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Der Kinderfreund als Kinderschänder

Vor einem Jahr verstarb mit Sir Jimmy Savile eine Fernsehikone der BBC. Anfang Oktober schockierte der Bericht eines britischer Privatsenders die Nation: Er enthüllt, dass der BBC-Mann sechs Jahrzehnte lang Kinder und Jugendliche missbraucht hat, meist am Arbeitsplatz.

Von Jochen Spengler | 20.10.2012
    "Now for the first time we explore ..."

    Es war nicht die BBC, sondern der britische Privatsender itv, der die Nation schockierte als er Anfang des Monats die andere, dunkle Seite der Fernsehikone Jimmy Savile aufdeckte. Savile, eine Institution der BBC, DJ der Top of the Pops, Moderator zahlloser Kindersendungen.

    "Your letter was only the start of it ... "

    In Jim’ll Fix it, Jim wird’s richten, erfüllte der exzentrische Clown mit dem strohblonden Prinz-Eisenherz-Haarschnitt Kinderwünsche vor einem Millionenpublikum.

    "Jim’ll fix it."

    Vor einem Jahr verstarb Sir Jimmy Savile mit 84 und Zehntausende säumten die Straßen in Leeds, als sein Sarg vorbeigefahren wurde.

    "Rolls Royce, Goldketten, viele Häuser, Weltreisen, berühmte Freunde – vom Tanzpalast zum Radio, zum Fernsehen, in Paläste und zur Ritterschaft,"

    so würdigte ein Freund von der Kanzel das Leben dieses "Königs des Herzen".

    Ein Jahr später ist der König vom Sockel gestürzt, das pompöse Grabmal von der Familie zerstört und abgetragen worden aus Angst vor der Wut der Fans - "Rest in pieces", spottet das Boulevardblatt Sun.

    Denn ITV hatte am 3. Oktober enthüllt, dass der BBC-Mann sechs Jahrzehnte lang Kinder und Jugendliche missbraucht hat, meist am Rande seiner Shows in seiner Garderobe.

    "Jim hat nicht geküsst oder Gefühle gezeigt, es gab kein Vorspiel – nur das, was er wollte, rein – raus und das war’s. Und nachher – als wäre nichts geschehen."
    Aber er bedrohte seine Opfer, den Mund zu halten und deren Angst war so groß, dass sie sich erst nach Saviles Tod an die Öffentlichkeit trauten – zu Dutzenden. Die Polizei geht inzwischen von über 200 möglichen Missbrauchsopfern aus. Besonders erschreckend ist, dass Saviles kriminelle Neigung ein offenes Geheimnis war. Zeitungsreporter erzählten Rodney Collins schon Anfang der 70er-Jahre:

    "Wir haben diese Beschuldigungen gehört, Rodney. Wir wissen, dass es sie gibt, aber keine Zeitung wird sie bringen, egal ob wahr oder nicht, weil Jimmy eine Menge spendet an Wohltätigkeitsorganisationen, er ist so populär, den können wir nicht angreifen."
    Rodney Collins war Pressesprecher der BBC, er war von seinem Vorgesetzten los geschickt worden, um herauszufinden, ob die Boulevardpresse Stories über Savile und seine Mädchen in der Schublade hatte. Die Entwarnung beruhigte den Aufseher der BBC-Radioprogramme 1 und 2.

    Doch die Gerüchte um Savile verstummten nie. Im Jahr 2000 fragte ein BBC-Journalist Jimmy Savile in einem Filmporträt, wieso er öffentlich behauptet habe, Kinder nicht zu mögen. Saviles Antwort:

    "Es ist für mich als Junggeselle einfacher zu sagen: Ich mag keine Kinder. Das hält eine Menge lüsterner Boulevardjournalisten von der Jagd ab."

    Auch in den letzten Wochen machte die BBC keine gute Figur. Die Direktoren des öffentlich-rechtlichen Senders taten zunächst so, als ginge sie der Skandal nichts an und der neue BBC-Generaldirektor George Entwistle sagte:

    "Die BBC hat nicht die Möglichkeit, Leute zur Befragung zu zwingen, die nicht länger für sie arbeiten, oder Beweise sicherzustellen. Und die Polizei hat mich explizit gebeten, nichts zu tun, was eine kriminaltechnische Untersuchung beeinträchtigen könnte."
    Die anfängliche Weigerung, eigene Nachforschungen anzustellen, empörte konservative Politiker und Murdochblätter wie die Sun, die lustvoll auf die BBC eindrosch und schon kommentierte, der Savile-Skandal stelle das eigene Phonehacking-Vergehen bei Weitem in den Schatten. Auch der BBC wohlgesonnene Politiker wie Labour-Vizechefin Harriet Harman sind entsetzt:

    "Was den Abscheu noch vertieft, ist, dass der Missbrauch bei der BBC geschah, einer Institution, die so geschätzt und der so vertraut wird, dass sie als Tantchen bekannt ist. Das aber hat die BBC befleckt."

    Die hat nun drei eigene interne Nachforschungen angekündigt: vor allem über ihre komplizenartige Unternehmenskultur, die Saviles Treiben in BBC-Räumen so lange möglich machte und stillschweigend duldete. Auch hat sich ihr Generaldirektor öffentlich bei den missbrauchten Frauen entschuldigt. Labour-Chef Ed Miliband reicht das nicht. Er verlangt eine unabhängige, öffentliche Aufarbeitung

    "Ich bin ein großer Unterstützer der BBC, aber man kann sie nicht die eigene Untersuchung machen lassen. Den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, heißt, dass die Institution, wo das alles geschehen ist, und wo möglicherweise Leute wussten, was vor sich ging und falsch war, nicht ihre eigene Untersuchung durchführt, sondern dass die von außen geleitet wird."

    Zu alledem steht die renommierte Rundfunkanstalt im Verdacht, im letzten Dezember eine kritische Sendung über den Kinderschänder Savile aus dem Programm genommen zu haben. Die BBC-Geschäftsleitung weist jeden Zensurverdacht zurück und behauptet, es sei um ein anderes Thema gegangen; doch eine nun bekannt gewordene interne email weist darauf hin, dass es explizit um den Missbrauch durch Savile gehen sollte. Auch dieser Vorfall ist Gegenstand einer internen Untersuchung; nächste Woche steht Generaldirektor Entwistle den Parlamentariern Rede und Antwort und am Montagabend will auch die BBC endlich eine eigene, investigative Sendung über ihre einstige Legende ausstrahlen.