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Der Knall als Beweis

Im Zweiten Weltkrieg kam es zwischen Deutschen, Engländern und Amerikanern zu einem Wettlauf um die schnellsten Jagdflugzeuge. Dabei spielte die Frage eine große Rolle, ob das bemannte Fliegen bei Überschallgeschwindigkeit technisch möglich und körperlich auszuhalten war. Erst nach dem Krieg lieferte der amerikanische Kampfpilot Charles Yeager den Beweis.

Von Hartmut Goege |
    Am 14. Oktober 1947 zündete in 6000 Meter Höhe der amerikanische Testpilot Charles, genannt Chuck, Yeager die Raketentriebwerke der 9 Meter langen Bell X-1. Kurz zuvor war er, um Treibstoff zu sparen, mit seiner zigarrenförmigen Maschine von einer B-29 in den Himmel gezogen und dann abgeworfen worden. Ein eigener Bodenstart hätte für den geplanten Rekordversuch zuviel Energie verbraucht. Nach dem Abwurf hieß es Nerven bewahren und hoffen, dass die Triebwerke starteten. Charles Yeager erinnert sich.

    "Du fühlst überhaupt nichts. Du gehst deine Checkliste durch, überprüfst die Haube, den Druckregler und all die anderen Instrumente. Du hörst die B-29, die dich hochschleppt, und wenn sie dich aus dem Schacht ausklinkt, kommst du aus der Dunkelheit und bist eine Sekunde lang von der Sonne geblendet. Dass es direkt abwärts geht, merkst du nicht wirklich. Du bist viel zu beschäftigt."

    Das explosive Gemisch aus Alkohol, Wasser und flüssigem Sauerstoff trieb die X-1 schon nach wenigen Sekunden steil nach oben auf eine Geschwindigkeit von fast 1000 Kilometer pro Stunde. In 12.600 Meter Höhe bemerkte Yeager plötzlich, dass alle Bordinstrumente rüttelten, die Geschwindigkeitsanzeige stark schwankte und dann mit einem Satz auf die Marke von 1,06 Mach sprang: eine Messeineit benannt nach dem österreichischen Physiker Ernst Mach. Die Beobachter am Boden hörten einen Knall und glaubten für einen Moment an ein Unglück. Was sie nicht wussten: Es war der akustische Beweis für das, was Mach hundert Jahre zuvor bereits herausgefunden hatte:

    "Die wahre Eigengeschwindigkeit eines Körpers steht in Bezug zur Schallgeschwindigkeit. Wenn ein Körper sich schneller als der Schall durch die Luft bewegt, dann wird die Luft vor dem Körper zusammengepresst. Der Widerstand steigt an und entlädt sich explosionsartig hinter dem Körper."

    Es war der Moment, in dem erstmals ein Mensch im Horizontalflug die Schallmauer durchbrochen hatte. Bis dahin gab es vereinzelt Berichte von Piloten, die diese Mauer schon im Sturzflug überwunden hätten. Die Beweise dafür fehlten allerdings. Nach der sicheren Landung 14 Minuten später ergab die Auswertung der Messdiagramme, dass Yeager mit seiner X-1 15 Sekunden lang schneller als der Schall war, rund 1100 Kilometer pro Stunde. Gleichzeitig hatte man damit eine lange Diskussion beendet, ob so etwas technisch möglich und körperlich überhaupt auszuhalten war. Anderthalb Jahre hatte Yeager für diesen Moment zusammen mit seinen Ingenieuren experimentiert.

    "Die X-1 zu fliegen, war wirklich ein Spaß. So haben wir das betrachtet, weil es eine Herausforderung war. Wenn du fliegst, um das Fliegen zu erforschen, musst du Dinge tun, die noch nie jemand ausprobiert hat. Probleme mit dem Höhenruder etwa, das war neu. Und die Ingenieure fragten über Funk einfach nur, 'Hey, und was passiert jetzt?'"

    Es war ein Markstein in der Geschichte der Luftfahrt - ausgelöst von den deutschen V1-Entwicklern in Peenemünde um Wernher von Braun, die schon 1939 das erste Raketenflugzeug entwickelt hatten und einen Wettlauf beiderseits des Atlantik forcierten. Die USA starteten ihr militärisches Geheimprojekt zur Erforschung von Überschallflugzeugen drei Jahre später. Direkt nach Kriegsende wurde daraus ein ziviles Projekt und der hochdekorierte Kampfflieger Chuck Yeager als Testpilot mit ins Boot geholt. Er war offensichtlich erfahren und furchtlos genug, um diesen nicht ungefährlichen Job anzutreten:

    "Wenn du in einen Kampfeinsatz gehst, weißt du, irgendjemand wird getötet, und du hoffst, dass du es nicht bist. Wenn es doch passiert, ist es Schicksal. Das gleiche ist das Fliegen mit der X-1. Ich habe für mich da keinen Unterschied gemacht. Ich wurde als Testpilot eingestellt, und es war mein Auftrag, sie zu fliegen."

    Diese martialische Einstellung machte Chuck Yeager zeitlebens zu einem der populärsten Veteranen der amerikanischen Nachkriegsgeschichte. In den folgenden Jahren testete er immer schnellere Maschinen. 1953 erreichte er mit dem Nachfolgemodell der X-1 auf einer Höhe von 28.000 Metern schon mehr als die doppelte Schallgeschwindigkeit. Seine Testflüge, die der NASA später wertvolle Erkenntnisse lieferten, waren der Beginn des amerikanischen Raumfahrtprogramms.