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Der Futtermittelskandal in Thüringen

    Engels: Bekannt war der jüngste Lebensmittelskandal schon seit zwei Wochen. Doch das gesamte Ausmaß trat erst gestern zu Tage. Aus einem Thüringer Futtermittelwerk sind mehr als 2.000 Tonnen Dioxin-belastetes Futtermittel ausgeliefert worden. Betroffen sind bislang Betriebe in neun Bundesländern und in den Niederlanden. Die Behörden können nicht ausschließen, dass Dioxin-belastetes Fleisch in den Handel gekommen ist. Landwirtschaftsministerin Renate Künast griff gestern das Agrarministerium in Thüringen scharf an. Das Land habe zu spät Alarm geschlagen. Am Telefon ist nun Stefan Baldus. Er ist Staatssekretär im Thüringischen Landwirtschaftsministerium und gehört der CDU an. Guten Morgen, Herr Baldus!

    Baldus: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Herr Baldus, was ist denn bei Ihnen schief gelaufen?

    Baldus: Ich denke, dass der Freistaat Thüringen von der ersten Kenntnisnahme am 7. Februar bis zur endgültigen Feststellung, dass insgesamt 1188 Tonnen belasteter Backwaren und rund 950 Tonnen gering belastete Rückschnitte in den Handel gelangt sind, gut reagiert hat. Es ist nur eine Woche vergangen. Das ist ein Zeitraum, der bei der Komplexität und der Vielzahl der Empfänger aus unserer Sicht als sehr gut betrachtet wird. Es musste auch erst mal erkannt werden, dass es sich bei dem Dioxin-Problem um ein größeres Ausmaß handelt, dass wir mit 250 Tonnen belastetes Futtermittel rechnen müssen und mehr als ein Betrieb beliefert wurde.

    Engels: Nun lautet ja der Vorwurf, dass erste Erkenntnisse über die Belastung bereits am 15. Januar vorgelegen hätten und außerdem die Proben nicht schnell genug untersucht worden seien.

    Baldus: Am 15. Januar gab es einen eng begrenzten Dioxin-Fall mit einem Umfang von 20 Tonnen und einem einzigen Empfänger, der diese Futtermittel erhalten hat. Dies hatten die Ermittlungsergebnisse bis zu diesem Tag aufgeklärt. Dass sich der Fall dann später über eine größere Menge ausgedehnt hat, liegt ausschließlich daran, dass der Futtermittelproduzent die Menge der belasteten Mittel völlig falsch zugeordnet hat und auch nicht gerade intensiv an der Aufklärung des Falles mitgewirkt hat.

    Engels: Aber es war auch die Rede aus Ihrem Ministerium, dass da ein Vermerk etwas zu lange auf einem Tisch liegen geblieben sei.

    Baldus: Dieses ist zweifellos richtig, aber nicht ursächlich für die Dauer der Aufklärung insgesamt. Es handelt sich hier um einen Zeitverzug von drei Tagen. Der ist aufgrund einer Panne geschehen und auch nicht zu entschuldigen. Er hat aber in Bezug auf die gesamte Bedeutung des Falles eigentlich keine Rolle gespielt. Die Vorwürfe von Frau Künast deuten aus unserer Sicht eher darauf hin, dass es Kommunikationsprobleme im Bundeslandwirtschaftsministerium gibt und dass Frau Künast sich vor ihrer öffentlichen Äußerung nicht sachkundig gemacht hat.

    Engels: Nun wirft Ihnen Frau Künast ja umgekehrt vor, Thüringen habe die Regeln des Schnellwarnsystems nicht befolgt. Geben Sie diesen Vorwurf jetzt zurück?

    Baldus: Das Schnellwarnsystem sieht vor, dass bei einer Verbrauchergefährdung auch unabhängig davon, in welchem Umfang schon Erkenntnisse vorliegen, eine erste Warnung abgegeben wird. Dieses hat Thüringen getan, als erste Anzeichen dafür vorlagen, dass mehr als ein Mastbetrieb mit vergiftetem Futtermittel beliefert worden ist. Dieses war am 7. Februar der Fall. In der Woche zwischen dem 7. und dem 14. Februar hat es dann mehrere Folgemeldungen gegeben, die den jeweiligen Erkenntnisstand ausgedrückt haben. Am vorgestrigen Abend kam dann der erste Analysewert für die Belastung von Rückschnitten. Wir haben innerhalb weniger Stunden auch diesen Wert in das Schnellwarnsystem gestellt. Es sind auf der Ebene der EU Irritationen aufgetaucht, weil die Bundesregierung eine Produktwarnung, die unser Ministerium am Freitag letzter Woche ausgesprochen hat, fehlinterpretiert und mit einer Schnellwarnung verwechselt hat.

    Engels: Haben Sie denn grundsätzliche Kritik an diesem System oder wieso passiert es denn immer wieder, dass es doch dauert, bis wirklich die Öffentlichkeit und vor allen Dingen die betroffenen belieferten Betriebe informiert werden, wenn ein solcher Fall bekannt wird?

    Baldus: Die betroffenen und belieferten Betriebe sind unverzüglich informiert worden, und zwar parallel zum Schnellwarnsystem und teilweise über die Medien noch davor. Hier lag ja auch ein Kritikpunkt aus Berlin vor. Hier wurde ausgeführt, dass die Medien teilweise schneller waren als das Schnellwarnsystem, aber der Informationsgehalt ist natürlich unterschiedlich. Wir haben größten Wert darauf gelegt, die Empfänger von potentiell belastetem Futtermittel vorrangig zu informieren. Wir haben dann parallel dazu Ermittlungen angestellt, die es auch ermöglicht haben, das Schnellwarnsystem mit den entsprechenden belastbaren Daten auszustatten.

    Engels: Aber trotzdem ist das Ganze schnell in die Breite gegangen. Bereits über 200 Betriebe in Deutschland und den Niederlanden sind infolge des Skandals gesperrt. Millionenschäden sind zu erwarten. Wer haftet denn dafür?

    Baldus: Es ist zunächst einmal so, dass der Erzeuger zu haften hat. Das entspricht ja auch den anderen Verfahren, was alle anderen Waren- und Dienstleistungen angeht. Dieses muss auch grundsätzlich beibehalten werden, damit wir die Erzeuger nicht aus ihrer Verantwortung herausnehmen. Die Frage des Überwachungssystems haben wir gestern im Bundestagsausschuss diskutiert. Bundes- und Landesregierung stimmen darin überein, dass das vorliegende System grundsätzlich gut funktionsfähig ist, aber von Menschen mit kriminellen Energien natürlich auch an der einen oder anderen Stelle unterlaufen werden kann. Es ist das Verdienst der Thüringischen Überwachungsbehörden, dass sie diesen Fall so schnell entdeckt und dann auch bis zu Ende aufgeklärt haben. Ich kann heute sagen, dass aus diesem Betrieb definitiv kein belastetes Futtermittel mehr ausgeht und dass die jetzt genannten Mengen die endgültigen Mengen sind.

    Engels: Das heißt, keine zusätzlichen Bedrohungen mehr für den Verbraucher?

    Baldus: Für den Verbraucher hat nie eine Bedrohung vorgelegen. Unsere ersten Schnelltests und unsere Gefährdungsabschätzung haben ergeben, dass ein Mensch, der beispielsweise 150 Bratwürste ist, die aus dem am stärksten kontaminierten Schwein hergestellt worden sind, mit dem Verzehr seine Jahresaufnahme von Dioxin um gerade einmal 0,5 Prozent erhöhen kann. Dies ist eine vernachlässigbare Größe.

    Engels: Vielen Dank, Herr Baldus!

    Link: Interview als RealAudio