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Der Konflikt um Nordkorea

    Müller: Etwas untergegangen in den zurückliegenden Wochen wegen des Irakkonflikts ist die politische Eskalation um Nordkorea. Nun hat Pjönjang mit der Aufkündigung des Waffenstillstandsabkommens gedroht, das den Koreakrieg 1953 beendete. Mit diesem Schritt will Nordkorea offenbar die Spannungen weiter erhöhen, um die USA zu direkten Verhandlungen über den Atomkonflikt zu drängen. In einer Erklärung warf die Nordkoreanische Volksarmee den USA ferner vor, ihre Militärpräsenz in der Region zu verstärken und eine Seeblockade gegen das kommunistische Land zu planen. Am Telefon sind wir nun verbunden mit Professor Hans Maul, Koreaexperte an der Universität in Trier. Herr Maul, warum schürt Nordkorea in dieser Situation diesen Konflikt weiter?

    Maull: Ich denke, es liegt auf der Hand, dass Nordkorea unbedingt direkte Verhandlungen mit den USA eröffnen will; das ist sozusagen das kurzfristige Ziel dieser Strategie. Das eigentliche Motiv dahinter ist immer dasselbe: es geht immer um die Sicherung des Überlebens dieses Regimes und des Staates, der ja wirtschaftlich nach wie vor in einer äußerst prekären Situation ist.

    Müller: Ich muss Sie da naiv nachfragen: Was gibt es mit den Vereinigten Staaten zu verhandeln?

    Maull: Was Nordkorea von den USA möchte, ist zum einen formelle diplomatische Beziehungen. Das ist seit vielen Jahren ein Ziel der nordkoreanischen Diplomatie. Sie wollen von den USA als gleichberechtigt anerkannt werden und sozusagen von Augenhöhe zu Augenhöhe miteinander verhandeln können. Das Zweite, was Nordkorea verlangt, ist eine Nichtangriffsgarantie, eine Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten. Die USA haben ja in der Tat beispielsweise Nordkorea in die Planungen ihrer Atomwaffen einbezogen. Also darum geht es Nordkorea als Zweites, und das Dritte ist wirtschaftliche Unterstützung, um eben die existentiellen wirtschaftlichen Probleme dieses Staates zu lösen.

    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann war dieser Schritt Nordkoreas, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten, eigentlich nur Mittel zum Zweck?

    Maull: Ich würde es nicht ganz so formulieren. Er war zum Einen Mittel zum Zweck, mit den USA direkte Verhandlungen zu beginnen. Es ist also praktisch eine Strategie der Erpressung, die Nordkorea hier verfolgt. Ich glaube, dass Nordkorea aber auch die Irakkrise nutzen will, und zwar in dem Sinne, dass es sich möglichst viele Trumpfkarten verschafft, und um sich neue Trümpfe zu verschaffen in Gestalt von weiteren atomaren Sprengsätzen, war der Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag ein aus nordkoreanischer Sicht durchaus sinnvoller Schritt. Nordkorea hat jetzt die Möglichkeit, sich über die Aufarbeitung aufgebrannter Brennstäbe mehr Plutonium und damit mehr Waffenmaterial zu verschaffen.

    Müller: Haben die Vereinigten Staaten aus Ihrer Sicht denn in irgendeiner Form zu dieser jetzigen Eskalation beigetragen?

    Maull: Ich denke, schon, wobei ich schon auch eindeutig den größten Teil der Verantwortung in Nordkorea sehen würde, also es ist beispielsweise offensichtlich, dass Nordkorea im Gegensatz zu Vereinbarungen mit Südkorea und den Vereinigten Staaten heimlich damit begonnen hat, ein zweites Atomwaffenprogramm aufzulegen. Aber Washington hat zu der Eskalation dadurch beigetragen, dass sich die Bush-Administration über lange Zeit mit dem Koreaproblem nicht ernsthaft beschäftigt hat, und zwar primär deswegen, weil die Administration in Washington gespalten war. Es gab auch hier eine Fraktion der Falken, die überhaupt nicht bereit waren, in irgendeiner Weise Zugeständnisse an Nordkorea in Erwägung zu ziehen, und es gab die diplomatische Fraktion um Colin Powell, die eben von Anfang an dafür argumentiert haben, auf Nordkorea zuzugehen und zu versuchen, Nordkorea in Verhandlungen in eine neue Richtung zu lenken.

    Müller: Sie haben ja bereits darauf hingewiesen, es geht auch natürlich um eine innenpolitische Motivation in Nordkorea. Gibt es in der Diktatur in Nordkorea innenpolitische Spannungen?

    Maull: Nein, die gibt es nicht. Das ist überhaupt nicht erkennbar. Nordkorea ist ein so totalitärer Unterdrückungs- und Überwachsungsstaat, dass jede Form von auch nur Andeutung von Opposition sofort sanktioniert und unterdrückt wird. Also es gibt dafür eigentlich gar keine Anzeichen. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass es im Regime selbst, also beispielsweise im Militär Hardliner, Falken geben könnte, aber das sind im Grunde nur Spekulationen. Wir wissen zuwenig über die inneren Mechanismen dieses Systems. Ich sehe also keinerlei erkennbare Anzeichen für politische Opposition ernsthafter Art, aber was ganz offensichtlich ist, ist, dass dieser Staat im Grunde wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig ist.

    Müller: Und diese wirtschaftlich katastrophale Lage in Nordkorea könnte ernsthaft das Regime gefährden?

    Maull: Das denke ich schon. Also für mich ist dieses System ein System am Rande des Abgrunds, und ich wäre nach wie vor nicht davon überrascht, wenn es dann sehr plötzlich zusammenbrechen würde. Das ist einfach vorstellbar. Wie gesagt, die wirtschaftliche Situation ist katastrophal, Nordkorea selbst hat indirekt zugestanden in seinen Statistiken, dass mehrere Hunderttausend Menschen an Hunger gestorben sind, und das einfach in erster Linie Konsequenz einer völlig verfehlten Agrarpolitik, und dasselbe gilt für fast alle anderen Bereiche der Wirtschaft ebenso. Nordkorea überlebt dadurch, dass es von der internationalen Gemeinschaft massiv unterstützt wird, und es überlebt dadurch, dass es in allen möglichen kriminellen, legalen aber problematischen Aktivitäten versucht, Geld zu verdienen, also etwa Export von Raketen, möglicherweise in Zukunft auch Export von atomarem Know-how, vielleicht sogar Sprengkörpern.

    Müller: Viele in Europa, die sich nicht täglich mit dem Koreakonflikt beschäftigen, waren ja doch vor einigen Monaten etwas überrascht, dass nun Nordkorea in dieser Form wieder auf die Tagesordnung kommt. Man hatte ja sehr viel über das Phänomen der Sonnenscheinpolitik berichtet, also die Annäherung Nordkoreas an Südkorea. Ist die nun auch auf Eis gesetzt?

    Maull: Südkorea versucht ja, diese Politik fortzusetzen, aber es ist erkennbar, dass Nordkorea im Grunde nicht wirklich daran interessiert ist. Für Nordkorea geht es jetzt in erster Linie und vor allem darum, mit den USA ins Gespräch zu kommen und ins Geschäft zu kommen, und die Reaktionen in Südkorea auf die Eskalation Nordkoreas sind ja ausgesprochen moderat, zurückhaltend. Der neue Staatspräsident hat klar zu erkennen gegeben, dass er grundsätzlich bereit ist, die weiche Linie, wenn Sie so wollen, seines Vorgängers gegenüber Nordkorea fortzusetzen. Das Problem ist, dass Nordkorea Südkorea hintergangen hat, dass es sich nicht an die Vereinbarung mit dem Süden gehalten hat, dass es die Nutzeffekte der Sonnenscheinpolitik gerne kassiert hat aber nicht bereit war, seine Trümpfe, nämlich seine Drohung mit Gewalt aus der Hand zu geben.

    Müller: Wäre das denn nicht auf der anderen Seite der effizientere Weg aus Sicht Pjönjangs, tatsächlich diese Öffnungspolitik gegenüber Südkorea offensiv fortzusetzen?

    Maull: Fragen Sie aus der Perspektive Nordkoreas oder Südkoreas?

    Müller: Die Frage bezieht sich auf die Perspektive mit der gezielten Annäherung an die Vereinigten Staaten.

    Maull: Also worum es Nordkorea geht, ist noch einmal das Überleben des Regimes zu sichern und von den USA Garantien zu bekommen, dass sie nicht unmittelbar bedroht werden, dass die USA keine Maßnahmen, keine Schritte unternehmen werden, um wie im Irak letztlich auch gegen das Regime in Nordkorea vorzugehen. Das Problem ist einfach, dass weder Südkorea noch die USA letztlich gegen diese Strategie Nordkoreas wirklich eine Handhabe haben. Es ist eine sehr erfolgreiche Erpressungsstrategie.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio