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"Der gefährlichste Fleck auf der Welt"

Bislang sind 40 Menschen im Iran umgekommen, berichtet Mohammed Schams, gebürtiger Teheraner und Menschenrechtsaktivist. Der in Deutschland lebende Iraner beobachtet die Proteste in seinem Heimatland über das Internet - und hält diese Informationen für "sehr zuverlässig".

Mohammed Schams im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gestern hat das Regime in Teheran die ohnehin schon eingeschränkten Möglichkeiten für Journalisten weiter beschnitten. Reporter dürfen nur noch aus Büros berichten, dürfen keine Augenzeugenberichte vom Ort des Geschehens senden, dürfen nur noch Interviews per Telefon führen. Außerdem sollen die zur Wahl akkreditierten ausländischen Journalisten keine Visa-Verlängerung bekommen. Hinzu kommt, wie unser Korrespondent vor einer halben Stunde berichtet hat, dass das Mobilfunknetz heruntergefahren wird, gestern etwa für sechs Stunden. Wie wirksam ist solcherlei Zensur? - Am Telefon ist Mohammed Schams, gebürtiger Teheraner, Menschenrechtsaktivist, seit vielen Jahren in Deutschland lebend, Übersetzer und Autor. Guten Morgen, Herr Schams.

    Mohammed Schams: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Sie beobachten die politische Entwicklung im Iran sehr genau, Sie nutzen dazu vor allem das Internet. Was findet sich denn da heute Morgen an aktuellen Berichten?

    Schams: An aktuellen Berichten lesen wir über die Demonstrationen in verschiedenen Städten, über die Übergriffe der paramilitärischen Organe des Regimes, wo die Universitäten in Schiras, in Isfahan, in Bandar Abbas - das ist im Süden Irans - überfallen worden sind. Viele Studenten sind verletzt worden. In Buschar sind einige Tote gemeldet worden. Im großen und ganzen ist es eine Welle von Demonstrationen in fast allen Großstädten Irans.

    Spengler: Herr Schams, wie zuverlässig sind solche Informationen?

    Schams: Sehr zuverlässig, weil diese Informationen sind alle mit Fotos und Bildern zusammen. Das heißt, wir haben es im Moment mit einer Cyber-Generation zu tun, ganz im Gegenteil zu den früheren Demonstrationen zu der Schah-Zeit oder auch in den anderen Ländern, wo meistens über die Presseagenturen die Nachrichten verbreitet wurden. Hier hat jeder heutzutage ein Mobiltelefon bei sich und die filmen das ganze und setzen das sofort ins Internet. Sie brauchen nur einfach ein Stichwort in YouTube einzugeben oder in Facebook, oder mittlerweile ist auch Twitter dazu genommen worden, dann finden Sie Hunderte von Filmen, authentische Filme. Zum Beispiel bei einer Schießerei in Teheran, wo auch die englische Nachrichtenagentur der BBC den Film gezeigt hat, hat man zeitgleich hunderte Filme von anderen Menschen, die zeitgleich diesen Film von der Erschießung eines Demonstranten im Internet bei YouTube haben.

    Spengler: Herr Schams, nun versucht das Regime ja nicht nur Zeitungs-, Radio- und Fernsehzensur, sondern es versucht auch die Sperrung von Internetseiten, von oppositionellen Internetseiten. Wie erfolgreich ist das? Kann man das Internet einfach ausschalten?

    Schams: Jein. Man kann es: Es ist seit fünf Jahren einfach ein Katz und Maus-Spiel zwischen dem Regime und den Bloggern. Seitdem man diese Möglichkeit entdeckt hat, ist der Iran - Sie wissen es bestimmt - nach China und den USA der größte Nutzer dieses Portals, dieser Möglichkeit, und es sind mehr als drei Millionen Blogs, diese Websites, wo die jungen Leute sich hinsetzen und ihre Tagebücher oder politischen Meinungen äußern. Das hat damit zu tun, dass man im Iran in den Jahren 2004 bis 2006 Hunderte von Zeitungen verboten hatte. Daraufhin haben die jungen Leute diese Möglichkeit entdeckt und damit fangen sie an.
    Was das Regime macht ist, dass sie versuchen, permanent diese Seiten zu sperren. Das machen die zum Teil erfolgreich. Aber zeitgleich sind die jungen Menschen auch sehr erfinderisch. Sie finden Filterbrecher et cetera pp. und damit versuchen sie, neue Blogs einzurichten.

    Spengler: Heißt das denn eigentlich, wenn Sie von den jungen Leuten sprechen, dass das Internet nur von eine bestimmte Schicht im Iran genutzt wird, also von jungen, von städtischen, von gut ausgebildeten Menschen?

    Schams: So ist es, aber gehen Sie davon aus, der Iran ist demografisch gesehen ein extrem junges Land, wenn nicht das jüngste Land der Welt, mit über 40 Millionen Menschen unter 35 Jahren. Von daher kann man sagen, das ist flächendeckend. Es ist nicht nur so, dass nur die Städter davon Gebrauch machen, sondern bei 21 Millionen Internetzugängen, die man dort hat, nimmt das permanent zu. Da kann man sagen, es sind schwerpunktmäßig natürlich die Großstädte, aber selbst in den entlegensten Dörfern hat man diese Möglichkeit.

    Spengler: Und man lebt als Blogger gefährlich. Die "Reporter ohne Grenzen" schreiben, Iran ist eines der weltweit skrupellosesten Regime gegenüber Journalisten und Bloggern.

    Schams: Ja, natürlich das gefährlichste Feld, der gefährlichste Fleck auf der Welt, weil das Regime versucht, die Leute ausfindig zu machen, und man hat bis jetzt sehr, sehr viele Blogger festgenommen oder unter Folter umgebracht. Das jüngste Beispiel war ja vor ein paar Wochen, wo man wieder einen umgebracht hat. Das ist natürlich so, aber das ist wie gesagt bei den Demos, die wir jetzt erleben, kein Hindernis bei den jungen Menschen.

    Spengler: Herr Schams, ganz kurz zum Schluss. Sieben Tote landesweit berichten die Medien offiziell. Was sagt das Internet?

    Schams: Das Internet sagt und spricht von mehr als 40.

    Spengler: Das war Mohammed Schams, gebürtiger Teheraner, Menschenrechtsaktivist, seit vielen Jahren in Deutschland lebend. Herr Schams, danke für das Gespräch.

    Schams: Ich habe zu danken und vielen Dank an Ihre Hörer.