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`Der Konvent darf und wird nicht scheitern`

    Gerner: Ich begrüße Klaus Kinkel, ehemaliger Bundesaußenminister, FDP. Schönen guten Tag.

    Kinkel: Guten Tag.

    Gerner: Herr Kinkel, hochkarätig besetzt ist dieser Konvent, wurde immer wieder gesagt. Würden Sie da auch gerne drin sitzen?

    Kinkel: Ich habe mir andere Aufgaben gesetzt, aber der Konvent kann in der Tat nicht hochkarätig genug besetzt sein, denn die haben sich etwas vorgenommen, was für die Zukunft Europas von absolut zentraler Bedeutung ist, und ich kann mir eigentlich nur wünschen, dass die engagiertesten und besten Europäer da drin sitzen, die Durchsetzungsfähigkeit haben. Darauf setze ich.

    Gerner: Da klang ja eben der Name Peter Glotz und die Zweifel Daniel Cohn-Bendits an. Gehört Herr Glotz zu den Besten und Einflussreichsten wie Sie es eben nannten.

    Kinkel: Ich kenne Herrn Glotz aus dem Auswärtigen Ausschuss aus langer Zusammenarbeit. Er ist jetzt eine Weile aus der Politik heraus, aber er hat Politik immer von draußen sehr informiert begleitet. Ich teile die Kritik, die von allen möglichen Seiten kommt, nicht. Ich halte ihn für einen Mann, der das kann und der auch mit dem notwendigen Feuer und Eifer dabei sein wird. Ich würde im übrigen nicht versuchen, vorher Personen kaputt zu reden, sondern sie ans Werk gehen lassen und zeigen lassen können, dass sie was können.

    Gerner: Welche Erwartungen haben Sie an diesen Konvent?

    Kinkel: Ich habe die Erwartung, dass das eintritt, was sich dieser Konvent vorgenommen hat, nämlich die Handlungsfähigkeit einer erweiterten EU in einer globalisierten Welt sicher zu stellen. Ich hoffe, dass das, was in Nizza nicht zustande gekommen ist, zustande kommt, ich hoffe, dass die Europäische Union sich für die Erweiterung fit macht und ich hoffe auch, dass dieser Konvent die Erweiterung als solche voranbringt, denn 2004 sollten mindestens die ersten Länder vor der nächsten europäischen Wahl drin sein.

    Gerner: Nun soll dieser Konvent ja auch ganz wesentlich klären, was die EU und was die Mitgliedsstaaten in Zukunft regeln sollen, und nicht zuletzt Kritiker, wie Edmund Stoiber und die bayerische Landesregierung, haben damit immer die Hoffnung verbunden, dass Kompetenzen von Brüssel zurück gegeben werden könnten. Ist das eine begründete Hoffnung?

    Kinkel: Ich habe in meinen sechseinhalb Jahren als Außenminister in Brüssel in Europa etwas erlebt, was etwa in folgende Richtung ging: Es gab eine weitere, zunehmende Eigendynamik der europäischen Institutionen, Rat, Kommission, Parlamente, usw. in Richtung auf stärkere Vergemeinschaftung und stärkere Integration, Vertiefung der Gemeinschaft und eine gegenläufige Bewegung, die stark auf Subsidiarität gesetzt hat, so unter dem Motto: Europa soll wirklich nur das regeln, was von dort geregelt werden kann und geregelt werden muss. Diese Gegenläufigkeit ist etwas, womit der Konvent fertig werden muss und das spiegelt sich eben auch in dem Ziel wieder, zu einer Balance der verschiedenen europäischen Einrichtungen untereinander zu kommen, die im Augenblick ja auch etwas aus der Balance gebracht sind, und auf der anderen Seite eben auch das Verhältnis der Institutionen zu den einzelnen europäischen Ländern zu verbessern. Das ist eine gewaltige Aufgabe, die sich Giscard d`Estaing und die anderen auf die Schultern geladen haben.

    Gerner: Für mehr Transparenz soll der Konvent sorgen, heißt es, aber das Präsidium debattiert nicht öffentlich. Wie passt das zusammen?

    Kinkel: Meiner Meinung nach sollte das Präsidium auch nicht öffentlich debattieren. Der Konvent als solcher debattiert ja öffentlich. Sie sprechen natürlich zu Recht an, dass wahrscheinlich wichtigste Entscheidungen in diesem Präsidium fallen, so wie das auch bei der Grundrechte-Kommission der Fall war, aber man kann nicht alles und jedes nach außen transparent und öffentlich machen. Man muss auch ein bisschen an die Arbeit denken, die ja voran kommen muss, und das sollte dann eben über den Konvent geschehen. Ich würde als Praktiker sagen, dass es schon richtig ist, dass das Präsidium nicht öffentlich tagt, aber der Konvent muss in der Tat auch für Nicht-Beteiligte von draußen zugänglich sein. So ist das ja auch für Beobachter vorgesehen.

    Gerner: Sie haben eben Valéry Giscard d`Estaing angesprochen, den Franzosen, der dieses Gremium leitet, ein inzwischen älterer Herr. Die Frage klang im Bericht unseres Korrespondenten an: Hat dieser Konvent die notwendige Autorität, um gegenüber den Staats- und Regierungschefs das durchzusetzen, was er erarbeitet? Ich komme noch mal auf Peter Glotz zurück, einen der deutschen Vertreter. Über ihn sagen einige, dass er eine nicht so große Macht bei der Bundesregierung hat gegenüber einem Jean-Luc Dehaene auf belgischer Seite, der etwa den Status eines Helmut Kohl dort genießt, auch wenn er nicht mehr Regierungschef ist. Was wird am Ende durchsetzbar sein und wie wird das neue Europa aussehen, wenn dieser Konvent erfolgreich ist?

    Kinkel: Zunächst einmal hoffe ich, dass die Regierungschefs, die diesen Konvent ja eingesetzt haben, dann anschließend auch im wesentlichen umsetzten, was an Konventsvorschlägen kommt. Wenn das nur eine Veranstaltung zur Show wäre - und es muss ja durch die Regierungschef abgesegnet werden - wäre das schlecht.

    Gerner: Sie glauben nicht, dass das nur ein Debattierclub ist?

    Kinkel: Nein, das glaube ich nicht. Das wird auch gar nicht möglich sein, denn dieser Konvent hat ja klare Ziele bishin zur Erarbeitung einer Verfassung. Man kann hier nicht nur eine "For-Show-Veranstaltung" machen. Das wäre für Europa ein sehr schlechter Ansatz. Was die Herren in Person anbelangt: Zum einen ist Herr Glotz ja nicht der einzigste deutsche Vertreter. Außerdem bin ich der Auffassung, dass er ein enges und persönliches Verhältnis zum Bundeskanzler hat, denn der hat ihn ja nicht umsonst als Regierungsvertreter ausgesucht, und das Auswärtige Amt wird ihn schon entsprechend unterstützen. Ich bin dagegen, Giscard und alle anderen handelnden Personen zu zerreden. Lassen wir sie doch erst einmal antreten und zeigen, dass sie etwas können. Das ist wichtiger, als dass jetzt von vorn herein alles zerredet wird und die Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen Vertreter aus den Ländern in Zweifel gezogen wird.

    Gerner: Was wäre, wenn der Konvent scheitert?

    Kinkel: Der Konvent darf und wird auch nicht scheitern. Er wird vielleicht in einigen Bereiche nicht die Lösungen bringen, die man sich heute erhofft, denn es wird ja auch nicht so einfach sein, abzuwägen, was die Kommission machen soll, wie das Verhältnis zum Rat ist, wie man das Europäische Parlament stärkt und wie es zwischen mittleren, kleineren und großen Ländern aussieht. Da hat Deutschland ja in letzter Zeit auch ein paar Akzente gesetzt, die nicht so sehr erfreulich waren. Im übrigen wird sich Deutschland da in besonderer Weise anstrengen müssen. Denken Sie mal, was der Bundeskanzler gegenüber der Kommission gesagt hat und was wir da in letzter Zeit in Europa angerichtet haben mit dem blauen Brief, der hier nicht willkommen war, usw... Also, wir werden als größtes und wichtigstes Land in dieser Europäischen Union auch mit gutem Vorbild in diesem Konvent voran gehen müssen, sonst sehe ich schwarz.

    Gerner: Klaus Kinkel von der FDP war das, ehemaliger Bundesaußenminister. Danke für dieses Gespräch.