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Der Hamburger Stadtplaner Fritz Schumacher
"Einzelhaus mit bescheidenem Garten muss die Regel werden"

Mit funktionaler Architektur in traditioneller Klinkerbauweise hatte der Hamburger Stadtplaner Fritz Schumacher der Moderne zum Durchbruch verholfen. Seine Gedanken zum Wiederaufbau der Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg trug der 1933 vom Nazi-Regime als Oberbaudirektor entlassene Schumacher heute vor 70 Jahren im Hamburger Rathaus vor.

Von Jochen Stöckmann | 10.10.2015
    Der Architekt Fritz Schumacher war seit 1909 Baudirektor in Hamburg, wo er wesentlichen Anteil an der Neubelebung des Backsteinbaus hatte.
    Der Architekt Fritz Schumacher war seit 1909 Baudirektor in Hamburg, wo er wesentlichen Anteil an der Neubelebung des Backsteinbaus hatte. (picture-alliance / dpa)
    "Wir städtebaulich arbeitenden Architekten, wir wissen, dass wir nur unsere Ziele erreichen können, wenn wir in Gegensätzen denken, ähnlich wie der Chirurg mit menschenfreundlichem Herzen die scheinbar grausamsten Handlungen vollzieht."
    Die "Grausamkeit" alliierter Bombenangriffe stand Fritz Schumacher und seinen Zuhörern im Hamburger Rathaus buchstäblich vor Augen, als der ehemalige Oberbaudirektor am 10. Oktober 1945 über den Wiederaufbau, der in Trümmern versunkenen Hansestadt sprach. Welche Probleme sich einer Stadtplanung nach Kriegsende stellen, darüber hatte der mittlerweile 75 Jahre alte, bereits im Mai 1933 aus seinem Amt entlassene Schumacher schon während der letzten Kriegsjahre nachgedacht. Etwa im November 1943 in einer Notiz über die "Fahrt durch Hamburgs Ruinen": "Kein Gemüt kann diese Eindrücke auf die Dauer ertragen. Es ist eine Art Erlösung zu wissen, dass man diese Gebiete zunächst völlig absperren und unberührt lassen will. Am schönsten wäre es, wenn aus den Feldern des Todes auch ein Park entstände, — aber dann müsste Hamburg die Kraft haben, sich im Zustand starker Verkleinerung zu halten."
    Als Architekt monumentaler Wohnanlagen mit Backstein-Fassaden hatte Schumacher den Metropolencharakter Hamburgs bis in die 1920er-Jahre geprägt. Nun stellte er sich neben einer Auflockerung und Durchgrünung den Wiederaufbau deutscher Großstädte vor allem als "Auflösung in ein Knollengebilde" von kleineren Siedlungen mit jeweils sechs- bis achttausend Einwohnern vor. Diese Land- oder Kleinstädte wären – ausreichend versehen mit Gemeinschaftsbauten – die ideale Grundlage des sozialen Miteinanders.
    "Der Krieg hat in weiten Gebieten veraltete Bindungen gelöst; wir können darauf rechnen, dass Gesichtspunkte der Bodenpreisreform den Bodenpreis in angemessenen Grenzen halten. Da muss das Einzelhaus - mit bescheidenem Garten - nicht die Ausnahme, sondern es muss die Regel werden. Diesen einzigen Vorteil, den die Zerstörung unserer Städte mit sich gebracht hat, den sollte man nicht ungenützt lassen."
    Entlassung während des NS-Regimes
    Schumacher, dessen Reformpläne mit seiner Entlassung durch das NS-Regime ein abruptes Ende gefunden hatten, sah in der Zerstörung eine Chance: Im Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit waren bürokratische Fesseln gelockert. Großzügige Verkehrsplanungen, Straßenerweiterungen, Durchbrüche boten sich an. Die Umlegung überkommener Parzellierungen schien möglich, sogar eine Bodenreform, wenn nicht ungestümer Wiederaufbauwille, blinder Eifer oder das bloße "Zupacken" ohne vorhergehende Planung dazu führen würden: "Dass es am unrechten Platze Zukunftsabsichten, die der Zufall der Zerstörung uns jetzt erleichtert hat, verbarrikadiert."
    Auch durch ein unkontrolliertes, auf schiere Leistung getrimmtes "Wirtschaftswunder" wollte sich Schumacher die weitreichenden Reformideen nicht "verbauen" lassen. Deshalb hatte der ehemalige Oberbaudirektor bereits 1944 einen Generalbebauungsplan gefordert mit entsprechenden Eingriffs-Rechten der Baubehörden. "Die Politik der Bodenpreise im Sinne ihrer Niedrighaltung, Enteignung, die Einwirkung auf Grundstücksform und Parzellierung: Sie sehen: ein großes, fundamentale Fragen unserer sozialen Kultur berührendes Programm."
    Diese "soziale Kultur" im Sinne des 1947 gestorbenen Fritz Schumacher wäre nicht zuletzt bestimmt gewesen durch die spannungsreiche Beziehung zwischen reformfreudiger Tradition und geschichtsbewusster Moderne, durch einen Wiederaufbau im "hanseatischen", das heißt stadtbürgerlichen Geist: "Schon die nächste Generation wird nur aus Büchern wissen, wie Hamburgs Türme und seine alten Stadtbilder ausgesehen haben. Das ist in vieler Beziehung ein Glück, weil es ja nichts nützt, um Unwiederbringliches zu trauern, aber es wäre ein Unglück, wenn das geistige Wesen, das im Unwiederbringlichen liegt, nicht unvermerkt im Herzen der Schaffenden verwahrt bliebe."