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Der Import embryonaler Stammzellen ist europarechtlich problematisch

    Gerner: Am Telefon begrüße ich nun Herrn Professor Dr. Jochen Taupitz, Mitglied im Nationalen Ethikrat und Medizinrechtler in diesem Gremium. Einen schönen guten Morgen.

    Taupitz: Ja, einen schönen guten Morgen.

    Gerner: Herr Professor Taupitz, Wolfgang Clement sagt, noch in diesem Jahr können Stammzellen aus Israel importiert werden. Werden sie es vor dem Hintergrund des Zeitplans nach der Entscheidung des Bundestags gestern?

    Taupitz: Ja, ich hoffe, dass der Bundestag jetzt schnellstens sein Gesetz erlassen wird, denn bis zu dem Gesetz haben wir eine schizophrene Situation. Die gewerbliche Industrie, die kann auf der geltenden Rechtslage importieren, aber die öffentlich-rechtlich geförderte Forschung wird wahrscheinlich warten, bis der Bundestag das Gesetz erlassen hat, bis die zentrale Ethikkommission eingerichtet ist und, und, und - bis also die gesamten Voraussetzungen, die in dem Gesetz vorgesehen sind, dann tatsächlich umgesetzt sind.

    Gerner: Was heißt das für die deutsche Forschungsgemeinschaft, die heute über den Antrag des Projekts des Bonner Wissenschaftlers Brüstle entscheiden will?

    Taupitz: Ja, die deutsche Forschungsgemeinschaft wird sicherlich keine Unterstützung gewähren ohne irgendwelche Auflagen. Und die Auflagen werden sinnvollerweise darin bestehen müssen, dass man den Erlass des Gesetzes abwartet, dass man die Einrichtung der entsprechenden Kommission abwartet und Herr Brüstle erst dann die Stammzellen importieren darf. Vorher ist die Rechtslage so, wie sie bisher auch gewesen ist - dass der Import frei ist. Und das will ja offenbar niemand im Bundestag.

    Gerner: Wie verhält sich denn das, was Sie eben angedeutet haben, mit der Freiheit der Forschung? Gibt es da möglicherweise verfassungsrechtliche Bedenken bei dem, was jetzt entschieden worden ist?

    Taupitz: Das, was jetzt im Bundestag avisiert ist - so muss man es ja sagen, denn das Gesetz besteht ja noch nicht -, ist sicherlich der Minimalkonsens, der Forschungsfreiheit in den grundlegendsten Beziehungen Rechnung trägt. Ich hätte mir allerdings gewünscht, und es gibt auch namhafte Verfassungsrechtler, die das strikt fordern, dass man nicht eine Stichtagregelung eingeführt hätte, sondern dass man gesagt hätte: Sofern von Deutschland aus keine Anregung gegeben wird, dass im Ausland Embryonen getötet werden, um nicht mehr Embryonen, sondern nur die Zellen nach Deutschland zu importieren, dass man also auf einer fehlenden Beteiligung von Deutschland aus abgestellt hätte.

    Gerner: Nun ist aber möglicherweise, das hatte Herr Brüstle selbst gestern angedeutet, das ganze ein Verfahren, das um Monate - so lange, wie der Gesetzentwurf eben ausgearbeitet wird - andauert. Wie verhält sich das mit der Forschungsfreiheit überhaupt? Es gab gestern auch Töne, dass die ganze Planung - der Beschlusses im Bundestag - europarechtlich nicht haltbar sein könnte. Welche Kritik gibt es - welche Problempunkte aus juristischer Sicht?

    Taupitz: Ja, aus europarechtlicher Sicht muss man sagen, dass hier die Warenverkehrsfreiheit betroffen ist, auch wenn man das natürlich nicht so gerne hört. Aber blicken wir nur mal auf die kommerzielle Industrie. Wenn die kommerzielle Industrie embryonale Stammzellen nach Deutschland importieren will, dann ist das eine Ware, für die bezahlt wird. Und es geht ja nicht nur um die hehre Grundlagenforschung in den Universitäten, die fern von jedem Kommerz durchgeführt wird. Hier ist also die Warenverkehrsfreiheit, die europäische, betroffen. Und damit gibt es europarechtlich ein Problem, insbesondere wenn diese Stammzellen aus einem anderen EG-Land nach Deutschland importiert werden sollen, also beispielsweise Schweden.

    Gerner: Wo ist man denn da schon weiter?

    Taupitz: Man ist in vielen Ländern so weit, dass man Stammzellen hat. Deswegen kann sich die Diskussion nicht nur auf die Stammzellen aus Israel beschränken, die nach Bonn eingeführt werden sollen. Auch die Schweden haben solche Stammzellen, und dann haben wir ein europarechtliches Problem.

    Gerner: Das heißt, das Ganze, was gestern im Bundestag abgelaufen ist, kann noch gekippt werden? Und der Gesetzentwurf?

    Taupitz: Na gut, also was das Bundesverfassungsgericht letztlich dann einmal entscheiden wird, wenn es denn angerufen werden sollte, das kann niemand vorhersagen. Hier sind tatsächlich sehr, sehr schwierige Grenzfragen zu beantworten. Man kann nicht die eine oder andere Lösung aus der Verfassung unmittelbar ableiten; hier sind schwierige Wertungen vorzunehmen, und wie gesagt: Man kann nicht vorhersagen, was das Bundesverfassungsgericht letztlich einmal sagen wird. Ich halte die jetzt gefundene Lösung deshalb für so problematisch, weil eben letztlich eine Hängepartie entsteht für die öffentlich-rechtlich finanzierte und kontrollierte Forschung, weil niemand bis zum Inkrafttreten des Gesetzes in diesem Bereich tatsächlich die Stammzellen importieren kann, so dass wir im Grunde ein Moratorium haben, bis dass der Gesetzgeber mal tätig geworden ist und die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen hat.

    Gerner: Lassen wir uns etwas in die Zukunft gucken. Forscher sagen, dass die zur Zeit bestehenden Stammzelllinien nicht optimal seien; sie sagen, dass es hundert Prozent bessere geben wird in Zukunft. Was würde das bedeuten für die Stichtagsregelung, mit der sich die Mehrheit gestern moralisch im Reinen sah - sozusagen?

    Taupitz: Ja, dann gibt es in der Tat ein naturwissenschaftliches Problem und auch ein juristisches Problem, denn wenn sich aufgrund der weiteren Erkenntnisfortschritte die Heilungschancen doch weiter als berechtigt herausstellen sollten, dann ist natürlich auch die Abwägung noch wieder eine ganz andere als zur Zeit, wo es sich ja um reine Grundlagenforschung handelt und niemand absehen kann, ob etwas dabei herauskommen wird. Aber wenn im Ausland einmal konkret Therapien entwickelt werden und wenn man zur Verwirklichung dieser Therapien dann auf neue Stammzellen zurückgreifen muss, die erst nach dem Stichtag entstanden sind - gewonnen wurden -, dann in der Tat stellt sich wieder das verfassungsrechtliche Problem, ob die Forschungsfreiheit durch diese Stichtagsregelung nicht zu sehr eingeengt wird.

    Gerner: Das heißt, die entscheidenden ethischen Fragen sind gestern vor sich hergeschoben worden?

    Taupitz: Sie sind in gewisser Weise in die Zukunft verlagert worden. Aber es ist natürlich auf der anderen Seite auch vernünftig, dass man Schritt für Schritt vorangeht und nicht gleich heute alles eröffnet und ermöglicht, was man irgendwann in der Zukunft vielleicht einmal wünscht. Das ist auch das Wichtige einer Rechtsordnung, dass sie dem naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt Schritt für Schritt nachfolgt, dass sie sehr genau prüft - die Rechtsordnung - und auch die Gesellschaft insgesamt natürlich: Wollen wir den nächsten Schritt, welche Gefahren ergeben sich durch diesen nächsten Schritt ? aber auch welche Chancen? Wir blicken in Deutschland, glaube ich, ein wenig immer auf die Gefahren ? und sehen die Chancen nicht so sehr. Da ist uns das Ausland zum Teil ein wenig voraus.

    Gerner: Wir haben es eben gehört: In Nordrhein-Westfalen plant Ministerpräsident Clement den Ausbau des Wirtschaftsstandorts Nordrhein-Westfalen mit Hilfe der Bio- und Gentechnik. Der Wissenschaftler Brüstle soll ein eigenes Forschungsinstitut erhalten. Ist dieser Türspalt, der jetzt durch die Bundestagsentscheidung geschaffen worden ist, so groß, dass früher oder später auch in Deutschland unabänderlich durch die Entwicklung produziert werden wird?

    Taupitz: Das muss die weitere Entwicklung zeigen. Das ist ja auch das Gute an diesem Kompromiss - ich will ihn auch einmal als positives Signal darstellen - dass man zunächst mal die weitere Entwicklung abwarten kann und dann herausfinden kann, ob sich dieser Weg der embryonalen Stammzellforschung als Sackgasse erweist - dann sollte man selbstverständlich nicht weitermachen auf diesem ethisch ja immerhin problematischen Weg, oder ob die Hoffnungen, die damit verbunden werden, sich tatsächlich konkreter abzeichnen. Und dann wird man neu diskutieren müssen, ob man nicht noch einen weiteren Schritt gehen sollte in Deutschland, nämlich die Gewinnung von Stammzellen in Deutschland zu erlauben.

    Gerner: Haben wir die Forschung an alternativen, etwa adulten, also erwachsenen Stammzellen und anderen Möglichkeiten, die es gibt, vernachlässigt?

    Taupitz: Nein, die wurden in der Vergangenheit keineswegs vernachlässigt. Wir haben gerade hier in Baden-Württemberg eine große Initiative, ein Forschungsprogramm, das die Untersuchung des Potentials von adulten Stammzellen untersuchen und fördern soll. Also, daran ist in Deutschland genau so kräftig gearbeitet worden. Nur ist das nicht so sehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, weil diese Forschung nicht so gleichermaßen ethisch problematisch ist.

    Gerner: Professor Jochen Taupitz war das, Mitglied im Nationalen Ethikrat und Medizinrechtler in diesem Gremium. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Taupitz: Ja, herzlichen Dank Ihnen.

    Link: Interview als RealAudio