Remme: Aber ich gehe davon aus, Sie waren nicht auf der Straße?
Polenz: Nein, ich war damals nicht auf der Straße. Ich habe das mehr übers Fernsehen beobachtet.
Remme: Glauben Sie, Straßenschlachten wie damals werden sich in den nächsten Tagen wiederholen?
Polenz: Ich hoffe nicht. Ich denke, die Sicherheitsvorkehrungen sind getroffen. Im übrigen hoffe ich, dass alle, die etwas gegen den Besuch von Präsident Chatami haben, wissen, dass man in Deutschland friedlich demonstrieren kann und dass Gewalt verboten ist.
Remme: Herr Polenz, seit mehr als drei Jahren ist Chatami nun Präsident. Er ist Hoffnungsträger nicht nur im Iran selbst, auch im westlichen Ausland. Hat er diese Hoffnungen bisher erfüllt?
Polenz: Er hat sie nicht alle erfüllen können, weil der Iran nach wie vor ein sehr widersprüchliches Land ist. Die Machtverhältnisse sind ungeklärt. Er hat das Land aber Schritt für Schritt geöffnet. Er möchte es in die internationale Staatengemeinschaft zurückführen. Er möchte auch im Inneren zu so etwas kommen, was er eine "islamische Zivilgesellschaft" nennt. Da hat er Erfolge, wenn man bedenkt: es gibt kein Land in der Region, in der es Kommunalwahlen gegeben hätte. Im Iran hat es die gegeben. Bei den Wahlen zum Parlament in diesem Jahr haben die Reformer einen Sieg davongetragen.
Remme: Ist der Vergleich zu Michail Gorbatschow, der oft gezogen wird, zulässig?
Polenz: Man kann den Vergleich insoweit vielleicht treffen, als der Iran nach der Revolution ein sehr geschlossenes System etabliert hat, etwa vergleichbar mit dem früheren geschlossenen kommunistischen System, und dass Chatami dabei ist, Öffnungen durchzuführen. Jeder Vergleich hat aber auch seine Grenzen. Der theologische Gottesstaat Iran ist nicht vergleichbar mit einem kommunistischen System.
Remme: Seit drei Jahren, seitdem er im Amt ist, gilt es auch, ein Machtspiel zu beobachten zwischen den Reformern einerseits und den konservativen Kräften andererseits. Wie steht es denn nach diesen drei Jahren Ihrer Meinung nach um dieses Kräftegewicht im Iran?
Polenz: Ich glaube, dass die Reformer - das zeigen ja auch die Wahlergebnisse - Schritt für Schritt ihre Position haben ausbauen können. Sie haben vor allen Dingen die breite Unterstützung der Bevölkerung, insbesondere der Jugend. Der Iran ist ja ein sehr junges Land wegen der hohen Geburtenraten. Er hat vor allen Dingen auch die Unterstützung der Frauen. Die Erwartungen gehen natürlich auch dahin, dass er wirtschaftliche Erfolge bewirken kann. Dazu bedarf es weiterer Veränderungen. Hier ist auch einer der Ansatzpunkte, die wir für eine behutsame, aber beharrliche Unterstützung des Iran nutzen können.
Remme: Aber wie passt das zu den Meldungen der fortschreitenden Zeitungsverbote und den Einschränkungen der Pressefreiheit aus den letzten Monaten?
Polenz: Das war eine Maßnahme seiner Gegner nach den Parlamentswahlen, um den Erfolg der Reformer ein Stück weit zu konterkarieren. Ich glaube aber, dass diese Maßnahmen keinen Bestand haben werden. Damit das Bild allerdings nicht zu positiv gezeichnet ist: der Iran bleibt widersprüchlich. Es liegt mit der Pressefreiheit - Sie haben es angesprochen - im Argen. Auch die Menschenrechte, Stichwort Urteil gegen die Juden von Schiras oder die weitere Verfolgung der Bahai allein aufgrund ihres Glaubens, das sind Fakten, die uns weiter besorg machen und bleiben lassen müssen. Natürlich gibt auch die Außenpolitik des Iran, Stichwort Ablehnung des Nahost-Friedensprozesses, Anlass zu kritischen Nachfragen und zu einem Versuch, den Iran hier zu einem Wandel seiner Position zu bringen.
Remme: Die beiden Streitpunkte Mykonos und Hofer, sie sind offenbar weitgehend aus der Welt. Sehen Sie denn bilateral noch Hindernisse auf dem Weg zu einem Neubeginn?
Polenz: Nein, die sehe ich im Augenblick nicht. Deshalb begrüße ich auch, dass Präsident Chatami nach Deutschland kommt. Ich hoffe, dass der Besuch positiv verläuft, so dass wir die traditionell guten Beziehungen wieder neu beleben können. Der Iran ist ja ein sehr wichtiges Land in dieser Region. In vielen Punkten hat er eine Schlüsselfunktion inne. Wir sollten als Deutschland, als Europäische Union möglichst eine gemeinsame Iran-Politik formulieren, sie auch eng mit den USA abstimmen.
Remme: Es gab im Frühjahr, Herr Polenz, eine Reformkonferenz der Heinrich-Böll-Stiftung, eine verunglückte Konferenz. Sie wurde massiv gestört. Es gibt noch immer iranische Staatsbürger, die wegen ihrer Beteiligung an dieser Konferenz im Iran Gefängnis sitzen, und es gibt Stimmen, die sagen, jawohl, man muss zwar mit dem Iran ins Gespräch kommen, doch vor diesem Hintergrund ist der jetzige Zeitpunkt das falsche Signal. Hätte man nicht wenigstens die Vorgänge rund um diese Konferenz in Deutschland zunächst bereinigen müssen?
Polenz: Das kann man so und so sehen. Ich glaube, genauso wie ja auch Studenten inhaftiert sind, die vor allem bei der Demonstration verhaftet und dann zum Teil auch verurteilt worden sind, zum Teil sind sie wohl noch Urteil in Haft. Es gibt im Iran wie gesagt noch viele Dinge, die gerade mit der Justiz zusammenhängen, die man ansprechen muss. Wenn man aber auf ein Gespräch warten wollte, bis das alles bereinigt ist, dann würde man sich ja jede Möglichkeit nehmen, auf solche Prozesse ein Stück weit Einfluss zu nehmen, obwohl man immer sehr behutsam dabei vorgehen muss, denn nichts kann leichter kontraproduktiv wirken und auch von den Gegnern der Reform ausgenutzt werden, als wenn der Eindruck entsteht, man müsse jetzt etwas unter Druck verändern.
Remme: Herr Polenz, wenn es jetzt also zu diesem Neubeginn kommt, gibt es dann Fehler der deutschen Iran-Politik der vergangenen Jahre, die sich nicht wiederholen dürfen?
Polenz: Wir sollten nicht wieder nach Etiketten für das Verhältnis suchen, so etwas wie "kritischer Dialog" oder ähnliches. Wir sollten zweitens sehen, dass wir unsere Iran-Politik möglichst schnell wieder in eine gemeinsame Iran-Politik der Europäischen Union einbetten, das heißt in Brüssel und Straßburg darauf drängen, dass eine solche formuliert wird. Wir müssen auch sehen, dass wir uns mit den Vereinigten Staaten von Amerika abstimmen. Es bringt auch nichts, wenn die Europäer sagen, suchen wir jetzt ein gutes Verhältnis zum Iran, während die USA nach wie vor die ganze Sache sehr kritisch sehen. Wir müssen uns also auch mit den Amerikanern zusammensetzen, um sie ebenso zu einer etwas veränderten sprich positiveren Haltung gegenüber den Reformprozessen im Iran zu bringen.
Remme: Der Kritische Dialog von Klaus Kinkel ein bloßes Etikett?
Polenz: Nein, das kann man nicht sagen. Es war ja damals der Versuch, eine solche Politik des miteinander sprechens, kritisch anmahnen was schief läuft und gleichwohl Wirtschaftsbeziehungen aufrecht zu erhalten zu formulieren. Man darf aber nicht vergessen, zur damaligen Zeit war eben Präsident Chatami noch nicht im Amt. Das war ein anderer Iran. Der Anknüpfungspunkt für die jetzige Politik liegt eben in der Wahl dieses Präsidenten und all dem, was seither im Iran geschehen ist.
Remme: CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz war das im Deutschlandfunk.
Link: Interview als RealAudio