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Der Kampf um den letzten Tropfen Öl

Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer hat angesichts der bislang vergeblichen Bemühungen, das Ölloch im Golf von Mexiko zu stopfen, schärfere Sicherheitsregeln im Vorfeld von Tiefbohrungen gefordert. "Die Katastrophe der Katastrophe wäre, wenn man hinterher einfach wieder zur Tagesordnung übergeht", sagte Töpfer.

Klaus Töpfer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.05.2010
    Tobias Armbrüster: Seit mehr als einem Monat berichten wir im Deutschlandfunk über die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und viele Menschen wundern sich vermutlich darüber, dass es tatsächlich so lange dauert, ein Ölleck am Meeresboden dichtzumachen. Seit gestern Abend probieren die Ingenieure am Meeresboden nun eine neue Möglichkeit aus. "Top Kill" nennt sich das Ganze. Das Ölbohrloch soll dabei mit einer Schlammmischung verstopft werden. Ob es funktioniert, muss sich noch zeigen. - In Berlin bin ich jetzt mit Klaus Töpfer verbunden, dem ehemaligen Bundesumweltminister. Er leitet heute das Institut für Klima, Erdsystem und Nachhaltigkeit IASS in Berlin. Schönen guten Morgen, Herr Töpfer.

    Klaus Töpfer: Einen schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Sind Sie zuversichtlich, dass das Ölbohrloch jetzt dicht bleibt nach diesem aktuellen Versuch?

    Töpfer: Ich glaube, niemand kann hier einfach nur zuversichtlich sein. Wenn diese Methode so ganz verlässlich wäre, hätte man sie sicherlich sehr viel früher auch eingesetzt. Es ist ja ein Ringen um immer wieder neue Lösungsmöglichkeiten. So kann man nur das unterstreichen, was auch von BP selbst gesagt wird: Es gibt gute Chancen, dass das wirkt, aber man kann das abschließend erst beurteilen, wenn wirklich diese Maßnahme durchgeführt ist. Hoffen können wir alle nur mit Dringlichkeit, dass das nun schnellstens geht, denn die damit verbundenen Auswirkungen auf die Umwelt sind dramatisch. Lassen Sie uns nicht vergessen, dass am Anfang dieser Katastrophe bereits elf Menschen zu Tode gekommen sind.

    Armbrüster: Herr Töpfer, wir können inzwischen Erdöl in 1500 Meter Tiefe am Meeresboden fördern, sind aber wochenlang nicht in der Lage, ein Ölloch am Meeresboden zu stopfen. Überrascht Sie das?

    Töpfer: Das ist sicher überraschend. Es ist ja auch nicht so, dass solche Genehmigungen erteilt werden, ohne Nachweis dafür, dass man Vorsorge getroffen hat, wenn so etwas passiert. Je tiefer man kommt, umso heißer wird das Produkt, umso unterschiedlicher wird die Zusammensetzung vieler anderer Dinge. Es ist ja nicht nur eine Frage der größeren Tiefe, sondern auch der Veränderung der gesamten Voraussetzung. Deswegen ist es mehr als zwingend, dass man Notfallpläne hat, dass man Katastrophenpläne hat, wenn etwas Derartiges passiert. Offenbar sind hier alle diese Vorkehrungen nicht oder nicht hinreichend wirksam gewesen, und das muss nun wirklich zwingend untersucht werden, denn wir haben ja nicht nur eine Bohrstelle im Golf von Mexiko oder weltweit, es gibt Tausende und immer wieder kann ein solches Versagen eintreten, und die Katastrophen sind in ihren Wirkungen massiv. Also wir sehen auch, dass der Mensch offenbar immer weiter in die Strukturen von Natur und Umwelt hineingeht und die damit verbundenen möglichen Katastrophen eben umso größer werden. Umso mehr ist es erforderlich, verantwortlich zu handeln.

    Armbrüster: Aber nun wird ja seit Jahrzehnten Öl aus großer Tiefe geholt. Offenbar gab es bislang keine Möglichkeit, solche Löcher, die ja durchaus entstehen können, zu stopfen. Ist das überhaupt richtig? Darf man Öl aus so großer Tiefe holen, wenn solche Möglichkeiten, das hinterher abzudichten, gar nicht bestehen?

    Töpfer: Da sind immer wieder neue, wenn Sie so wollen, "Weltrekorde" erreicht worden. Mit immer tieferen Bohrstellen gehen sie heute in die Diskussion, etwa im Offshore-Bereich des neu entdeckten Ölfeldes vor der Küste Brasiliens. Da werden diese Bohrtiefen noch größer und die Deckelschichten ebenfalls. Das heißt, auf der Suche nach dem letzten Tropfen Öl werden immer größere Risikobezüge eingegangen, und deswegen ist es umso dringlicher notwendig zu sagen: Es gibt auch Grenzen dafür. Sehen Sie sich das an in dem neuen Energiegesetz, das gerade von zwei Senatoren in den USA vorgelegt worden ist, von Carey und Lieberman. Die gehen da schon auf diese Dinge ein und setzen ganz andere, restriktive Bedingungen für Offshore-Bohren. Ich glaube, das ist eine Lektion, die daraus gezogen werden muss, also einmal natürlich die Sicherheitstechnik zu erhöhen und damit - auch das sei als Fußnote gesagt - die Kosten solcher Bohrungen und der damit verbundenen Ölförderung deutlich zu erhöhen, damit auch in den Preisen, die ja für Öl gezahlt werden, wirklich die ökologischen Probleme mit abgedeckt werden, und auf der anderen Seite alles tun, um auch alternative Energien so zu entwickeln, dass man solche Risiken nicht mehr eingehen muss. Ich glaube, diese Veränderung der Zwangslage - wir brauchen dieses Öl, sonst geht die Weltwirtschaft nicht mehr weiter, sonst werden unsere Lebensabläufe entscheidend gestört -, die muss man auch von der technischen Seite der Alternativen her in Angriff nehmen. Da gibt es viele, viele Möglichkeiten, langsam kommt es in Gang, von der E-Mobility bis hin zu der Möglichkeit, ganz anders energieeffizient zu handeln.

    Armbrüster: Heißt das denn, Herr Töpfer, auch, dass wir möglicherweise verbieten sollten, in gewissen Tiefen nach Öl zu bohren?

    Töpfer: Ich glaube, es ist auch nach der Auswertung der damit verbundenen Ursachen dieses Katastrophenfalls diese Frage zu stellen, gar keine Frage. Aber so wie die Dinge liegen, werden wir wiederum eher technische, als Verhaltensantworten bekommen. Die amerikanische Regierung - ich sagte es eben bereits - hat bereits vor, Konsequenzen daraus jedenfalls vorgelegt. Wie weit sie die bei den nächsten Genehmigungen mit beachten werden, durchsetzen werden, ist eine andere Frage. Aber lassen wir uns nicht dadurch beruhigen, dass wir sagen, aber in den USA wird daraus auch die Regelungskonsequenz gezogen. Weltweit geht dieser Kampf um den letzten Tropfen Öl in immer größeren Tiefen weiter und ich habe nicht den Eindruck, dass das bereits bei all den Unternehmen so angekommen ist, die sich dafür verantwortlich zeigen.

    Armbrüster: Herr Töpfer, könnte so etwas, was wir gerade im Golf von Mexiko erleben, auch in einem Ölfeld in der Nordsee passieren?

    Töpfer: Wir haben wieder ganz andere Tiefensituationen, wie Sie wissen. Solche Tiefen treten dort nicht auf.

    Armbrüster: Und da wäre es leichter, so ein Leck zu schließen?

    Töpfer: Von daher gesehen ist es natürlich eine gänzlich andere Fallgestaltung. Ich bin immer der Meinung, dass man nie bei Einsatz von Technologien "nie" sagen darf, aber dass eine solche Leckage bei 100 oder 200 Meter Tiefe ganz anders zu beherrschen ist, das ist, glaube ich, sehr einsichtig. Ich sage noch mal, nicht nur die Tiefe, sondern auch die anderen Umstände, die sich mit einer sehr viel tieferen Förderung verbinden, Temperaturen, Drücke, Zusammensetzung, alles Dies, glaube ich, ist in solchen Gewässern wie der Nordsee eben nicht so risikoträchtig. Von daher gesehen gehe ich davon aus, dass dies hier nicht oder nicht unbeherrscht passieren kann.

    Armbrüster: Stört es Sie denn, dass diese ganze Katastrophe, die wir im Golf von Mexiko erleben, vor allem als US-amerikanisches Problem und nicht als internationales Problem angesehen wird?

    Töpfer: Ich sagte es eben bereits. Ich habe selbst darauf hingewiesen, dass die Explorationsvorgänge gegenwärtig in noch größerer Tiefe außerhalb der Vereinigten Staaten auch ablaufen. Das gilt auch in Offshore-Bereichen etwa im westlichen Afrika. Ich glaube, dass wir wirklich einen Fehler machen würden, das nur zu reduzieren auf eine Problematik im Golf von Mexiko. Grundsätzlich ist genau die mit derartigen tiefen Bohrungen verbundene Risikoanalyse in Kenntnis des jetzt auszuwertenden Vorganges vorzunehmen. Deswegen sage ich noch einmal: Die Katastrophe der Katastrophe wäre, wenn man hinterher einfach wieder zur Tagesordnung übergeht. BP wird das Ganze nicht können, denn die damit verbundenen Kosten, die ja auf dieses Unternehmen zukommen, zwingen dort alleine dazu, wirklich grundsätzlich noch mal zu denken und zu überprüfen. Nebenbei: An vielen Stellen ist BP sicherlich auch in der Vergangenheit durch die Entwicklung von erneuerbaren Energien und anderem bemüht gewesen, ein Gegengewicht zu bilden.

    Armbrüster: Welche Konsequenzen muss man bei BP ziehen?

    Töpfer: Ich kann mich hier nicht überheben und in ein so großes, global tätiges Unternehmen hineindenken. Ich glaube, dass es aus eigenem Interesse eine sehr schonungslose Analyse geben wird, und nebenbei: Dies wird auch die amerikanische Regierung, das wird Obama zwingend abfordern. Das hat ja dann auch sehr vieles zu tun mit der Frage der Haftungstatbestände, denn da gibt es andere Unternehmen, die mit beteiligt sind, die auch an der Technologie mit beteiligt sind. Das wird noch ein ziemlich intensives Ringen geben und ganz sicherlich auch Konsequenzen für das betroffene Unternehmen haben.