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Der Konflikt zwischen Israel und Palästina

    Durak: Das Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern ist unerhört angespannt. Der UNO-Sicherheitsrat hat das Niveau der Gewalt als beispiellos bezeichnet und damit auch deutlich kritisiert, und mit seinen gestrigen Äußerungen, er bedauere die Vereinbarung, bei der Besetzung des Libanon in den 80er Jahren Arafat nicht liquidiert zu haben, hat Israels Ministerpräsident Sharon weiteres Öl ins Feuer gegossen. Wohin soll das alles führen? In New York beim Weltwirtschaftsforum erreichen wir Zalman Shoval. Er ist außenpolitischer Berater von Herrn Sharon, von dessen Partei. Herr Shoval, was ist denn von dieser Bemerkung zu halten? Handelt es sich um einen verbalen Fehltritt, um Überzeugung oder worum?

    Schoval: Schauen Sie, es ist vielleicht diskutabel, wenn Leute von der Vergangenheit oder der früheren Geschichte sprechen. Das liegt ja schon über 20 Jahre zurück. Und, auch wenn man das nicht ganz akzeptiert, es ist ja auch wahr, dass die Welt bestimmt ein besserer Platz gewesen wäre ohne einen Arafat, ohne einen Osama Bin Laden, ohne einen Milosevic. Aber das sagt natürlich nicht, dass man dann tatsächlich gegen solche Leute vorgehen muss. Ich glaube, wenn man dieses Interview wirklich durchliest, ist das eigentlich eine Nebensache, eine Lappalie. Das Wichtige im Interview ist, dass trotz des Benehmens Arafats, trotz des Terrors, Sharon sagt: Sollte Arafat seinen Weg ändern, sollte er effektiv gegen den Terror vorgehen, dann könnte Arafat eventuell ein Friedenspartner werden. Ich glaube, das ist der wichtige Punkt in diesem Interview.

    Durak: Ist Arafat das Problem Israels? Sie haben ihn eben in einem Atemzug mit dem mutmaßlichen Massenmörder Bin Laden genannt.

    Schoval: Arafat ist ein Terrorist. Darüber gibt es keine Zweifel mehr, auch bei den Amerikanern nicht, und ich glaube, auch bei den meisten Europäern nicht, obwohl er es von Zeit zu Zeit sozusagen mit staatsmännischen Positionen balancieren will. Aber den Terror gegen unschuldige Leute hat Arafat viel früher als Osama Bin Laden angefangen. Aber er ist auch -leider für die Palästinenser und auch für uns - der gewählte Führer der Palästinenser. Ich glaube, wir sind im Grunde schon in der Post-Arafat-Periode, auch wenn man von ihm noch hören wird. Es wird eine neue Generation kommen, die verstehen wird, dass man mit Israel verhandeln muss, dass der Terror und die Gewalt keinen Zweck haben, dass die Palästinenser wirklich nichts damit erreicht haben. Und Israel ist bereit, besonders unter der heutigen Regierung, Friedensvorschläge und Kompromisse zu machen. Im selben Interview sagt Sharon auch, dass Israel bereit ist, sogar schmerzliche Kompromisse zu machen.

    Durak: Worin sollten diese Kompromisse aus israelischer Sicht bestehen?

    Schoval: Schauen Sie, wenn wir einen Teil des Landes aufgeben, ist das natürlich ein schmerzlicher Kompromiss. Einige Siedlungen werden vielleicht im Rahmen eines Friedensvertrages irgendwie abgeräumt werden oder vielleicht in anderen Plätzen wieder etabliert werden. Das sind alles keine leichten Beschlüsse, aber die erste Bedingung ist natürlich, dass der Terror vollkommen aufhören muss. Und wir haben ja alle gestern die Rede von Präsident Bush gehört. Der Terror wird nicht weiter toleriert werden.

    Durak: Präsident Bush hat aber nicht in die Reihe der Schurkenstaaten gewissermaßen die Palästinenser gestellt. Sehen Sie da wirklich keinen Unterschied?

    Schoval: Weil die Palästinenser kein Staat sind, aber Präsident Bush hat in seiner Rede doch über Hamas und Hisbollah gesprochen, und ich würde mich nicht wundern, wenn Arafats eigene Organisation, die Tanzin, auch auf die Terrorliste kommt. Schauen Sie, weder die Hamas noch die Dschihad hätten ihre Untaten gegenüber Israel und anderen ausführen können, wenn sie kein grünes Licht von Arafat gehabt hätten.

    Durak: Haben Sie, die israelische Regierung, Ansprechpartner unter Palästinensern neben Arafat?

    Schoval: Oh ja. Wir haben immer mit Palästinensern gesprochen und verhandelt. Es gibt Leute - ich möchte hier keine Namen nennen -, die bestimmt realistisch sind und nicht zu dieser korrupten Gruppe gehören. Leute, die verstehen, dass die Palästinenser eine Chance nicht verpassen sollten. Die Palästinenser hätten schon vorher weiterkommen können. Barak hatte ja mehr oder weniger alles vorgeschlagen, was sie offiziell wollten. Sharon hat natürlich eine andere Politik, aber gerade weil er sozusagen ein Premierminister einer zentral/rechten Regierung ist, hat er eine viel breitere Unterstützung in der Bevölkerung. Deshalb hat ein Abkommen mit Sharon viel bessere Chancen auf Beständigkeit, als es mit einer linksgerichteten Regierung der Fall wäre.

    Durak: Wie lange wird Israel den Palästinensern Zeit und Gelegenheit geben - so wie Sie es andeuten -, eine neue Führung für sich zu wählen?

    Schoval: Das ist eigentlich nicht von uns abhängig. Wir können den Palästinensern im Grunde nicht vorschreiben, wer ihre Führung sein soll. Die Welt ist von Arafat müde geworden. Es war heute ein Artikel in der New York Times von Tom Friedmann, der kein Feind der Palästinenser ist, und er nannte Arafat "a dead man walking", also eine politische Leiche, die aber noch geht. Ich würde sagen, in der heutigen Situation, gerade nach dem 11. September, müssen die Palästinenser beschließen, ob sie zu Verhandlungen und zu einer friedlichen Lösung kommen wollen, oder ob sie glauben - wie es Arafat mit Barak in Camp David wahrscheinlich beschlossen hatte -, dass sie mit weiteren Gewalttaten mehr erreichen können. Wie Sie wissen, hat sich Arafat damals geweigert, ein Abkommen mit Barak zu unterschreiben, wo es heißen sollte: end of conflict, d.h. ein Ende des Konfliktes zwischen den Israelis und den Palästinensern. Arafat wollte das nicht. Wahrscheinlich kann er nicht der richtige Friedenspartner sein. Dazu müsste er sein Charakter, seine Persönlichkeit vollkommen ändern. Ob das möglich ist oder nicht, ist zweifelhaft.

    Durak: Das israelische Volk hat das allergrößte Interesse daran, dass die Selbstmordanschläge ein Ende haben, dass die Gewalt im Nahen Osten ein Ende hat. Wir hören von Plänen des Militärs in Israel, wonach die Lage binnen einer Woche, und zwar militärisch geklärt werden könnte. Es ist von der Reinigung der Region von Terroristen und Waffen die Rede. Kennen Sie solche Pläne? Können Sie dies bestätigen?

    Schoval: Schauen Sie, wenn man irgendeinen internationalen Konflikt sieht, ist es immer sozusagen eine Kombination von militärischen Maßnahmen und politischen Maßnahmen. Aber das Ziel der militärischen Maßnahmen ist nicht nur der Sieg, sondern eigentlich der Frieden. Weil die Palästinenser vielleicht heute oder gestern nicht verstanden hatten, dass Israel sich wehren würde, haben sie ihre Terroranschläge mit der Zeit verschärft. Aber ich glaube, dass wir heute, auch wenn weitere militärische Maßnahmen unternommen werden, das Ziel haben, zum Verhandlungstisch zurückzukommen.

    Durak: D.h. Sie schließen andere, weitergehende Militäraktionen nicht aus?

    Schoval: Bestimmt nicht, denn der Zweck des Oslo-Abkommens, das schon 9 Jahre alt ist, war, dass sich Arafat dazu verpflichtet hatte, die Gewalt nicht nur zu bremsen, sondern vollkommen zu stoppen. Deshalb haben unsere frühen Regierungen die Gebiete an Arafat zurückgegeben. Heute sind 93 Prozent aller Palästinenser sozusagen unter der palästinensischen Autorität. Leider hat Arafat seinen Teil des Abkommens nicht erfüllt. Aber die erste Pflicht jeder Regierung - sei es eine deutsche oder eine israelische - ist es, die Sicherheit ihrer Bevölkerung zu wahren. Und wenn es die andere Seite nicht machen will oder kann, müssen wir es machen, so wie es die Amerikaner, die Deutschen und die Engländer in einem Land wie Afghanistan machen, das viel weiter weg von ihren eigenen Ländern ist, als die Palästinenser von uns.

    Durak: Sie rufen Deutschland damit zu stärkerem Engagement auf?

    Schoval: Nein, nicht unbedingt. Ich gebe da nur ein Beispiel dafür, dass die westliche Welt, die freie Welt beschlossen hat, den Terror zu bekämpfen, sogar wenn er Tausende von Kilometern entfernt ist. Bei uns sind es manchmal nur einige Hunderte von Metern, und da haben wir eigentlich keinen anderen Ausweg, wir müssen es bekämpfen, weil die andere Seite die internationale Pflicht und das internationale Gesetz nicht anerkannt hat.

    Durak: Wir treffen Sie ja jetzt in New York beim Weltwirtschaftsforum. Auch Ihr Außenminister hält sich dort auf und will wohl heute auch den palästinensischen Parlamentspräsidenten treffen, ist zu hören bzw. zu lesen. Führen Sie Gespräche in dieser Art dort? Nutzen Sie die Gelegenheit?

    Schoval: Schauen Sie, die Gelegenheit bei Davos ist immer gut. Man trifft sich, man bespricht einiges. Voriges Jahr war es leider zwecklos; Peres traf sich mit Arafat, und es kam nichts heraus. Möglicherweise könnten Peres und Abu Ala einige praktische Schritte besprechen, die dann Peres natürlich zur Regierung, zum Premierminister Sharon bringen muss. Aber Sharon hat ihm ja das grüne Licht gegeben, dieses Gespräch zu führen, auch wenn er vielleicht nicht in die Einzelheiten reingegangen ist. Das wird natürlich nur von den Resultaten abhängig sein.

    Durak: Die Ziele Israels sind: Frieden, ein palästinensischer Staat und ein Friedensvertrag?

    Schoval: Das Ziel ist natürlich der Frieden. Es kann nicht anders sein. Wir sind knapp 6 Millionen Israelis, die von ca. 250 Millionen Arabern umzingelt sind, seien es Palästinenser, Jordanier, Syrier oder Ägypter, es sind alles Araber. Deshalb ist Frieden unser Ziel. Der Terror muss aufhören. Und wenn wir zu Friedensgesprächen kommen, auch wenn es sozusagen kein Liebesroman wird - es könnte vielleicht in der nächsten Generation dazu kommen -, dann sollte es wenigstens ein pragmatischer, ein praktischer Frieden sein, wie wir es mit den Ägyptern oder mit Jordanien angefangen haben. Mit der Zeit könnte auch ein kalter Frieden zu einem warmen Frieden werden. Was einen palästinensischen Staat betrifft, das könnte vielleicht nicht mehr zu vermeiden sein. Ob das wirklich ein erwünschtes Ziel ist, nicht nur für uns, sondern für die Welt, noch ein arabischer Staat, nicht sehr demokratisch, nicht sehr durchsichtig, was Gesetzte und Wirtschaft betrifft, ist eine andere Frage. Aber in der Geschichte ist es sehr oft, dass verschiedene Sachen geschehen, die dann mit der Zeit vielleicht negativ sind, die man aber nicht verhindern konnte.

    Durak: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio