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"Der größte Ölscheich der Bundesrepublik Deutschland ist der Finanzminister"

Rainer Brüderle, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der FDP, hat den Wirtschaftskurs der Bundesregierung scharf kritisiert. Durch höhere Preise sei der Bürger zum Sparen gezwungen, was sich negativ auf den Konsum auswirke. Die Einsparungsvorschläge der Liberalen auf der Staatsseite habe man hingegen beiseite geschoben. Der Staat betreibe Abzocke. Das falle besonders beim Benzinpreis auf, der sich zu 60 Prozent aus Steuern und Abgaben zusammensetze, kritisierte Brüderle.

Rainer Brüderle im Gespräch mit Dirk Müller |
    Müller: Die Zahlen, die Prognosen bleiben alarmierend. Zwei Gründe nennt die Europäische Kommission: die internationale Finanzkrise und der Ölpreis-Schock. Gründe für die drohende Rezession. Was heißt da noch drohend? Sie ist für viele schon längst da, auch in Deutschland. Das Konjunktur-Barometer zeigt weiter nach unten, keine Besserung in Sicht. Da wird wohl auch die zwischenzeitliche Entspannung bei den Ölpreisen nicht wesentlich weiterhelfen. Was kann, was soll die Politik dagegen tun? Wie kann sie den Abschwung zumindest eindämmen, vielleicht sogar in eine andere Richtung verkehren? - Darüber sprechen wollen wir nun mit dem FDP-Fraktions- und -Parteivize Rainer Brüderle. Guten Morgen!

    Brüderle: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Brüderle, ist die Politik so etwas wie ratlos?

    Brüderle: Sie ist überhaupt nicht ratlos. Sie hat nur die Fakten in Deutschland nicht zur Kenntnis genommen und hat in den letzten Jahren eine falsche Politik betrieben. Wir haben immer davor gewarnt, dass diese Hochsteuerpolitik in Deutschland gefährlich ist, weil sie Nettoeinkommen gesenkt hat, und haben immer davor gewarnt, dass es gefährlich ist, den Reformprozess, der ja gewirkt hat, etwa in den Hartz-Reformen, jedenfalls in weiten Teilen, zurückzudrehen, so zu tun als ob wir draußen in der Welt nicht dramatische nachhaltige Veränderungen haben. Und jetzt kommen wir in der Tat in eine Situation hinein, wo auch letzte Woche der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Professor Walter, sagt, die Rezession sei unvermeidbar. Und das hat ja auch Logik, wenn in Großbritannien, in Spanien eine Rezession ist, die Immobilienblase geplatzt ist, in Skandinavien, Italien ähnlich, Frankreich dümpelt runter und in Amerika ist die Entwicklung schwer überschaubar. Die Finanzmarktkrise ist noch lange nicht zu Ende. Sie haben es gesehen: Die zwei größten Hypothekenbanken in Amerika werden faktisch verstaatlicht.

    Vor diesem Hintergrund nichts zu tun in Deutschland, ist fahrlässig, ist grob fahrlässig, und die Regierung tut nichts. Und sie wird sich wundern. Im nächsten Jahr werden wir in eine ganz schwierige Situation kommen und das, was in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren an Arbeitsplatzaufbau erfolgt ist, ist sehr gefährdet. Es sind ja immer nachhaltige Effekte erst nach sechs, zwölf Monaten, wenn sich ein Trend am Arbeitsmarkt verändert hat, feststellbar. Die Nicht-Handlungswilligkeit der Regierung ist unverantwortlich angesichts dieser Situation, die ganz offensichtlich ist.

    Müller: Herr Brüderle, wir wollen das vielleicht parteipolitisch nicht zu sehr ausweiten. Dennoch einmal die Frage: Wenn ich Sie richtig verstanden habe oder wenn ich Sie so verstanden haben will, dann sind Weichen gelegt worden vielleicht unter rot/grün, die richtig waren, und unter CDU-Führung wieder korrigiert worden?

    Brüderle: Ja, natürlich am Arbeitsmarkt. Denken Sie an Arbeitslosengeld I, diese Hartz-Reformen, wo man den Bezug jetzt wieder verlängert hat. Wir haben es wirklich geschafft, bei den älteren Arbeitnehmern von mehr als 55 Jahren - und die sind wirklich besonders hart betroffen -, dass die Beschäftigungsquote dank der Hartz-Reform von 38 Prozent auf 54 Prozent hochgegangen ist. Das ist ein großer Erfolg. Und in dem Moment, wo man den Erfolg hat, verändert man wieder die Bedingungen, verlängert die Bezugsdauer und hat damit die Anreize, auch in reguläre Arbeit hineinzugehen, vermindert. Auf solche Ideen muss man kommen!

    Müller: Demnach, Herr Brüderle, bräuchte die FDP die Hartz-IV-Reformer Müntefering und Steinmeier?

    Brüderle: Nein. Das ist ein bisschen zu flach. Die Hartz-Reformen haben in Teilen gewirkt. Sie waren richtig. Das muss man anerkennen, auch wenn eine andere Regierung dabei war. Was jetzt diese Machtintrigen in der SPD und das Herauskegeln von Kurt Beck und den Stil, wie man es gemacht hat, betrifft, da wird sich noch weisen, ob das dazu führt, dass die SPD handlungsfähiger wird, ob sie nach vorne kommt. Ich kann der SPD das nur wünschen. Keiner hat ein Interesse an einer schwachen Sozialdemokratie, die nicht handlungsfähig ist. Aber die Aufgabe haben die beiden erst noch zu bewältigen. Vorauslob gibt es nicht.

    Müller: Zum jetzigen Zeitpunkt würden Sie also nach wie vor sagen, die Mehrwertsteuererhöhungspartei CDU ist der Traumpartner?

    Brüderle: Auch das ist mir zu einfach. Beide haben ja gemeinsam die Mehrwertsteuer erhöht. Die CDU hat die alleinige Mehrheit dafür nicht gehabt. Aber es war verkehrt. Wir haben noch nie so hohe Steuereinnahmen gehabt wie heute. Die Nettoeinkommen in der Breite der mittleren und unteren Einkommensschichten sind klar gesunken. Zwei Drittel der Nachfrageseite des Sozialprodukts von der Entstehung her ist der private Konsum. Der kommt nicht hoch. Er kann auch nicht hoch kommen, weil die Menschen weniger Geld im Portemonnaie haben - dank der Steuererhöhungen, dank der Benzinpreiserhöhungen, dank der Energiepreiserhöhungen, dank der Lebensmittelpreiserhöhungen. Deshalb können wir das, was wir aus eigener Kraft jetzt tun könnten, die drohende Rezession abzuwenden oder abzuschwächen, nicht tun. Wir können nicht die Rezession in Großbritannien beseitigen, nicht in Spanien beseitigen. Wir können nicht die Finanzmarktkrise in den USA in Deutschland lösen. Aber wir können unsere Wachstumskräfte durch Erhöhung der privaten Nachfrage stärken, indem wir den Menschen mehr Geld zurückgeben, damit sie nachfragen können. Das tun wir nicht und deshalb ist das falsch.

    Müller: Nun hat der Staat, Herr Brüderle, Verpflichtungen und er hat hohe Schulden. Schuldenabbau, auch ein wichtiges Thema für die FDP. Wie baut die FDP Schulden ab?

    Brüderle: Die Schulden hätten schon längst, jedenfalls die Neuaufnahme von Schulden des Bundes - wir sind noch lange nicht beim Abbau; der Bund nimmt ja nach wie vor neue Schulden auf -, auf Null gestellt werden können. Wir haben konkret bei den Haushaltsberatungen für rund 12 Milliarden Euro etwa 500 Einsparungsvorschläge gemacht. Kein einziger wurde aufgenommen. Nichts wurde gespart. Sparen tut in Deutschland nur einer: der Bürger, zwangsweise durch höhere Preise, durch höhere steuerliche Belastungen. Der Bund hat munter seinen Haushalt weiter ausgedehnt. Er hat nicht etwa bei Subventionen und in anderen Bereichen in Ausgabenstrukturen hineingegriffen. Was macht man privat, wenn man Engpässe hat? Man streckt sich nach der Decke. Aber der Bund hat sich nicht nach der Decke gestreckt. Er hat gnadenlos nur von der Einnahmeseite her versucht, seine Verschuldung zu begrenzen, zurückzuführen, aber nicht durch Sparen, wie es der Bürger tun muss.

    Müller: Aber nennen Sie uns, Herr Brüderle, doch einen Vorschlag, der quantitativ, also vom Geldwert her, einleuchtend ist, wo man wirklich etwas sparen kann.

    Brüderle: Ich sage Ihnen noch mal, dass wir für 12 Milliarden Vorschläge gemacht haben. Die 500 kann ich Ihnen nicht alle runterleiern, aber fangen sie an, dass sie bei den Subventionen wenigstens mal fünf Prozent einsparen. Keiner bricht zusammen, wenn er fünf Prozent weniger Knete an Subventionen vom Staat kriegt. Allein nach dem offiziellen Subventionsbericht der Bundesregierung haben wir eine Größenordnung von 70 Milliarden Euro Subventionen. Aber es gibt Hunderte Beispiele, wo man auch effektiver vorgehen kann. Der Staatsapparat ist nach wie vor aufgebläht. Er wird erweitert. Es werden zusätzliche Beamtenstellen in der Bundesregierung geschaffen. Im Koalitionsproporz hat man dann das Auswärtige Amt ausgebaut, damit die SPD ihre Ersatzparteizentrale hat, oder Ähnliches. Es sind 500 Vorschläge. Man kann ja sagen, da ist nicht alles gut, aber zu sagen, das ist alles Mist und wir sparen gar nichts, wir kassieren nur ab, das ist das Primitivste, nur bei den Bürgern abzukassieren und nicht bereit zu sein, auch seine Ausgaben zur Disposition zu stellen. Wenn man das beim Staat tabuisiert und bei den Bürgern reingreift, das ist nicht die Akzeptanz von Politik in Deutschland.

    Müller: Wollen wir das noch einmal konkret besprechen. Würden Sie beispielsweise die Energiesteuern senken?

    Brüderle: Ich würde sie senken, weil in der Tat der größere Ölscheich Herr Steinbrück ist. Über 60 Prozent des Benzinpreises sind Steuern und Abgaben, die der Staat kassiert. Und das ist so pervers, dass zum Beispiel auf die Ökosteuer auch der Staat noch Mehrwertsteuer erhebt, also Steuer auf die Steuer. Die kassieren mehr als die Oligarchen in Russland und die Scheichs in Nahost. Der größte Ölscheich der Bundesrepublik Deutschland ist der Finanzminister.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk der FDP-Fraktions- und -Parteivize Rainer Brüderle. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Brüderle: Danke Ihnen, Herr Müller.