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Der Hafen von Rotterdam (3/5)
Stolze Müllmänner

Öltanker, Container- und Frachtschiffe und insbesondere Kreuzfahrtriesen: Sie alle produzieren Müll. Auf hoher See mag vieles über Bord gehen - im Hafen von Rotterdam gelten andere Regeln.

Von Kerstin Schweighöfer | 17.01.2018
    Kenny Baas, Manager beim Müllentsorger Bek en Verburg, und sein Großvater und Unternehmensgründer Daan vor einem Gemälde des Rotterdamer Hafens
    Kenny Baas ist Manager beim Müllentsorger Bek en Verburg, sein Opa Daan hat das Unternehmen gegründet (Dradio / Schweighöfer)
    Ein Berg aus Tauen und Trossen, verschlissen, zum Teil mit Moos und Algen besetzt. Daneben alte Kühlschränke, Waschmaschinen, Schläuche, Kabel. Ein Container voller Druckerpatronen. Eine alte Gangway versperrt den Weg.
    "Alles Schiffsabfall, den wir eingesammelt haben", erklärt Kenny Baas, als er im Laurenshafen von Rotterdam mit weitausholenden Schritten über das Firmengelände seines Großvaters eilt.
    "Das sind leere Ölfässer, denn hier beginnt der Metallsektor. Da stehen ein paar kaputte Elektromotoren. Und das hier sind Feuerlöscher."
    "Wir sind die Müllmänner vom Hafen"
    Saloppe Windjacke, Jeans, Hornbrille, kurzgeschnittene braune Haare – Kenny sieht aus wie ein Student. Der hochgewachsene 29-Jährige ist Manager bei Bek en Verburg, einem echten Familienunternehmen: Opa Daan - Kennys Großvater - hat es Anfang der 1960er-Jahre gegründet. "Wir sind die Müllmänner vom Hafen", betont der Enkel voller Stolz:
    "Wir bieten den Schiffen, die einlaufen, die Möglichkeit, ihren Müll loszuwerden. Damit sie ihn nicht mehr einfach über Bord kippen. Damit unser Hafen und mit ihm die Ozeane sauber werden. Das ist unser Ziel."
    Seit 2004 ist die Müllentsorgung für Häfen auf europäischem Niveau mit einer Richtlinie geregelt: Seitdem zahlen alle Schiffe eine Gebühr, die sie berechtigt, ihren Abfall im Hafen abzugeben. In Rotterdam sind es, je nach Größe des Schiffes, bis zu 200 Euro. Aber das sind Peanuts verglichen mit dem Hafengeld, das die Schiffe fürs Einlaufen und Anlegen, Löschen und Laden zahlen müssen. Das kann bei den größten und schwersten Öltankern bis zu 240.000 Euro betragen.
    Die Firma Bek en Verburg übernimmt die Müllentsorgung im gesamten Rotterdamer Hafen. Sie hat insgesamt neun Müllschiffe im Einsatz, die bei den einlaufenden Schiffen den Abfall einsammeln. Er wird zum Recyceln in 180 verschiedene Sorten getrennt. Nur acht Prozent bleiben als Restmüll übrig, betont Kenny stolz und hebt den Deckel eines Containers. Er ist voller Neonröhren:
    "Wir sortieren sie nach Größe, die meisten Schiffe erneuern alle Neonröhren auf einmal, das können 1.200 Röhren pro Schiff sein, die wir dann kriegen."
    Tausende Redbull-Dosen von Kreuzfahrtschiffen
    Die Müllentsorgung ist keine Pflicht; nach wie vor geht auf hoher See vieles einfach über Bord. Kenny deutet auf einen riesigen Haufen: Alles Dinge, die Fischern ungewollt ins Netz gegangen sind. Auch das landet bei ihnen. Waschmaschinen, Kühlschränke, verrostete Fässer mit Löchern.
    "Damit sie schneller sinken. Bei Ölfässern kippen sie manchmal erst noch Zement oben drauf, damit das Öl unten drin bleibt. Schrecklich. Wenn ich das sehe, denke ich: Wir sind noch lange nicht am Ziel."
    Immerhin: 80 Prozent aller einlaufenden Schiffe geben inzwischen ihren Müll ab. Öltanker, Container- und Frachtschiffe. Und auch die Kreuzfahrtschiffe:
    "Die gehören zu den größten Müllproduzenten. Da holen wir manchmal bis zu sechs LKW-Ladungen ab. Weil sie Menschen transportieren und keine Container. Neulich kamen wir mit Hunderten von alten Matratzen zurück, weil alle Betten erneuert wurden. Es fällt auch viel Plastik an, in dem Essen verpackt wurde. Und weil an Bord viel getrunken wird, auch viele Flaschen und Dosen. Die scheinen gerne Wodka mit Red Bull zu trinken. Jedenfalls kriegen wir immer Tausende von Redbull-Dosen."
    Kenny blickt auf das Hafenbecken. Die Invotis 7 nähert sich, eines der neun hypermodernen Müllschiffe. Sie ist auf dem Weg zur Kotor, einem Frachter, der unter montenegrinischer Flagge fährt und mit Kohle aus Quebec eingelaufen ist.
    Der Kapitän kennt seine Pappenheimer
    Kenny geht an Bord. In der Kajüte trinken drei junge Matrosen Kaffee, alles ist piccobello aufgeräumt und sauber – und das soll auch so bleiben. Deshalb: Schuhe aus! Auf Socken geht es die steile Treppe hoch zur Brücke, wo Kapitän Wijnand Heinz Kurs auf die Kotor nimmt. In Pantoffeln.
    Von hier aus hat er gute Sicht auf den offenen Schiffsbauch unten vor ihm mit Containern rechts und links. Mülltrennung an Bord. Nach 15 Minuten erreicht das Müllschiff die Kotor, signalrot ist sie und mit ihren 180 Metern gut viermal länger als die Invotis 7. Vorsichtig legt Kapitän Wijnand an ihrem Bug an. Durch die große Glasscheibe beobachtet er, wie die drei Matrosen in Overalls auf einer Strickleiter den Schiffsbauch entlang nach oben an Bord klettern. Kurz darauf fliegen die ersten Müllsäcke runter in die Container. Eins, zwei, drei, vier. Haushaltsmüll. Zwischendrin ein Packen Papier, Plastik, dann ein paar Holzpaletten.
    Über Funk geben die Matrosen die Müllmenge durch. Worauf der Kapitän die Liste ausdruckt. Naja, meint er dann, nicht gerade viel für eine Reise, die 13 Tage gedauert hat. Sondermüll wie etwa Schmieröl hat die Kotor überhaupt nicht abgegeben. Aber Wijnand will der Bemannung nichts unterstellen; er hat schon ganz andere mitgemacht. Nationalitäten will er nicht verraten, aber er kennt seine Pappenheimer. Deutsche jedenfalls sind nicht darunter, betont er, als er wieder Kurs nimmt auf den Laurenshafen. Und auch keine Skandinavier. Die seien immer sehr korrekt.