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"Der goldene Handschuh" im Kino
"Das ist ein Serienmörder - trotzdem mag ich ihn"

Für die Verfilmung von „Der goldene Handschuh“ bekam Regisseur Fatih Akin viele negative Kritiken. Seine Horrorgeschichte über den Mörder Fritz Honka solle mit einer realistischen Darstellung Angst machen, sagte Akin im Dlf. "Er war ein Monster, aber ein Mensch", so Honka-Darsteller Jonas Dassler.

Fatih Akin und Jonas Dassler im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 19.02.2019
    Regisseur Fatih Akin und Schauspieler Jonas Dassler beim Photocall des Films "Der goldene Handschuh". Der Film läuft bei den Internationalen Filmfestspielen in der Kategorie "Wettbewerb".
    Regisseur Fatih Akin (l.) und Schauspieler Jonas Dassler bei der Präsentation des Films "Der goldene Handschuh" bei der diesjährigen Berlinale (dpa / Christoph Soeder)
    Sigrid Fischer: Fatih Akin, Sie haben ja schon so Ihre eigene Version vom "Goldenen Handschuh" gedreht. Aber das Buch von Heinz Strunk war der Auslöser, was hat Ihnen denn daran gefallen?
    Fatih Akin: Es hat mich erstmal an Charles Bukowski erinnert. Denn ich wollte Bukowski immer verfilmen, seitdem ich den als Teenager gelesen hab. Und irgendwann war das zu weit weg, in Los Angeles, auf Englisch. Ich fand Bukowski eigentlich nie radikal verfilmt. Bukowskis Texte, die Episoden, da geht’s ja auch oft um Mord und Totschlag und Sex und Gewalt, das war nie in der Radikalität verfilmt, wie es in der Literatur war. Als ich dann Honkas Buch gelesen hab, dachte ich: Hey, das erinnert mich an Bukowski, und wenn ich es mache, wie ich es machen würde, dann kann ich es in seiner Radikalität machen. Und das hat mich auch herausgefordert: Kann ich das in dieser Radikalität, wie sieht das aus, trau ich mir das zu?
    Fischer: Zu seinen Figuren muss man als Regisseur wahrscheinlich immer eine Haltung finden, in diesem Fall besonders, und hier war das vermutlich besonders schwer. Wie ist Ihre Haltung zu dem Frauenmörder Fritz Honka?
    "Er ist ein brutales Monster, aber ich mag ihn"
    Akin: Also ich mag den, sowohl im Buch als auch und Film, ich habe mich aber trotzdem bemüht, nicht mit Tricks zu arbeiten, um den empathischer zu machen, das würde ich moralisch nicht richtig finden. Das ist ein Serienmörder, das ist ein Frauenmörder, ein brutales Monster. Ich muss nicht erzählen, dass der als Kind vergewaltigt wurde, Mitleid oder irgendwas zu schaffen, dass der dem Zuschauer näher ist, aber trotzdem mag ich ihn. Ich kann es nicht genau erklären, aber gestern Abend in dem Screening und auch in dem Testscreening vorher beim Schnitt, der Moment, wo die Denningsen, Katja Studt, ihm den Drink anbietet, "willst Du nichts trinken?" ... Da ist das Close-up auf ihm, ich spoile das jetzt, wie die Szene halt ausgeht, das hat mich doch berührt, und das berührt auch Zuschauer, weil die Leute sind mucksmäuschenstill, und Du spürst so ein Stöhnen, "au, Mann".
    Fischer: Der Stoff berührt ja auch deshalb, weil es ein Stück Zeitgeschichte ist. Das sind ja nicht nur ein paar urige Typen da in der Kneipe, das sind die Ausgespuckten der Gesellschaft, die Verlierer des Wirtschaftswunders. Eine Frau war zum Beispiel im KZ. Die Deutschen werden ja immer dafür gelobt, dass sie die Kriegs- und die NS-Zeit ganz gut aufgearbeitet haben. Aber hier ist das nicht gelungen.
    Alkohol als wesentliches Element
    Akin: Also die Kriegsaufarbeitung fing ja erstmal mit einer kulturellen Elite an - Studenten, Journalisten -, ich glaube, das bewegte sich lange ... ich weiß nicht genau, ich bin kein Fachmann, aber was man so sagt - bis zu "Holocaust", bis zur Serie, bis das die breite Gesellschaft erreicht hat, blieb das, glaube ich, in kulturellen Eliten. Das ist halt so ein fatales Ding, wenn intellektuelle, aufgeschlossene Leute, die durch ihre Bildung oder was auch immer, die wissen ja vieles schon, die haben ja zu jeder Zeit einen anderen Zugang zu Informationen. Und das Proletariat in den Kneipen und den Fabriken, die sind anders damit umgegangen, die haben sich halt auch eben, ich glaube, viel besoffen. Alkohol in dem Film, das ist nicht einfach nur ein Requisit: Ich glaube, das ist ein ganz wesentliches Element. Das wird so gern übersehen, weil das so normal ist: Oh, was säuft der jetzt schon wieder! Aber diese Mengen wurden gesoffen. Wie der Völkermord an den Indianern. Man soll das nicht miteinander vergleichen, aber es ist ähnlich, man betäubt seinen Schmerz mit Alkohol, man vergiftet sich, bis die Birne nicht mehr funktioniert. Dementsprechend auch die Schlager, die Schlager sind ja ein Soundtrack davon, weil die eben was Tröstendes haben. Diese Sehnsucht, von der da gesungen wird, nach einer besseren Welt, das ist ja immer der Trost, diese Kriegswunden zu kitten. Und ich sage nicht, dass Honka das getan hat wegen den Kriegswunden oder so was, aber das bot sich an, diesen Teil der Gesellschaft mit zu portraitieren.
    Das Filmplakat "Der Goldene Handschuh" auf der Straße vor dem Berliner Filmpalast zeigt den Schauspieler Jonas Dassler als Fritz Honka.
    Werbeplakat für "Der Goldene Handschuh" bei der diesjährigen Berlinale: Das Bild zeigt Jonas Dassler in der Rolle von Fritz Honka (Deutschlandradio / Maja Ellmenreich)
    Fischer: Wenn ich es aber richtig verstehe, wollten Sie trotzdem auf gar keinen Fall ein Sozialdrama drehen, sondern einen Horrorfilm.
    Akin: Ja, also, vielleicht ist es ja trotzdem ein Sozialdrama, aber ich muss den Film ja auch verkaufen, und ich find’s irgendwie doch in meiner Eitelkeit sexyer, das als Horrorfilm zu verkaufen, als ein Sozialdrama. Ja klar, sowas machen die deutschen Arthausfilmer, machen Sozialdramen. Noch eins. Dann lieber Horrorfilme.
    Fischer: Horror ist Genre, im Fall Fritz Honka haben wir es aber mit der Realität zu tun. Auch die Gewaltszenen sind etwa so passiert. Wie wollten Sie das beides zusammen bringen?
    Akin: Also, uns hat schon gereizt, mit dem Publikum zu arbeiten, in der Gewaltdarstellung. Ich gucke ja auch viel Horror, ich gucke ja auch "Walking Dead" und so Kram. Das ist ja nur so eine Splatter-Orgie, das erschreckt einen nicht mehr. Ab wann ist ein Horrorfilm ein Horrorfilm? Ich glaube, ab dem Moment, wo er Angst machen soll, wo er Dich schon verstören soll - bewusst -, das ist auch die Absicht dieses Films. Da haben viele keinen Bock d'rauf, aber so ist das nun mal. Viele haben auch Bock d'rauf, weil es ein bewährtes Genre ist. Wie kann ich Angst darstellen? Angst habe ich, wenn ich das glaube, was ich sehe. Wenn es realistisch dargestellt wird. Die Gewalt sollte wahrhaftig sein.
    Fischer: Die Gewalt verschreckt die Leute doch wahrscheinlich, weil das alles so passiert ist mehr oder weniger. So geht der Zuschauer ja auch in den Film, und das ist der Unterschied zum Horrorfilm. Dazu gehören auch oft Entspannungs- und Lachmomente, die finden sich auch in "Der goldene Handschuh", vor allem in den Kneipenszenen. Wie findet man da die richtige Balance zwischen leicht und schwer?
    "Heintje war besser als Helene Fischer"
    Akin: Sowohl im Schnitt, als auch in Drehbuchfassungen, beim Inszenieren. Also da schreibe ich eine Fassung, und er bringt jemanden um, und es läuft Roberto Blanco "Ein bißchen Spaß muss sein". Nach zwei oder drei Drehbuchfassungen dachte ich: Das geht nicht, das ist falsch. Aber die Versuchung, so Kram zu machen, weil Studio Braun und Strunk und so ... Man muss immer das Buch von Strunk von Studio Braun trennen. Strunk ist da ein ganz großer Wurf gelungen, aber das Abrutschen in eine Lachnummer, weil es auch mit Humor arbeitet, das Buch, das ist recht nah, da muss man auf der Hut sein.
    Fischer: Über den Soundtrack – Freddie Quinn, Adamo, Heintje, Christian Anders – da kann man auch eher drüber lachen, oder wie ging Ihnen das da?
    Akin: Das ist erschreckend, wie schnell diese Dinger zu Ohrwürmern werden. Und wenn Du an einem Film schneidest, Du hörst dann zehn Stunden Adamo, das hast Du dann für den Rest der Woche im Kopf, das ist wie Folter. Das war denn mit jedem Song so. Aber irgendwann habe ich die Sachen auch schätzen gelernt. Früher war alles besser. Wenn ich die Schlager von heute, Helene Fischer, mit Heintje vergleiche, dann fand ich doch Heintje die anspruchsvollere Musik.
    Der Regisseur Fatih Akin (.) und Schauspieler Jonas Dassler auf dem roten Teppich der 69. Berlinale
    Der Regisseur Fatih Akin (.) und Schauspieler Jonas Dassler auf dem roten Teppich der 69. Berlinale (picture alliance/dpa/AA)
    Fischer: Jonas Dassler, Sie tragen als Fritz Honka eine sehr auffällige Maske - meist ist die äußere Ähnlichkeit weniger wichtig als die innere. Was hat Ihnen die Maske gebracht beim Spielen?
    Jonas Dassler: Ich weiß noch, nach dem ersten Maskentest, als ich zum ersten Mal mit dem Auge so da stand und gesehen habe, wie Leute auf mich reagieren. Leute haben aufgehört, mir in die Augen zu gucken. Leute haben angefangen, sich anders zu verhalten mir gegenüber. Weil diese Maske da war. Und da habe ich begriffen, dass das ein essentieller Teil dieser Figur ist. Ein Mensch, der allein durch sein Äußeres nicht Teil einer gewissen Gesellschaft ist, selbst in der untersten Klasse, zu der er gehört, ist er eine Art Alien, mit dem keiner interagieren will. Das macht natürlich was. Also das ist wiederum, wo das Äußere das Innere absolut beeinflusst.
    Bewältigung der eigenen Geschichte
    Fischer: Nicht nur der Regisseur, auch der Schauspieler muss eine Haltung zur Figur entwickeln, wie haben Sie die gefunden?
    Dassler: Ich bin nach Hamburg gefahren, bin über die Reeperbahn gelaufen, habe die Sensoren aufgemacht. Auf einmal waren in Hamburg 10.000 Leute, die zu mir kamen: "Ich kenn' den, der hat bei mir in der Nachbarschaft gewohnt, der ist soundso gegangen, der hat soundso gesprochen, ich hab' dem die Haare geschnitten. Weißt Du, was der immer gemacht hat?" Irgendwann war ich – das kann ich nicht mehr. Und außerdem kann ich diese reale Figur Honka nicht fassen. Und dann habe ich drüber nachgedacht, ich muss meine Interpretation von diesem Menschen finden. Ab dem Punkt war für mich der Rahmen wichtig, dass Fatih gesagt hat: "Wir wollen den als Monster zeigen, ich versuch' das im Rahmen eines Horrorfilms zu machen." Aber ich für meine Figuren natürlich eine Liebe haben muss. Und dann habe ich gemerkt: Hey, das war ein Monster, aber das war ein Mensch. Er gehörte zum traurigen Rest, der nicht mehr dazu gehörte, der abgehängt wurde, aber trotzdem den Geltungsdrang hatte zu sagen: "Ich bin nicht irgendwer, ich bin jemand, und ich hab' den unbedingten Willen, ein normales Leben zu führen." Und eine Bewältigung mit der eigenen Geschichte, mit der eigenen Biografie - der Krieg, die zersplitterte Familie, die Kindheit -, das wird alles im Film nicht gezeigt, aber das ist Teil dessen.
    Gewaltszenen als Choreografie
    Fischer: Das wird nicht gezeigt, sagen Sie zurecht. Hätten Sie das aber denn nicht gerne gespielt?
    Dassler: Nee, ich mochte die Vorstellung, dass das eine Art Portrait ist, und dass ich das mit in die Figur nehme. Dass diese Biografie Teil des Körpers ist, das war für mich spannender, dass man das in der realen Situation sieht, wie jemand mit seinem Körper umgeht.
    Fischer: Wie sind die Gewaltszenen mit Ihren Kolleginnen entstanden? In einer Szene würgen Sie ihr Opfer ziemlich lange. Probt man das erstmal eine Weile oder geht man gleich in medias res?
    Dassler: Letztendlich, wenn man so Gewaltszenen dreht, ist das eine Choreografie. Das ist eine Art Tanz, den Du auswendig lernst - zusammen. Das macht zusammen dann letztendlich auch Spaß, weil Du dich komplett aufeinander einlässt. Die Choreografie muss verinnerlicht werden, wenn Du das drin hast zusammen im Körper und Dich dann dem Spiel hingeben kannst, dann ist das eine wunderbare Erfahrung. Und ich habw nochmal richtig verstanden, was es heißt, Verantwortung für Deine Mitspieler zu haben. Trotz aller Verrücktheit und allem, was wir da gedreht haben, geht’s immer darum, dass sich am Ende des Tages alle wohl fühlen. Und das war absolut höchste Priorität.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.