange Geheimnisverrat begangen hat. Das ist eine Straftat – übrigens nicht in Amerika nur. Das wäre auch bei uns eine Straftat. Deswegen existiert ein Haftbefehl.
Edward Snowden im Interview
2013 ging Edward Snowden mit geheimen Dokumenten an die Öffentlichkeit, die eine massenhafte Überwachung durch US-amerikanische Geheimdienste enthüllte. Im Dlf kritisierte er, dass es für Quellen investigativer Recherche immer schwieriger werde. Sein Leben im Exil zeige, welche Konsequenzen die Entscheidung mit sich bringe.
Müller: Über amerikanische Kriegsverbrechen hat er veröffentlicht.
Sensburg: Es bleibt eingestuftes Material. Es bleibt eine Straftat. Sonst muss man die Gesetze ändern. Das ist nun mal so.
Müller: Auch die Wahrheit kann strafbar sein?
Sensburg: Selbstverständlich kann die Wahrheit strafbar sein, wenn sie in eingestuften Dokumenten steht. Wenn Sie Geheimnisse veröffentlichen, die Sie nicht veröffentlichen dürfen, teilweise sogar selbst bis als Journalist, dann kann das ein Problem werden.
Müller: Das haben ja viele in der Geschichte schon gemacht. Sie haben Dokumente verschlossen in der Hoffnung, dass das nicht veröffentlicht wird. Viele waren dann hinterher aber froh, vielleicht sogar Millionen, dass diese Dokumente plötzlich zugänglich waren.
Sensburg: Es ist Sache desjenigen, der sie veröffentlicht, dass er einen Abwägungsprozess macht, gehe ich dieses Risiko ein, weil es mir so wichtig ist, weil die Öffentlichkeit so ein hohes Interesse hat. Deswegen gibt es ja auch mutige Journalisten, die darüber hinausgehen und sagen, nein, in meiner Abwägung, in meiner Entscheidung halte ich das für wichtiger. Deswegen gibt es ja auch so hohe Anerkennung für die Personen, weil sie mit viel Mut dieses Risiko eingegangen sind und dann hinterher die Menschen gesagt haben, Gott sei Dank. Sonst wäre es ja ein Alltag.
"Ich bin gar nicht angesprochen worden"
Müller: Jetzt gab es gestern noch zum Schluss diesen Aufruf von über 130 prominenten Politikern, Künstlern und so weiter, bitte eine angemessene Verteidigung für Julian Assange. Das war die Forderung, das war dieser Appell. Warum haben Sie sich nicht angeschlossen?
Sensburg: Ich bin gar nicht angesprochen worden. Günter Wallraff hat gesagt, er hat sich gewundert, dass Konservative das nicht unterschrieben haben. Er redet da von einer Absprache. Wir haben weder abgesprochen, noch sind wir angesprochen worden. Meine Telefonnummer ist bekannt. Ich hätte sicherlich mich für eine angemessene Verteidigung eingesetzt, aber nicht für die politische Beeinflussung eines Justizverfahrens.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.