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Der Fall Nikolai Markeewitsch

Auf der 139 Länder umfassenden Liste zur Situation der Pressefreiheit nimmt Weißrussland Platz 15 ein, gehört also zu den Nationen, die die Presse am meisten knebeln. Insgesamt drei Journalisten sind in Weißrussland in den vergangenen Jahren zur Verbannung verurteilt worden, unter ihnen Nikolai Markeewitsch, Chefredakteur der Zeitung "Pagoooonija". Er hatte kritische Artikel über den Präsidenten veröffentlicht, daraufhin wurde seine Zeitung geschlossen und er verurteilt. Markeewitsch musste statt zu schreiben als Holzfäller arbeiten. Doch weil man selbst im Straflager seine Verurteilung als ungerecht empfand, bekam er bald eine Schreibarbeit zugeteilt. Die Strafarbeit ist für Europas letzten Diktator Lukaschenko eine in mehrfacher Hinsicht lohnende Vollzugsform, die Verbannten müssen mit ihrer Arbeit ihre Unterkunft im Lager, die Arbeitskleidung und Verpflegung selbst zahlen, liegen dem weißrussischen Staat also nicht auf der Tasche.

Von Sabine Adler |
    Chimiki - so nannte man zu Sowjetzeiten Gefangene, die zur Strafarbeit in besonders schmutzigen Chemiebetrieben, in Atomkraftwerken oder im Uranbergbau schuften mussten. In Weißrussland gibt es diese Chimiki noch heute. Noch immer werden Menschen zu Strafarbeit verurteilt, auch aus politischen Gründen, wie zum Beispiel der 41jährige Chefredakteur Nikolai Markeewitsch, der 2001 zu zweieinhalb Jahre Verbannung verurteilt wurde, zu verbüßen in einem Ort 400 Kilometer von seiner Heimatstadt Grodno entfernt.

    Anlass für Verbannung: In einem der Artikel hatte unser Autor Pawel Maschjeka die rhetorische Frage gestellt, ob jemand Präsident werden kann, der seine politischen Ziele auch mit Auftragsmorden durchsetzt. Der Verdacht, dass Präsident Lukaschenko und der jetzige Generalstaatsanwalt Viktor Schejmann politische Gegner haben umbringen lassen, hat damals im Herbst 2001 überall im Land die Gemüter erhitzt.

    Es gab eine Reihe von Indizien dafür, dass im Auftrag des Präsidenten 30 Personen durch eine Todesschwadron umgebracht bzw. entführt worden sind, unter ihnen die Oppositionskandidaten Viktor Gontschar und Anatoli Krasowskij sowie der Kameramann Dmitri Sawadskij.
    Dass Pawel Maschejka darüber schrieb und Chefredakteur Markeewitsch den Artikel zuließ, brachte Maschejka anderthalb Verbannung ein, ein Jahr weniger als Markeewitsch erhielt. Man schickte sie Regionen, die als am schlimmsten von Tschernobyl verseucht gelten. Markeewitsch hätte trotzdem wieder so entschieden.

    Als Journalist habe ich nicht nur das Recht, sondern auch die dringende Pflicht, für die Gesellschaft entscheidende Fragen und Themen zu behandeln.

    Als die Leute anfangs hörten, wofür wir verurteilt wurden, haben sie nur gelacht. Aber dann wurden viele ganz still, denn ihnen wurde bewusst, was vor sich geht. Wenn jemand schon für so etwas verurteilt wird, was geschieht dann, wenn wir wirklich irgend etwas anstellen. Und darin bestand glaube ich der eigentliche Sinn, Lukaschenko will das Volk in die Knie zwingen und es zum Schweigen bringen.

    Markeewitsch, der sich nach der Verurteilung fragte, wie er nun seine fünfköpfige Familie und auch seine Redaktion durchbringen wollte, schlug eine Welle der Solidarität entgegen. Leser und Freunde spendeten, was sie entbehren konnten. Sie brachten ihm Hosen, Schinken, und Kartoffeln vorbei, halfen den Familien, so gut es ging.

    Wenn Lukaschenko gesehen hätte, wie viel Soldarität und Achtung mir von allen Seiten entgegen gebracht wurde, hätte er sich diese Maßnahme zweimal überlegt. Ich wurde derartig großzügig unterstützt, dass ich nie in meinem Leben finanziell so gut dastand wie währen der Zeit der Verbannung.

    Von 40 unabhängigen Zeitungen sind in währenden Lukaschenkos Amtszeit die Hälfte verboten worden. Dass man in der EU so wenig Kenntnis davon nimmt, enttäuscht den verbannten Chefredakteur.

    Prozesse, mit denen Journalisten mundtot gemacht werden sollen, senken die Messlatte nicht nur für die Pressefreiheit, sondern auch für die Freiheit insgesamt nicht nur in Weißrussland sondern in ganz Europa.

    Heute geht bei uns eine Auslese in umgekehrter Richtung vor sich. Nicht die besten, sondern die schlechtesten Journalisten setzen sich durch. Der Journalismus in Weißrussland hat nur noch eine Rolle als ausführender Diener inne, ist vergleichbar mit dem Beleuchter im Theater.

    Je mehr unabhängige Medien in Weißrussland geschlossen werden, desto dringender würden unabhängige Informationsquellen von außen gebraucht. Doch weder gäbe es bei Auslandssendern wie der Deutschen Welle, Radio Liberty oder der BBC einen weißrussischen Dienst, noch kommt sein Land überhaupt regelmäßig als Thema vor, bedauert Nikolai Markeewitsch.

    Wenn man auf der Deutschen Welle vielleicht einen oder zwei Berichte pro Monat aus Weißrussland hört, so findet man in der BBC überhaupt nichts. Polen hat aus finanziellen Gründen sämtliche Weißrusslandkorrespondenten abgezogen. Man liefert uns diesem Monster eins zu eins aus und nicht nur er, Lukaschenko isoliert das Land, auch unsere Nachbarn ziehen sich immer mehr zurück.

    Am 10. März hat Markeewitsch seine Strafe abgebüßt. Aus der Verbannung durfte er unter strengen Auflagen bereits früher zurückkehren. Unter Hochdruck arbeitet er jetzt daran, dass die Zeitung nicht mehr nur als Internetausgabe sondern auch bald wieder als gedrucktes Exemplar erscheint. Herstellen lassen wird er sie in der russischen Stadt Smolensk, denn in Weißrussland ist keine Druckerei dazu bereit.

    Früher oder später haben sich oder wurden viele Nationen von ihren Diktatoren befreit. Für Weißrussland habe ich die Hoffnung nicht aufgegeben. Sie könnte sich allerdings sehr viel schneller efüllen, wenn unsere Nachbarn nicht so gleichgültig wären. Leider hat Die Euorpäische Union, die bald unser direkter Nachbar wird, für Weißrussland keinen Marschallplan.

    Mit dem Urteil wurde die erfolgreiche Zeitung, die immerhin eine Auflage von 10 000 Exemplaren hatte, vernichtet. Damit raubte er meinen Mitarbeitern und meiner Familie die Existenzgrundlage, unseren sozialen Status, alles. In der ersten Woche nach der Verurteilung hatte ich das Gefühl, als hätte uns ein schwerere Wohnungsbrand heimgesucht. Wir wussten nicht , wovon wir leben sollten.

    Wir hatten einen Vertrag mit einer Druckerei in Minsk, wir hatten im voraus bezahlt, doch plötzlich hieß es, die Druckmaschinen seien kaputt und deshalb könnten sie niemals mehr mit uns zusammenarbeiten.