Archiv


"Der Kunde soll einen Prospekt von 60 oder 100 Seiten lesen?"

Der Finanzmarkt bleibt nach dem G20-Gipfel unkontrolliert - Beratungsgespräche dürfen das nicht, fordert Hermann-Josef Tenhagen. Dem Verbraucher müsse auf zwei Seiten klargemacht werden, was für das Anlage-Produkt wichtig sei.

    Silvia Engels: Die G20-Staaten haben sich in Kanada darauf verständigt, ihre Haushaltsdefizite bis 2013 halbieren zu wollen. Bundeskanzlerin Merkel hat das als Erfolg gelobt. Keine Bewegung, oder vielleicht sogar Rückschritte gibt es bei den Versuchen, die Banken auf internationaler Ebene besser zu regulieren. Weder eine Sonderabgabe für die Finanzhäuser ließ sich international durchsetzen, noch kam die europäische Idee einer Finanztransaktionssteuer durch. Für die Banken wohl eine gute Nachricht.
    Die Banken können sich also vorerst freuen, dass der G20-Gipfel den früheren Ankündigungen, die Finanzmärkte stärker regulieren zu wollen, bislang keine Taten hat folgen lassen. Was bedeutet das nun für die Verbraucher? – Die Zeitschrift "Finanztest" durchleuchtet regelmäßig die Qualität von Finanzprodukten und am Telefon ist nun der Chefredakteur des Blattes, Hermann-Josef Tenhagen. Guten Tag, Herr Tenhagen.

    Hermann-Josef Tenhagen: Guten Tag!

    Engels: Was denken Sie, was bedeutet diese Nicht-Einigung auf dem G20-Gipfel für die Verbraucher?

    Tenhagen: Zunächst mal bedeutet sie, drei Jahre, nachdem die Finanzkrise so richtig losgebrochen ist – sie ist ja 2007 schon da gewesen; Da war die IKB beinahe schon pleite und damals war ein Staatssekretär, ein heutiger, aus dem Finanzministerium im Aufsichtsrat -, drei Jahre danach ist nichts passiert an der Regulierungsseite, und das kann Verbraucher ja auch schon nervös machen, weil eigentlich würde man ja annehmen, dass man nicht nur schnell Geld bereitstellen kann, um den Banken aus der Patsche zu helfen, was wir brauchten, sondern dass man dann eben auch eine Regulierung findet, die dafür sorgt, dass das so schnell nicht wieder passiert.

    Engels: Muss man also als Anleger wieder fürchten, dass die Banken ihre Hochrisikogeschäfte mit fremdem Kapital fortsetzen wie vor der Krise?

    Tenhagen: Was man jetzt erst mal befürchten muss, ist, dass zunächst mal da noch nichts passiert ist und dass man ja nicht weiß, was denn die nächste Blase ist, und das ist etwas, was mich schon auch beunruhigt, und auch, dass man sozusagen bislang keine Möglichkeiten findet, Geld abzuschöpfen, um dafür zu sorgen, dass die Kosten der Krise tatsächlich bei den Verursachern der Krise landen und nicht bei den Steuerzahlern.

    Engels: Nun hat ja Bundeskanzlerin Angela Merkel das versucht, mit dieser Idee einer europaweiten oder weltweiten Finanztransaktionssteuer. Das hat nun nicht funktioniert. Setzen Sie denn darauf, dass es auf europäischer Ebene klappt?

    Tenhagen: Wenn man jetzt feststellt, dass solche Sachen auf globaler Ebene nicht funktionieren, entbindet einen das ja nicht davon, zu Hause die Hausaufgaben zu machen. Wenn die Brasilianer zum Beispiel beim G20-Gipfel sagen, unsere Banken haben doch kein Problem, warum sollen wir eine Transaktionssteuer haben, dann ist das richtig, weil da bezahlen die Leute fünf Prozent Zinsen im Monat für einen Ratenkredit, das läuft dann auf 60 Prozent im Jahr hinaus. Dann hat eine Bank auch kein Problem mehr, dann muss sie auch keine internationalen Geschäfte machen, die hoch risikoreich sind. Aber wir haben hier diese Probleme gehabt und wir haben Milliarden für die Banken ausgeben müssen, und dann müssen wir dafür sorgen, dass das eben nicht wieder passiert.
    Aus der Sicht des Verbrauchers ist das im Augenblick noch nicht mal so sehr die Sorge um das unmittelbare Geld, weil die Leute haben ihr Geld nicht, ihre Spargroschen nicht verloren. Aktionäre haben Geld verloren, aber die Leute haben ihre Spargroschen nicht verloren, so sie denn nicht bei Lehman oder in Zertifikaten riskant investiert waren. Da gibt es das Hauptproblem, dass die Produkte so gestrickt sein müssen, dass die Menschen das verstehen können, und wenn die Produkte nicht so sind, dass man sie verstehen kann, dann dürfen sie an die Leute eben nicht verkauft werden. Das muss man irgendwie sicherstellen. Das ist die Hauptarbeit aus der Sicht der Verbraucher. Ansonsten sind die Verbraucher nämlich auch noch Arbeitnehmer und die machen sich natürlich nach wie vor um die Wirtschaftskrise große Sorgen.

    Engels: Wir schauen gleich noch mal auf die Finanzprodukte. – Bleiben wir noch kurz bei der ja nun nicht international durchgesetzten Finanztransaktionssteuer. Da hatten die Banken ohnehin argumentiert, wenn die kommt, werden die zusätzlichen Kosten, die ja eigentlich die Banken dann zahlen sollen, eh wieder auf den Kunden überwälzt, das bringt also letztlich gar nichts, um die Verursacher der Krise zu beteiligen.

    Tenhagen: Das muss man, glaube ich, deutlich differenzierter betrachten. Wenn am internationalen Devisenmarkt jeden Tag Devisen im Wert von 3500 Milliarden Dollar hin- und hergehandelt werden, ist das eine tolle Einnahmequelle, wenn man darauf so eine Art Umsatzsteuer hat. Was anderes ist die Finanzmarkttransaktionssteuer ja nicht. Der kleine Sparer, der seinen Riester-Vertrag hat, oder seinen normalen Vertrag hat, der wird nicht jeden Tag und auch schon gar nicht jeden Tag mehrfach sein Geld hin- und herschaufeln, weil er dabei nur Geld verlieren würde. Das heißt, da ist schon eine Möglichkeit, ohne dass das unbedingt bei den Kleinsparern ankommt. Das hätte man tun können, oder kann man immer noch tun. Das ist ja der Grund, warum eigentlich auch die Europäer dafür sind. Dann müssen sie es nur langsam auch mal machen.

    Engels: Wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Instrument einer Bankenabgabe, die dann ja bei den Gewinnen direkt bei den Banken ansetzen soll?

    Tenhagen: Aus Sicht des Verbrauchers ist das mit der Bankenabgabe zunächst mal egal, weil für die Banken: Ob das mehr kostet, weiß ich. Wenn es eine Bankenabgabe gibt, können sie die ja nachher wieder von der Steuer absetzen als Ausgabe. Ob da wirklich mehr Kosten bei den Banken sind, weiß ich nicht.
    Reicht das, um die Krise zu bezahlen? – Wissen Sie, für die Commerzbank hat der Staat irgendwie knapp 20 Milliarden Euro einschießen müssen, um die zu stabilisieren. Die gehört ihm ja zu einem guten Teil heute. Die Bankenabgabe, die geplant ist, ist 1,2 Milliarden im Jahr. Sie sehen, da haben wir ein Missverhältnis.

    Engels: Jetzt schauen wir noch einmal auf die Finanzmarktprodukte, die Sie eben schon angesprochen haben. Was kann man denn da auf nationaler Ebene tun? Was versprechen Sie sich zur besseren Verbrauchersicherheit, um hier eben nicht mehr diesen Handel mit etwas undurchsichtigen Papieren so einfach zuzulassen?

    Tenhagen: Das Wichtigste ist, dass man dafür sorgt, dass die Kunden tatsächlich informiert werden, wenn sie ein Produkt kaufen. Dazu ist notwendig, dass tatsächlich solche Beratungsprotokolle entstehen, dass die jedes Mal rausgegeben werden, wie der Gesetzgeber das sagt, dass das auch kontrolliert wird, dass die jedes Mal rauskommen, und dass der Kunde die auch verstehen kann.
    Das Zweite ist, dass man Produktinformationsblätter braucht, also ein Blatt: Auf zwei Seiten muss alles draufstehen, was für das Produkt wichtig ist. Es ist doch nicht einzusehen, jeder Firmenchef und jeder Bankchef, wenn der eine Entscheidungsvorlage kriegt, da muss auf zwei Seiten alles Wichtige draufstehen. Und der Kunde soll einen Prospekt von 60 oder 100 Seiten lesen? – Das geht nicht auf Dauer.

    Engels: Ist das denn national durchsetzbar? Hier warnen die Banken ja immer wieder davor, wenn man sie zu sehr mit solchen Regulierungen überzieht, dann seien sie international nicht mehr konkurrenzfähig.

    Tenhagen: Ich habe ja eben schon die Beispiele aus der G20 erwähnt. Da dort jeder jetzt sein eigenes Süppchen kocht, muss man dann national mal sehen, dass man eine bekömmliche Suppe hierzulande hinbekommt.

    Engels: Haben Sie denn schon Ansätze vielleicht von Banken, die auch selber vorangehen und sagen, wir haben verstanden und wollen hier jetzt auch verständlicher sein?

    Tenhagen: Bei den Produktinformationsblättern, da gibt es Ansätze einzelner Banken die sagen, wir wollen verständlicher sein, wir wollen das besser machen. Aber für den Kunden braucht es am Ende des Tages sozusagen ein standardisiertes Blatt, damit ich, wenn ich zur einen Bank gehe und zur anderen Bank gehe, die Blätter nebeneinanderlegen kann und sagen kann, aha, die sind besser, da gehe ich hin. Das muss der Sinn sein. Marktwirtschaft ist für die Kunden da. Die müssen gut vergleichen können, damit sie die besten Produkte kaufen. Sie ist nicht für Banken oder Unternehmen da.

    Engels: Und sehen Sie da Bewegung in diese Richtung?

    Tenhagen: Ich sehe Bewegung in die Richtung, aber zu wenig, und man kann sich auch nicht immer auf die internationalen rausreden.

    Engels: Wie würden Sie denken, dass jetzt nach diesem offenbar ja etwas ins Stocken geratenen G20-Prozess die nächsten Schritte aussehen können, oder sind wir eigentlich schon...

    Tenhagen: Nein, nein, ich bin kein Politiker! Ich kann jetzt nur aus der Sicht der Kunden beschreiben. Aus Sicht der Kunden muss mehr Information her, damit die die richtige Entscheidung treffen können. Daran muss hierzulande gearbeitet werden. Das andere ist, dass wir gucken müssen, dass die Finanzmärkte so weit in Ordnung kommen, dass man sich als Kunde nicht Sorgen machen braucht, dass das eigene Geld entweder weg ist, oder man wieder mit Steuermitteln eingreifen muss, um irgendwen zu retten.

    Engels: Hermann-Josef Tenhagen, der Chefredakteur des Blattes "Finanztest", der sich regelmäßig mit der Qualität von Finanzprodukten und der Verbraucherfreundlichkeit befasst. Vielen Dank für das Gespräch.

    Tenhagen: Bitte.