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Der Iran 25 Jahre nach der islamischen Revolution

Schillmöller: Heute vor 25 Jahren landete auf dem Flughafen von Teheran eine Boeing 747 der Air France aus Paris. Diese Landung veränderte den Iran von Grund auf. Der von der USA zuerst geförderte und dann gefallen gelassene Schah Reza Palevi war Mitte Januar geflohen und an jenem ersten Februar stieg ein Mann aus dem Flugzeug, dessen Reden bereits in den Jahren zuvor auf Kassette in den Iran worden waren. Der Mann hatte viele Jahre im Exil gelebt, erst im Irak, später in Paris und sein langer Bart war in dieser Zeit grau geworden, aber seine Ideologie hatte der detailliert und geschliffen ausgearbeitet. Die Herrschaft der Rechtsgelehrten nannte er sie. Der Mann hieß Ajatollah Khomeini und der Iran innerhalb von zwei Monaten zu einer islamischen Republik. Wie stark hat Khomeini das Land geprägt? Hat seine Vision heute noch eine Chance? Wie viel Veränderung kann man dem Iran überhaupt zumuten? Darüber habe ich gesprochen mit Katajun Amirpur. Sie ist Islamwissenschaftlerin; Iranistin genauer gesagt und sie hat gerade ein Buch veröffentlicht über die neue Friedensnobelpreisträgering, die Iranische Juristin Schirin Ebadi. Frau Amirpur, was für einen Iran hat denn Khomeini Ende der 70er Jahre vorgefunden?

    Amirpur: Ein Iran, in dem eine Aufbruchstimmung herrschte. Die Bevölkerung war doch relativ einhellig dafür, dass der Schar gehen sollte, dass man ein anderes System haben wollte als das Schar-Regime. Man warf ihm vor, dass das System korrupt sei, dass Zensur herrschte, dass die Bevölkerung in Armut lebe. All das wollte man abschütteln. Man hat es erfolgreich getan und als Khomeini wieder kam, fand er ein Land vor, in dem eine sehr, sehr gute Stimmung herrschte. Die Leute waren froh, dass es vorbei war, dass etwas neues kommen konnte und sie waren sehr hoffnungsvoll.

    Schillmöller: War denn der Islam die Lösung, so wie von Khomeini anfangs propagiert?

    Amirpur: Es waren ja nicht nur Islamisten, die diese Revolution gemacht haben, insofern ist das schwierig. Es gab sehr viele Menschen aus dem bürgerlich-nationalen Lager, es gab Marxisten, es gab Linke, ganz verschiedene kommunistische, islamistische Gruppierungen. Es hat sich dann nur am Ende tatsächlich eine islamistische Bewegung an die Spitze der Revolutionäre gestellt. Dann wurde langsam aber sicher ernst gemacht mit dieser Lösung. Es wurde gesagt: "Der Islam ist die Lösung. Wir müssen nur die Wirtschaft islamisieren, die Bildung islamisieren, wir müssen alles islamisieren und dann wird diese Gesellschaft in Wohlstand leben, es wird ihr gut gehen". Das ist so nicht passiert, was verschiedene Ursachen hatte. Unter Anderem liegt das natürlich auch an dem irakisch-iranischen Krieg. Nach der Revolution brach der Krieg zwischen Irak und Iran aus. In Folge dieses Krieges war die wirtschaftliche Lage extrem schlecht. Aber es hat sich auch im Laufe der Zeit herausgestellt, dass sich mit einer islamischen Ideologie nicht unbedingt ein Staat verwalten lässt. Sehr, sehr viele Gesetze, die einst als islamisch galten und eingeführt wurden, wurden dann im Laufe der Zeit wieder gelockert, beziehungsweise komplett ad acta gelegt. Da hatte man eigentlich vor, eine komplett islamische Wirtschaft zu haben, was bedeutet hätte, dass man keine Zinsen nehmen kann. So kann aber ein moderner Staat nicht funktionieren. Und von solchen Gesetzen hat man sich dann auch tatsächlich in der Realität verabschiedet. Gerade in der Wirtschaft war das iranische System immer relativ pragmatisch.

    Schillmöller: Vielleicht können Sie uns kurz dieses System der Rechtsgelehrten erläutern. Auf welchen Säulen ruht denn diese Ideologie, die ja bis heute im Iran aktiv ist?

    Amirpur: Es geht zum Einen davon aus, dass man einen Rechtsgelehrten hat, der in Stellvertretung des zwölften Imams regiert, im Iran. Das ist ein bisschen kompliziert. Die Schiiten glauben, anders als die Sunniten daran, dass am Ende aller Tage eine dem jüdische Messias vergleichbare Person wiederkommen wird, um die Welt zu retten. Normalerweise, die schiitische, traditionelle Sicht ist, dass bis dahin es völlig egal ist, wer regiert. Im Prinzip ist jede Regierung illegitim, ob die vom Menschen, vom Schar oder von einem Geistlichen, eine wirklich legitime Herrschaft kann es erst geben, wenn, wenn dieser Messias wiederkehrt. Ajatollah Khomeini hat mit dieser Doktrin gebrochen. Das ist eigentlich die klassisch schiitische Staatsdoktrin. Ajatollah Khomeini hingegen hat gesagt, das kann so nicht sein. Es muss auch eine Stellvertretung dieses Menschen herrschen und im Zweifel macht das der oberste Rechtsgelehrte am besten, denn er kennt das islamische Gesetz und warum sollte er das islamische Gesetz nicht durchführen? Das ist die Staatsdoktrin der islamischen Republik Iran, die Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten. Es gibt aber, obwohl man eine Institution hat, die mit extrem viel Macht ausgestattet ist, trotzdem gewählte Instanzen. Es gibt ein Parlament, das vom Volk gewählt wird, es gibt einen Präsidenten, der vom Volk gewählt wird, wobei das nicht so ganz einfach ist, weil die Kandidatenauslese doch sehr, sehr rigide ist. Insgesamt kann man sagen, man hat ein zum Teil republikanische System, aber diesen jeweils republikanischen Institutionen ist eine andere klerikale übergeordnet, die auch sehr viel mehr Macht hat und im Prinzip alles, was die republikanische Institution tut, sehr, sehr einfach wieder aushebeln kann.

    Schillmöller: Mitte der 90er Jahre, ziemlich genau 1997, kam ein großer Hoffnungsträger in gewisser Weise an die Macht, nicht an die religiöse Macht, aber an die sekuläre, an die weltliche Macht. Das war Chatami und er galt am Anfang als Reformer, als jemand, in den man große Hoffnungen setzte, dieses etwas rigide System der Herrschaftsgelehrten zu reformieren. Wo genau begann das und welche Erfolge hat er denn verzeichnen können?

    Amirpur: Ich glaube, man kann nicht sagen, dass er erfolglos war. Im Moment herrscht in der iranischen Bevölkerung eine sehr missmutige Stimmung. Alle sagen, das hat überhaupt nichts gebracht, dieses System ist nicht reformierbar, Chatami ist gescheitert und er sollte das jetzt einfach zugeben. Schirin Ebadi zum Beispiel, die Nobelpreisträgerin, hat gesagt, er soll zurücktreten. Das wäre wunderbar. Damit könnte er wenigstens ein Zeichen setzen. Aber so mit der Agenda, mit der er angetreten ist, davon hat er so gut wie nichts durchgesetzt. Das denken sehr viele. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, es wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen, was da wirklich an Reformen passiert ist. Es gibt auch einige Dinge, die haben tatsächlich gefruchtet. Es gibt inzwischen viel, viel mehr zivilgesellschaftliche Institutionen im Iran. Es gibt so was, wie einen erhöhten Zugang zum Internet. Es gibt eine Bevölkerung, die politisch sehr, sehr bewusst ist.

    Schillmöller: Und nun sind wir in der Gegenwart angekommen. Im Augenblick gibt es ganz schlimme Streitereien zwischen den gewählten Vertretern und den religiösen Vertretern. Am 20. Februar sind eigentlich Parlamentswahlen geplant, aber der religiöse Wächterrat hat sozusagen das Recht, die Kandidaten auszuwählen und hat, das ist seit Wochen das große Thema, mehr als 3600 Kandidaten anfangs ausgeschlossen von den Wahlen. Es sieht nun so aus, als ob quasi überhaupt keine Reformmöglichkeiten da sind, weil der Wächterrat sehr stark von seiner Macht Gebrauch macht. Und nun frage ich Sie natürlich, wie sieht das aus, mit der Reformierbarkeit des Systems, wenn man sieht, wie stark im Augenblick die religiöse Seite auf ihre Macht pocht und eben auch reformorientierte Leute nach wie vor ausschließt?

    Amirpur: Vielleicht sollte man bei dem Punkt ansetzen, den Sie gerade erwähnt haben, dass der Wächterrat das Recht hat, die Kandidaten auszulesen. Das Recht hat er eigentlich gar nicht. Laut iranischer Verfassung ist das nicht seine Aufgabe. Laut iranischer Verfassung soll der Wächterrat die vom Parlament verabschiedeten Gesetze daraufhin überprüfen, ob sie mit dem islamischen Charakter der Verfassung vereinbar sind. Ein bisschen positiv formuliert könnte man das als eine Art Verfassungsgericht nennen. Das ist es natürlich nicht, aber man kann es ein bisschen vergleichen. Seit 1992 jedoch, das ist auch eine relativ neue Entwicklung, immerhin zum ersten mal 14 Jahre nach der Revolution, ist der Wächterrat hingegangen und hat die Kontrolle der Wahlen an sich gerissen. Eigentlich ist das laut Verfassung Aufgabe des Innenministeriums und insofern sagen natürlich die Reformer, das sei schon komplett verfassungswidrig, was der Wächterrat da überhaupt täte, dass er nämlich hingeht und die Kandidaten aussiebt. Aber er tut es und das hat zur größten Verfassungskrise seit der Islamischen Republik geführt, in diesen Tagen, eben weil zwei Drittel der Leute, die zugelassen werden wollten eben nicht zugelassen wurden und es zeigt natürlich auch die Grenzen der Reformierbarkeit dieses Systems auf, denn egal wie reformorientiert das Parlament ist, oder egal wie reformorientiert der Präsident ist, er kann sich kaum durchsetzen gegen diese klerikalen Institutionen, wenn der Wächterrat nicht bereit ist, einen Teil seiner Macht abzugeben, beziehungsweise den Reformwillen des Volkes und des Präsidenten und des Parlamentes stattzugeben, dann können sie sich einfach hinsetzen und es nicht tun.

    Schillmöller: Woher nimmt dann die Nobelpreisträgering Schirin Ebadi die Hoffnung? Das Buch, was Sie geschrieben haben heißt: Gott ist mit den furchtlosen und Schirin Ebadi, aber ich glaube auch Sie, Sie plädieren schon für Reformen von innen heraus, für eine Reform des Systems, die vielleicht viel Geduld verlangt, die aber irgendwie doch möglich erscheint. Was Sie mir gerade erzählt haben macht aber eigentlich gar keine Hoffnung auf Veränderungsmöglichkeiten.

    Amirpur: Es gibt relativ wenig Alternativen. Der Iran hat schon eine Revolution hinter sich. So was macht man ja nicht mehrfach in einem Jahrhundert, es gibt außerdem keine charismatische Führerpersönlichkeit, wie es sie 1997 gab, da gab es Ajatollah Khomeini, hinter den sich sehr viele Kräfte versammeln konnten. Es gibt auch keine, in dem Sinne, starke oder aktive Opposition, weder im Land noch außerhalb des Landes. Die außerhalb des Landes ist zerstritten und auch den größten Kontakt verloren zu den Iraner und die Iraner wollen mit diese Auslandsopposition auch gar nicht so viel am Hut haben.

    Da ist das eine, das es wirklich keine Alternativen gibt und Leute wie Schirin Ebadi und sehr viele Intellektuelle sagen, wir haben schon eine Revolution gemacht und gesehen, was passieren kann. Vielleicht ist eine Revolution einfach der falsche Weg, vielleicht muss so was von innen kommen und sei es, wenn es dann länger dauert und diese Leute pochen ganz stark darauf, dass es eine bewusste Bevölkerung gibt. Und zum Teil sind das einfach demographische Fakten, mit denen sie argumentieren. Siebzig Prozent der iranischen Bevölkerung sind unter jünger als dreißig. Diese Leute haben keine Erinnerung an die Revolution, keine Erinnerung an die Schah-Zeit, sind aber sehr bewusst und politisch aufgewachsen.

    Die Alphabetisierungsquote liegt inzwischen bei achtzig Prozent im Iran. Das ist immens. Man hat einen sehr guten Zugang zum Internet, zu den internationalen Medien. Das ist zwar alles verboten, aber den Zugang haben sie trotzdem und sie nutzen ihn sehr, sehr stark und zum Beispiel durch solche domgraphische Daten, wie die Tatsache, das 63 Prozent aller Studierenden an den Universitäten im Iran Frauen sind. Frauen sind, die, die am meisten zu leiden haben in der islamischen Republik und es gibt sehr, sehr viele, die sagen langfristig werden die Frauen der Sargnagel der islamischen Republik sein. Also das sind eher so die demographischen Fakten, wegen denen man hoffnungsvoll ist, auch wegen der Tatsache zum Beispiel, dass keine Kader mehr nachkommen. Eigentlich sollten die Theologischen Hochschulen im groben Kaderschmieden sein. Dort sind aber inzwischen junge Mullahs, die über die Vereinbarkeit von Menschenrechten und Demokratie diskutieren, über Frauenrechte. Diese Menschen ticken völlig anders, als die konservativen Kleriker, die an der Macht sind und zum Teil auch schon sehr alt sind und deswegen sagen ganz viele im schlimmsten Falle sterben sie aus. Wenn jemand hoffnungsvoll ist, dann nicht für die nächsten ein-zwei Jahre, aber es ist längerfristig sich anders entwickeln wird und dass es dann aber wirklich ein Wandel ist, der fest sitzt, nicht von außen aufoktroyiert, nichts übergestülptes, sondern ein Wandel, den man sich langsam erkämpft hat mit sehr vielen Opfern, aber dessen man sich dann auch wirklich sicher ist.